Wo ist ‚vorn‘?

Jamie Metzls Überzeugungsarbeit für Gentechnik am Menschen identifiziert Gegner und meidet Fragen

Von Juliane Prade-WeissRSS-Newsfeed neuer Artikel von Juliane Prade-Weiss

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jamie Metzls Band Der designte Mensch: Wie die Gentechnik Darwin überlistet (im Original: Hacking Darwin. Genetic Engineering and the Future of Humanity, 2019) sieht die Modifikation des menschlichen Genoms als unvermeidbare Zukunft an und macht sich zu Recht Gedanken über deren soziale und politische Konsequenzen. „Wir müssen einen Weg nach vorn finden“, mahnt er, um die Entfaltung unbegrenzter Machbarkeit im Erbe der nationalsozialistischen Eugenik zu verhindern. Aber wo ist „vorn“? Und was heißt hier „wir“? Letzteres ist für Metzl keine Frage: „wir als Spezies“, „wir Menschen“ seien bedroht und gefragt, würden aber auch mit ungeahnten Chancen zur Steigerung „unserer“ Potentiale versehen durch die Gentechnik. Diese Rhetorik beschwört eine Gemeinschaft, die es Metzl zufolge nicht gibt – zum einen genetisch nicht, weil der evolutionsbiologische Vorteil in Diversität liegt statt in Uniformität, wie er erklärt, und zum anderen politisch nicht, so dass eine „globale Harmonisierung“ des Umgangs mit Gentechnik schwierig werden wird, wie er beklagt. Metzls Spezies-Wir ist die Figur einer Vision, das mag man hinnehmen können, es bleibt aber die Frage nach dem „Vorn“, also dem, was die Vision sich vorstellt. In bester US-amerikanischer Tradition vertraut Metzl darauf, dies lieber in „einer guten Geschichte“ zu präsentieren als durch Thesen oder Hypothesen. Die narrative Präsentation komplexer gentechnischer Verfahren und ihrer lebensweltlichen Konsequenzen ist sicherlich begrüßenswert, das Problem ist aber: Metzls Geschichte ist nicht gut, obgleich er sich nicht zu knapp als erfolgreicher Autor von Science-Fiction-Romanen ausweist. Nach einem etwas steilen Einstieg, in dem er auf der zweiten Seite erläutert, dass er seine Spermien ins All zu schicken gewillt ist – im Dienste der Spezies selbstredend, nicht im Rahmen einer privaten Vision – lässt das weitere Narrativ stark nach und präsentiert Abziehbilder einer klinischen, managerbevölkerten Zukunft und einer grundsätzlich schmutzigen Vergangenheit. 

Die Verheißung der gentechnischen Optimierung des Menschen besteht bei Metzl in der Zukunft als einer effizienteren, bequemeren Variante der neoliberalen Gegenwart, also einer bloßen Steigerung. Was die Zukunft eigentlich zur solchen macht – das Moment der Unabsehbarkeit – liegt bei Metzl einzig im Bereich der Gefahr, die allerdings nicht von der Gentechnik ausgeht, sondern von ihrer mangelnden Akzeptanz in der Bevölkerung sowie ihrer „böswillig[en] oder versehentlich[en]“ Verwendung mit schädlichem Ausgang. Es ist unüberlesbar, dass Metzl im regierungsnahen US-Thinktank Atlantic Council tätig ist: Denken heißt in Metzls Band überzeugen und potentielle politische Gegner ausmachen. Darum ist der Band von argumentativen Inkohärenzen und unkommentierten Widersprüchen durchzogen, die jedoch seinem Anliegen nicht im Weg stehen: Hier geht es weder um populärwissenschaftliche Wissensvermittlung noch um das Wecken eines mündigen Risikobewusstseins, sondern um die Vermessung politischer Rhetorik zum Thema, die kaum verholen der Vision „globaler Harmonisierung“ der Gentechnik unter der Ägide der USA folgt. Dieses Projekt der Vermessung zeigt sich im Wesentlichen in drei thematischen Feldern:

Erstens ignoriert Metzls Band sämtliche vor der Gentechnik angestellten Überlegungen zur Perfektibilität des Menschen, in der etwa Rousseau die ambivalente Gabe sah, sich selbst formen zu können, dabei aber auch verformen zu müssen. Wenn Metzl schreibt, künftig werde „nicht mehr von natürlicher Selektion die Rede sein können“, denn sie „wird von uns selbst gelenkt werden“, dann erscheint Natur – entgegen einer jahrtausendealten Tradition des Denkens wie auch entgegen aktueller Natur- und Umweltwissenschaften – als Objekt und Diktat, auf das sich menschliches Handeln richtet, um sich zu befreien. Bereits Aristoteles aber sieht in der Selbstverfertigung durch technē, der Kunstfertigkeit, nichts anderes als die Natur des Menschen. Wiewohl Metzl die Wissenschaft über weite Strecken des Buches preist und ihren vermeintlichen Materialismus als die einzig vertretbare Weltanschauung des modernen Menschen ansieht, so schiebt er sie doch ohne Bedenken beiseite, wenn er auf Einzelfragen stößt, in denen die Wissenschaft zur Vorsicht mahnt und damit der kapitalistischen Matrix widerspricht oder anderes findet als das vorgegebene Ziel. Dann werden etwa Anthropologen, die im Überleben der Großelterngeneration eine Bedingung für die Herausbildung von Wissenszuwachs und Zivilisation sehen – beides immerhin eine Strukturvoraussetzung auch der Gentechnik –, unversehens als „revisionistisch“ gescholten. Das ist kein marginales Problem, sondern Symptom dessen, dass Metzl keine Vorstellung gesellschaftlichen Miteinanders oder gesellschaftspolitischer Verantwortung präsentiert, die das Spezies-Wir unterfüttern würde. 

So wirft er zwar Fragen auf wie jene, warum man nicht die Bildung armer und benachteiligter Bevölkerungen der Erde befördert, um das globale Wissen zu steigern, statt genetisch veränderte Autisten als Superhirne zu schaffen – schiebt sie aber beiseite mit dem Satz: „Das sind schwierige Fragen, die sich nicht so leicht beantworten lassen“. Zumindest nicht innerhalb einer neoliberalen Logik. Die auch kulturell vermittelten Grundfesten dieser Logik stellt Metzl an keiner Stelle in Frage. Selbst wenn er eine Studie zitiert, der zufolge Frauen für eine in-vitro-Fertilisation introvertierte Samenspender vorzögen, steht für ihn doch fest, dass das Ziel der Menschenzucht die Verstärkung als positiv geltender Merkmale wie „starke Extrovertiertheit“ ist. Dass solche Gegensätze unkommentiert bleiben, macht die Lektüre ärgerlich.

Dies prägt auch das zweite wichtige argumentative Feld Metzls: das Durcharbeiten durch Fronten von Gegnern der Gentechnik, das keineswegs auf Kompromissbildung aus ist, obgleich die Notwenigkeit des Aushandelns ständig beschworen wird. Metzls Band zeigt sich in weiten Strecken als ideologisch gefangen zwischen neoliberaler Machbarkeitsphantasie einerseits und evangelikalen Radikalen andererseits, was irritierend geistlose Polemiken gegen die Bibel mit sich bringt – bis etwa in der Mitte des Bandes eine Studie zu Wort kommt, die Lebenssinn und Spiritualität als lebensverlängernd einschätzt. Sogleich legt der Autor nahe, man solle sich beides zulegen, und schreitet zu einer Theodizee der Evidenz: Da die Gentechnik doch machbar ist, muss sie göttlicher Wille, ja gar Gebot sein. Schon auf der nächsten Seite werden „wertkonservativ“ nicht mehr jene Menschen genannt, die an Geist und Seele glauben, sondern die Linksliberalen. Das ist argumentative Kulissenschieberei, die darauf zielt, mit der anschließenden Diskussion der Eugenik des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts keine schwerwiegenden Fragen aufzuwerfen, sondern eine Konsequenz nahezulegen: Genetische Auswahl sei schlecht, wo sie unter staatlichem Zwang stattfinde – staatlicher Zwang, unter den für weite Kreise US-amerikanischer Politik auch eine staatliche Krankenversicherung, öffentliche Bildung, oder überhaupt Steuererhebung zählt. Folge die Zuchtwahl des Menschen am Menschen aber „positiven Werten“ wie dem Individualismus, sieht Metzl keine Gefahr. Das ist nicht überraschend, alarmierend wirkt aber der nächste Hakenschlag: Absolute Gleichheit könne nicht das Ziel der Freiheit sein, schließlich könne keine Gesellschaft wollen, dass jemand ins All fliege, der genetisch dafür ungeeignet ist und Schäden davonträgt. In diesem Gewand gemeinschaftlicher Fürsorge steckt eine paternalistische Wiedereinführung der Eugenik.

Drittens, der Klimawandel. Er erscheint bei Metzl nicht eigentlich als Handlungsfeld des Menschen, sondern als Herausforderung, der es sich durch genetische Anpassung (an wärmere Temperaturen) zu stellen gilt. Wenn Metzl von „Ökosystemen“ spricht, dann meint er die kontrastierenden Auffassungen deregulierender beziehungsweise regulierender Staatlichkeit, für deren Pole die USA und China einstehen. Während der Band mit Blick auf China die Werte des Individualismus betont, plädiert er doch im Fazit nicht für ökonomiegeleitete Deregulierung, wie es den ganzen Band über erscheinen kann, sondern – parallel zum Atomwaffensperrvertrag – für eben jene „globale Harmonisierung“, von der man das Beste annehmen möchte, die sich aber doch nicht anders liest als eine gentechnische Version US-amerikanischer Hegemonialansprüche.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Jamie Metzl: Der designte Mensch. Wie die Gentechnik Darwin überlistet.
Körber-Stiftung, Hamburg 2020.
424 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783896842763

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