Die richtige Stille gefunden

Julia Engelmann hat mit ihrem Debüt „Himmel ohne Ende“ einen berührenden, äußerst feinfühligen Adoleszenzroman vorgelegt

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich glaube, dass Gedanken unglaublich stark sein können. Wenn ich für mich spreche: Ich kann oft Dinge nicht ändern, wie sie sind, aber ich kann die Art ändern, wie ich darauf blicke. Schon allein daher finde ich, dass es von guten Gedanken gar nicht genug geben kann“, hatte die Autorin Julia Engelmann kürzlich in einem Interview erklärt.

Sie ist erst 32 Jahre alt und dennoch kann sie schon auf eine beachtliche künstlerische Biografie verweisen. Sie stand vier Jahre in Bremen auf der Theaterbühne, spielte zwei Jahre lang in der RTL-Soap „Alles was zählt“ die Rolle der Eishockeyspielerin Franziska Steinkamp und erreichte mit ihrem Poetry Slam-Text „Eines Tages, Baby“ mehr als 14 Millionen Viewer.

Nun hat Julia Engelmann einen berührenden, äußerst feinfühligen Adoleszenzroman vorgelegt, der um die Persönlichkeitsfindung der 15-jährigen Charlotte (von allen „Charlie“ genannt) kreist. Sie ist unglücklich verliebt in einen Mitschüler, an den sich ausgerechnet ihre beste Freundin Kati heran macht. Charlie fühlt sich verraten, zieht sich mehr und mehr zurück, mit ihren schulischen Leistungen geht es rasant bergab. Sie konsultiert eine Schulpsychologin, da sie im Unterricht unkonzentriert ist und durch plötzliche Weinkrämpfe auffällt.

Als Charlie acht Jahre alt war, ist ihr Vater sang- und klanglos verschwunden. Seitdem lebt sie allein mit ihrer Mutter, die später vom Kellner eines italienischen Restaurants ein Kind erwartet.

Alles ändert sich als Kornelius (genannt Pommes) auftaucht, es entwickelt sich eine innige Freundschaft zwischen Charlie und Pommes. Es ist nicht die klassische Liebesgeschichte, sondern eine zarte, tiefgründige Beziehung, die Charlie hilft, sich selbst wiederzufinden. Pommes steht für einen Perspektivwechsel, für das Öffnen neuer Türen und dafür, dass es immer Hoffnung gibt. „Der Junge hatte klare Gesichtszüge wie einer, der immer den Weg wusste, und wache Augen wie einer, der durch alles hindurchschauen konnte, durch alles Rauschen und alle Schichten, bis zum Kern.“

Julia Engelmann erzählt von den Irrungen und Wirrungen der Pubertät, von der Schwellenzeit, die ein Teenager durchlebt. Mal mehr, mal weniger schmerzvoll. Der größte Traum von Pommes und Charlie: einmal gemeinsam nach Paris fahren. Sie rauchen ihre erste Zigarette und gehen im kleinen See des namenlosen Ortes schwimmen. Sie sind vor allem geistige Verbündete. „Ich fühlte mich, als würde mein ganzes Leben hinter einer Glasscheibe ablaufen.“ Erst mit Pommes wird daraus für sie ein „Autofenster“, das sich auch öffnen und den Wind spüren lässt.

Julia Engelmann erzählt in einer knappen und völlig unprätentiösen Sprache. Sie zeichnet nach, wie aus einem stillen Mauerblümchen ein mutiger, selbstbewusster Teenager wird. Man nimmt diese Entwicklung aufmerksam wahr, ohne sich sicher zu sein, ob es dafür einen Schlüsselmoment gab. War es die Begegnung mit Pommes, oder war es die Öffnung der Sinne, das Entdecken des eigenen Ichs durch die Hesse-Lektüre? Ein kleines unscheinbares Weihnachtsgeschenk. Sie organisiert sich am Ende selbst einen Praktikumsplatz im Planetarium, wo sie „Himmel ohne Ende“ erleben kann.

„Vielleicht braucht man manchmal gar nicht die richtigen Worte, sondern bloß die richtige Stille“, heißt es im Roman. Stille als Mittel zur Einkehr, zur Selbstfindung und Selbstbefreiung. Das alles hat Debütantin Julia Engelmann auf wunderbar leichte Weise thematisiert.

Titelbild

Julia Engelmann: Himmel ohne Ende. Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2025.
336 Seiten , 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783257073232

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