Perfide Lust an bösen Zungen
Markus Krajewskis und Harun Mayes Sammelband der „bösen Bücher“
Von Katharina Fürholzer
Es gibt Bücher, die gleichermaßen informativ wie unterhaltend sind, sodass man sie ohne Unterbrechung von der ersten bis zur letzten Seite und gleich noch einmal von vorne liest. Der Sammelband Böse Bücher gehört dazu. Herausgegeben von den Medienwissenschaftlern Markus Krajewski und Harun Maye schafft das Buch die Grundlage für einen Gegenkanon dessen, was für gemeinhin unter „guter“ Literatur verstanden wird. Entgegen vertrauter Dualismen wird dem Guten dabei nicht die an Qualitätseinordnungen orientierte Dimension des Schlechten gegenübergestellt, sondern sein moralischer Kontrahent des Bösen. Ausgehend von den anthropologischen Dimensionen des Bösen suchen und liefern die Herausgeber mit ihrem Band Antworten auf die Frage, inwiefern das Böse auch als eine spezifische Qualität literarischer Texte verstanden werden kann. Im Zentrum des Interesses stehen die „Machart und poetologischen Tricks“, die die titelgebenden „bösen Bücher“ zu eben solchen machen, etwa das werkimmanente Spiel mit Brüchen, mit intendierten ebenso wie unkalkulierten Kohärenzen und die dadurch eröffneten ambivalenten Lesarten. Das schließt auch den Blick auf beispielsweise soziokulturell bedingte Brüchigkeiten von Kategorien wie „gut“ und „böse“ ein, den Blick auf Fälle, in denen ein dereinst indiziertes Buch in den Kanon (wieder) aufgenommen wird – und im Zuge dessen wiederum andere Bücher aus selbigem zu verbannen vermag.
Um vor diesem Hintergrund Definitionsvorschläge für das zu finden, was das Böse im Medium Buch ausmachen könnte, wird sich in insgesamt elf Beiträgen den untersuchten Werken mit primär textorientierten Verfahren genähert. Abgerundet wird der Blick in das jeweilige Buch in der Regel durch Exkurse zur Produktions- und Rezeptionsgeschichte. Dieses Vorgehen erweist sich nicht zuletzt insofern als erhellend, als es demonstriert, wie schwer es bei einer Beschäftigung mit einer anthropologischen Größe wie dem Bösen lange Zeit fiel (und im Grunde auch heute noch fällt), Werk und Autor zu trennen; im Kontext des Bösen, so scheint es, verliert der vieldiskutierte „Tod des Autors“ als Option an Bedeutung.
Chronologisch geordnet nach dem Erscheinungsdatum des jeweils in den Vordergrund gestellten Werkes – beginnend bei Benvenuto Cellinis Vita / Mein Leben aus dem Jahr 1566, endend bei David Hughes’ Bully / Macker von 1993 – unternimmt der Band einen Streifzug durch Weltliteratur und Weltliteraten, spannt sein Untersuchungsfeld von der Gattung des Romans über wissenschaftliche Schriften bis hin zum Kinder- und Schulbuch. In regionaler Hinsicht liegt der Schwerpunkt bis auf wenige Ausnahmen auf der europäischen Literaturgeschichte. Der Band bleibt dabei auf die männliche Literatengeschichte konzentriert, was aber wohl im Kontext der allgemeinen Herausforderung der Literaturwissenschaft zu sehen ist, auch Werke nach wie vor ungesehener Schriftstellerinnen sichtbar zu machen – im Guten wie im Schlechten und im Guten wie im Bösen – und damit zu einer Entdiskriminierung der Literaturgeschichte beizutragen.
Den Beiträgern des Bandes ist der Spaß am Gegenstand, der Spaß auch an Sprache und Sprachkunst, deutlich anzumerken. Stellenweise gehen sie dem Bösen wie Geschichtenerzähler auf den Grund, nähern sich ihm mal in wissenschaftlichem, mal essayistischem Stil und erlauben es dabei nicht zuletzt, den Sammelband – und das ist als Kompliment zu verstehen – nicht nur als ein einem eingeschränkteren Lesekreis gewinnbringendes Fachbuch zu verstehen, sondern auch als ein einer breiteren Öffentlichkeit zugängliches Sachbuch. Dass man es hier mit einem Band von und für Buchliebhaber zu tun hat, zeigt sich übrigens nicht zuletzt an fein aufeinander abgestimmten, paratextuellen Details, vom Cover über die Farbgebung des Schmutztitels bis hin zum Seitenlayout, durch die der Verlag ein durchaus bibliophiles Werk auf den Markt gebracht hat.
Im Kontext des Bösen, so zeigt sich letztlich, gestaltet sich das Medium Buch als ener vielzitierte Kracauer’sche Seismograf der Gesellschaft, als Spiegelung soziokultureller Normen und Wert, des gesellschaftlich Erlaubten und Verbotenen – sei es aus Sicht des Autors, der Figur oder des Lesers damit auch des einzelnen Individuums, des Autors, der Figur, des Lesers. Obschon es nicht sein primäres Ziel ist, präsentiert sich der Band in seiner Suche nach dem Bösen in Mensch und Medium zugleich als Anschauungsbeispiel für ein Gegenprogramm zu Zensur. Genauso wenig, wie man das Böse in Individuum und Gesellschaft beseitigt, indem man es schlicht ignoriert oder negiert – und genau das zeigen viele der verhandelten Bücher, wie etwa der Beitrag von Ute Holl zu J.M. Coetzees Waiting for the Barbarians / Warten auf die Barbaren deutlich macht –, genauso wenig lässt sich der anthropologischen Konstante des Bösen entziehen, indem man entsprechende Bücher einer wie auch immer gearteten Negation unterlegt, sie tabuisiert, indexiert oder zensiert. Sie stattdessen wie bei Krajewski und Maye gezielt zur Sprache zu bringen, sie zu reflektieren und zu diskutieren, erweist sich hingegen als ebenso lehrreich wie unterhaltend und lässt hoffen, dass die Bösen Bücher einen Nachfolgeband nach sich ziehen mögen.
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