Moralische Pflichten gegenüber Tieren

Philosophische Beruhigungsversuche

Von Björn SydowRSS-Newsfeed neuer Artikel von Björn Sydow

Auch wenn es besonders im Zusammenhang mit Tieren häufig so scheint, besteht die Aufgabe der Philosophie nicht darin, gestützt auf die Autorität höherer Erkenntnisquellen Nicht-Philosophen über das gute Leben und richtige Handeln zu belehren. Sie ist eher mit der harmloseren Aufgabe betraut, uns beim Nachdenken über uns selbst zu begleiten und es da zu vertiefen, wo wir in begriffliche Verwirrung und Unklarheit geraten. Deshalb möchte ich die folgende Vorstellungen einiger Gedankengänge aus der gegenwärtigen tierethischen Diskussion von einem beispielhaften Fall von Verwirrung ausgehen lassen.

S. geht durch die Unterführung am Bahnhof. Etwas ziellos und verzögert, weil ihr Zug erst in 20 Minuten abfährt, lässt sie sich an den Rand drängen und steht mit einem Mal Auge in Auge mit einem Orang-Utan, der sie aus dem Plakat einer Tierschutzorganisation heraus anblickt. Die Abbildung des Affen ist gestochen scharf mit ausgeprägten Farbkontrasten, die Augen des Tieres drängen sich mit ihrem stummen Vorwurf auf ähnlich intensive Weise in das Bewusstsein der Betrachterin wie die Augen des hungernden Kindes, das auf einem großen Plakat am Bahnsteig zu sehen ist, mit dem eine kirchliche Organisation zur Spende aufruft.

S. ist zu diesem Zeitpunkt ein wenig erschöpft. Sie sieht sich in ihrem Leben einer Vielzahl von Anforderungen ausgesetzt, die an ihr zerren. Ständig hat sie das Gefühl, Dinge schuldig zu bleiben, ihren Freunden, ihrer Familie, aber auch sich selbst, weil sie sich allzu häufig treiben lässt, ihre Zeit vertut, anstatt ernsthaft an dem zu arbeiten, worin sie ihre eigentliche Bestimmung sieht. Außer der Teilnahme an ein paar Demos und regelmäßigen Wahlgängen vermochte sie in den letzten Jahren nichts zur Erfüllung ihrer Bürgerpflichten beizutragen und durchzogen sind all diese Rollen noch von den Ansprüchen, unter die sie sich als moralisches Subjekt gestellt sieht. Denn S. ist überzeugt, dass sie allen Menschen, unabhängig in welchen konkreten Verhältnissen sie zu ihnen steht, gleiche Achtung schuldet. Vieles von dieser Achtung ist schon geleistet, wenn sie nur das Übliche tut, aber sie weiß, dass das nicht immer reicht. Wie viele von uns ist S. geplagt davon, dass wir unser Leben auf eine Weise organisieren, die andere ausbeutet und erniedrigt. Es ist nicht einfach so, dass der moralische Anspruch zu helfen immer noch besser erfüllt werden könnte. Dann könnte sich S. noch damit beruhigen, dass die Pflicht zur Hilfe eben strukturell offen ist und nicht allzu überfordernd ausgelegt werden sollte. Vielmehr ist unser normales Leben und Zusammenleben so, dass es über berechtigte und grundlegende Ansprüche hinweggeht und die Versuche, daran etwas zu ändern, meist verpuffen oder durch die Komplexität der Verhältnisse gar in ihr Gegenteil verkehrt werden. Unfähig, sich aus ihren moralischen Verpflichtungen zu lösen, versucht S. hier und da einen Beitrag zu leisten und verbietet sich dabei rührselige Gewissensberuhigung ebenso wie den unbeschwerten Genuss aller verfügbaren Optionen.

Und jetzt auch noch die Tiere! In der Bahnhofsunterführung vor den Orang-Utan-Augen schieben sich unter die anstrengenden Ansprüche, die von Menschen ausgehen, nun auch noch deren Ansprüche. Der Blick des Orang-Utans soll den Betrachter an seine Verantwortung für diese in weiter Ferne lebende Spezies erinnern, doch S. treffen durch diesen Blick die sehnsüchtigen Augen des Löwen im städtischen Zoo, die Blicke der Versuchstiere aus den Laboren von Hirnforschern und Medizinern, und der Kreaturen, die hinter Stallmauern eingepfercht ihrer Schlachtung entgegen dämmern. S. war die moralische Klage gegen diese Praktiken natürlich nicht fremd. Bislang hatten sie diese Vorwürfe aber nicht wirklich getroffen. Ihr war es lieber, wenn sie Fleisch essen konnte, dem nicht der Makel der Massenware anhaftete; aus diesem Grund verzichtete sie häufig darauf, doch sie hatte den Eindruck, dass diese Entscheidung jenseits der Dinge lag, zu denen man mit moralischer Schärfe genötigt ist. So sah S. es auch nicht als ihre Pflicht an, die Verhältnisse grundlegend zu ändern. Das Leben wäre ihr netter erschienen, wenn die anderen ihre Vorliebe für einen weniger verbrauchenden, weniger brutalen Umgang mit Tieren geteilt hätten, sie geriet durch diesen Unterschied aber nicht in empörte Opposition zu ihrer Gesellschaft, wie sie es wäre, wenn Menschen für die Erfüllung bestimmter Funktionen gezüchtet oder ohne Wissen und Zustimmung zu Forschungszwecken missbraucht worden wären. Dieser Unterschied zwischen den Menschen als Trägern moralischer Ansprüche, an deren Erfüllung man unausweichlich gebunden ist, und Tieren, die man zwar gut oder schlecht behandeln kann, jedoch ohne dass man ihnen gegenüber zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet wäre, verschwimmt S. nun. Der Blick des Orang-Utans gemahnt sie ebenso wie jeder menschliche Blick an unbestreitbare moralische Ansprüche seines Trägers. So steigern sich die Spannung und der Zwiespalt, in denen sich S. als exemplarisches moralisches Subjekt unserer Zeit ohnehin schon befindet, sie drohen den Freiraum, den S. sich bislang für sich selbst bewahren konnte, ganz zu erdrücken und sie von ihrem eigenen moralischen Standpunkt zu entfremden.

Der Philosophie kommt nun die Aufgabe zu, zur Beruhigung von S. beizutragen. Sie muss versuchen, ihr ein Selbstverständnis als moralisches Subjekt anzubieten, das weder den moralischen Kern der Achtung für Menschen verwischt, noch die Wirkung des Orang-Utan-Blicks ganz als Deformation ihrer Urteilskraft abtut und etwa aus der Anlehnung an die Plakate mit Menschenantlitzen erklärt.

Ein erster Beruhigungsversuch lässt sich aus tugendethischer Perspektive formulieren. Tugenden sind Haltungen, die uns in die Lage versetzen, in konkreten Situationen aus den richtigen Gründen zu handeln, anstatt sich von Affekten getragen gegen die Vernunft zu wenden. Nur ein Leben in der Ausübung unserer Vernunft ist ein gelingendes menschliches Leben, sodass wir uns selbst verfehlen, wenn wir lasterhaft handeln. Die einzelnen Tugenden werden so zusammen erworben, dass für die tugendhafte Person die ausschlaggebenden Gründe in einer Situation besonders hervortreten, während andere zum Schweigen gebracht werden. Nach Hursthouse 2014 kommt beim Umgang mit Tieren die Tugend des Mitgefühls ins Spiel. Durch diese Tugend werden wir zwischen den Lastern der Empathielosigkeit und Überidentifikation dazu gebracht, leidensfähige Wesen angemessen zu behandeln, während wir als Gerechte erfüllen, was wir uns im Zusammenleben wechselseitig schulden. Dabei ist es naheliegend, dass die Tugend der Gerechtigkeit in Abgrenzung zur Tugend des Mitgefühls ausgebildet wird. Wenn wir lernen, dass andere Träger von Ansprüchen sind, werden wir offen für einen Grund, der unabhängig und gegen alles Empfinden vorliegt und die darin erschlossenen Gründe zum Schweigen bringt.

Durch das Plakat erfährt S., dass es nicht ganz richtig ist, den anderen kritiklos jeden Umgang mit Tieren zuzugestehen und sich selbst immer wieder die Ausnahme verlockenden Fast Foods zu gönnen. Aber sie kann auf dieses Unwohlsein nur dadurch reagieren, dass sie die Tiere in den Bereich der Gerechtigkeit aufnimmt, was sie zunächst überfordern und dann vielleicht jede Orientierung in Fragen der Gerechtigkeit verlieren lassen wird. Mit unserem tugendethischen Modell kann die moralische Verfehlung, die ihr hier zu Bewusstsein kommt, von der Verfehlung der Ungerechtigkeit unterschieden werden. S. könnte feststellen, dass sie die Ansprüche, die sich von leidensfähigen Wesen her ergeben, ernster nehmen muss als bisher, weil Mitgefühl zu einem tugendhaften menschlichen Leben gehört. Zugleich wären diese Ansprüche aber von denen, die unter der Tugend der Gerechtigkeit von Menschen ausgehen, deutlich unterschieden und zu diesen in ein Verhältnis gesetzt. Das Leid der Tiere bildete einen Grund unter anderen gewichtigen Gründen, aber es wäre einer, der durch Forderungen der Gerechtigkeit zum Schweigen gebracht würde.

Ich denke, S. würde angesichts dieses Vorschlags Aufklärung darüber fordern, warum denn die Gerechtigkeit auf Menschen beschränkt ist und warum überhaupt Menschen und Tiere Gründe liefern, die alle Menschen auf bestimmte Handlungen festlegen. Darauf lässt sich im Rahmen der Tugendethik vielleicht am besten reagieren, indem man die in den Tugenden verankerte Ordnung der praktischen Gründe als eine versteht, die wir von innen heraus entdecken und der wir uns als Menschen nicht entziehen können, weil sie sich mit Gewissheit aufdrängt (Vgl. Thompson 2017). Dementsprechend wäre die Verunsicherung von S. gerade ein Hinweis darauf, dass sie mit der gegenwärtigen Verfassung ihrer praktischen Vernunft hadert, dass sie also im Grunde spürt, dass sie Tiere nicht nur aus einer zufälligen Vorliebe heraus – und deshalb auch nur so weit, wie diese Vorliebe eben reicht – gut behandeln sollte. Die gespürte Unvollkommenheit des eigenen Charakters und das damit zusammenhängende schlechte Gewissen brächte das Misslingen des eigenen Lebens zum Ausdruck, das ja darin bestünde, auf die richtigen Gründe zu antworten.

Diese Idee einer von innen heraus erschlossenen praktischen Vernunft, deren Prinzipien wir letztlich nicht noch einmal rechtfertigen können, passt gut zu der Art und Weise, wie sich S. ihren moralischen Gründen ausgesetzt sieht. Doch in dieser tugendethischen Fassung ist S. darauf festgelegt, mit der Ordnung der Gründe, der sie sich nicht entziehen kann, zugleich zu entdecken, was für sie ein gelingendes Leben ist. Als nachromantisches Subjekt, das sie ist, wäre S. sicherlich nicht einverstanden damit, darauf festgelegt zu sein, gerade in der Ausbildung und Ausübung der Tugend ihr Leben gelingen zu sehen. Die moralischen Pflichten drücken so schwer auf S., weil sie eigentlich noch anderes zu tun hat; eigentlich arbeitet sie nämlich am Projekt ihrer Selbstverwirklichung, ringt sie um Ausdruck, den sie – soviel scheint gewiss – nicht in der vorbildhaften Gestalt des Tugendhaften finden wird. Das Problem ist nicht bloß die subjektive Relativität der Dinge, die uns so glücklich machen, sondern dieser besondere Prozess der Selbstverwirklichung, der nicht als das Ausfüllen einer vorgegebenen Form gedacht werden kann (Vgl. Menke 2011).

Unpassend kann S. das begriffliche Gewand der Tugendethik außerdem erscheinen, weil es den Charakter der unbedingten Nötigung verzerrt, mit dem die moralischen Forderungen an sie herantreten. Zu dieser Unbedingtheit passt nicht, dass es in ihrer Erfüllung auch um das eigene Glück geht. Denn dadurch verwandelt sich das moralisch Geforderte in etwas, das um des eigenen Glückes willen gefordert ist, und das schwächt die Dringlichkeit der Forderung deutlich ab. Für S. hat der Vorwurf, sich nicht um ihr Glück zu kümmern, einen eher bemitleidenden und weniger nötigenden Charakter als der Vorwurf, die moralischen Ansprüche anderer zu verletzen – und im tugendethischen Modell lassen sich beide nicht mehr richtig voneinander trennen.

Lassen wir also den Begriff der Tugend fallen und versuchen wir, S. ein zweites Angebot mit Hilfe des Begriffs des Guten zu machen. Die Beruhigungsstrategie der Tugendethik bestand darin, das moralische geforderte Handeln nicht nur als gerechtes Handeln im engen Sinn zu verstehen und dann einen Unterschied an Verbindlichkeit in diesen weiten Raum der moralischen Gründe einzutragen. Auf ganz ähnliche Weise gehen auch manche werttheoretische Ansätze vor, nach denen eine Handlung gut ist, je nachdem, was sie eben zum Guten beiträgt, das heißt zur Schaffung oder Erhaltung der Dinge, die wertvoll sind. Zunächst scheint dieser Ansatz alles andere als beruhigend. Zum Guten kann vieles gehören: Menschen, Tiere, die Umwelt, das Klima, Kunst, Freundschaft, Liebe und so weiter. Wir könnten uns ständig um das Gute bemühen und es bliebe immer noch vieles mehr zu tun, selbst wenn man sich auf wenige Dinge beschränkte, die besonders wertvoll sind. Zum Glück sehen einige moralphilosophische Autoritäten das anders und bestreiten die verpflichtende Kraft des Guten. Das Plakat mag die Aufmerksamkeit auf etwas Gutes lenken, aber allein der Umstand, dass wir darauf aufmerksam werden, führt noch nicht zur Verpflichtung, uns für dieses Gute einzusetzen. Auch S. wird sich kaum zufriedengeben, denn zumindest im Umgang mit Menschen gibt es ja für sie fraglos Anforderungen, denen sich moralische Subjekte nicht entziehen können.

Eine Reaktion darauf im Rahmen des werttheoretischen Paradigmas besteht in der Erweiterung des Ansatzes um den Begriff der Pflicht als sozialer Forderung. Wir werden zu moralischen Subjekten, so der Gedanke von Wolf 2009, indem wir in ein System sozial geforderter guter Handlungen hineinwachsen. Dabei wird davon ausgegangen, dass aus dem Wissen um die im Zusammenleben einer bestimmten Gruppe von Menschen besonders wertvollen Dinge und Handlungen ein System wechselseitiger Forderungen entstanden ist. Wir können S. folglich damit beruhigen, dass sie an ihrer ursprünglichen Haltung gegenüber Tieren festhalten kann. Zwar ist die gute Behandlung aus der Perspektive unseres werttheoretischen Ansatzes nicht einfach etwas, das man subjektiv besser findet, sondern etwas, das objektiv besser ist, aber es bleibt doch dabei, dass dieser Bereich des Guten aus dem Bereich der moralischen Pflichten ausgeschlossen ist, weil wir als Gesellschaft nicht darin übereinstimmen, dass wir dieses Gute von einander einfordern sollten – wie wir auch nicht darin übereinstimmen, dass wir voneinander mit moralischer Härte verlangen sollten, keine SUV zu fahren, obwohl es offensichtlich falsch ist.

Vermutlich wäre S. noch nicht zufriedengestellt. So könnte sie darauf hinweisen, dass ihre Beunruhigung doch auch bedeuten könnte, dass sich in dem, was wir voneinander moralisch fordern, gerade etwas verändert. Wirklich hart lässt sich die Grenze zwischen dem bloß Guten und dem verpflichtend Guten in diesem Ansatz nicht bestimmen und damit auch keine wirklich solide Beruhigung gewinnen. Überhaupt scheint hier problematisch, dass der Inhalt der moralischen Pflichten von der Gesellschaft festgelegt wird. Zwar kann nicht irgendetwas zur Pflicht werden, sondern nur gute Handlungen, aber die Auswahl der Pflichten aus dem Bereich der guten Handlungen liegt bei der Gesellschaft. S. könnte bemängeln, dass ihr Gefühl der Nötigung wesentlich an den Inhalt der Pflicht geknüpft ist. Sie fühlt sich verpflichtet, Menschen die nötige Achtung entgegenzubringen und ist sich unsicher, ob sie das nicht auch noch anderen ähnlichen Wesen schuldet. Nur diese Ähnlichkeit zum unbestreitbaren inhaltlichen Kern der moralischen Pflicht qualifiziert den Anspruch der Tiere als Kandidaten einer bislang nicht richtig beachteten Pflicht. Ihr Verständnis der moralischen Pflicht lässt die inhaltliche Variabilität in Abhängigkeit von einer gesellschaftlichen Auswahl nicht zu. S. würde sich nicht verunsichern lassen, wenn man von ihr forderte, sich für mehr Kunst und weniger schlechte Unterhaltung einzusetzen – auch wenn dabei vielleicht tatsächlich dem Guten gedient wäre. In der betrachteten Beruhigungsstrategie ist es möglich, dass andere gute Handlungen als die des Respekts vor Menschen ins Zentrum der Moral rücken und die für S. selbstverständlichen moralischen Pflichten ihren zentralen Stellenwert verlieren. Da für S. die moralischen Pflichten untrennbar mit einem spezifischen Inhalt verknüpft sind, gehört es für sie zur Moral, sich einem solchen Prozess gerade zu widersetzen. Ähnlich wie die Abhängigkeit des moralisch Geforderten vom guten Leben in der Tugendethik zieht dessen Abhängigkeit von der gesellschaftlichen Übereinstimmung eine Modifikation im Verständnis der moralischen Pflichten nach sich, sodass S. sich nur um den Preis beruhigen lassen könnte, dass sie sich ihre vortheoretischen Gewissheiten zurechtrücken ließe.

Die Tierethik ist seit ihrer Belebung im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts von einem Ansatz geprägt, der das Gute auf einen Wert konzentriert, nämlich auf die Summe des Wohls empfindungsfähiger Wesen (Vgl. Singer 2014). Wer dieses mehren möchte, der muss so viel Leid wie möglich vermeiden. Damit scheint zunächst kaum eine Beruhigung verbunden. Die vorwurfsvollen Augen des Orang-Utans rufen S. ja gerade das Leid der Tiere ins Bewusstsein. Zur Beruhigung kann man vor diesem Hintergrund jedoch mittels der Unterscheidung zwischen verschiedenen Arten von Wohl und Leid gelangen. So könnte man zu zeigen versuchen, dass der Tod nur unter bestimmten Voraussetzungen als Leid oder Schaden zu verstehen ist oder vielleicht auch, dass die Ausbildung und Ausübung menschlicher Fähigkeiten höherwertiger sind, sodass ihrer Beförderung besonderes Augenmerk zukommen muss, wenn man sich um das Gute kümmert. Gestützt auf die offensichtlichen Unterschiede zwischen Menschen und Tieren bietet der utilitaristische Zugang offenbar Raum, Tiere und Menschen in der Kalkulation des besten Handelns gleichermaßen zu berücksichtigen und doch die Menschen eine bedeutendere Rolle spielen zu lassen. Überdies scheint es zumindest in bestimmten Kontexten so zu sein, dass wir individuelles Leid zusammenzählen, um uns zwischen Handlungsoptionen zu entscheiden, was für die Gültigkeit des Nutzenprinzips spricht.

Im Lichte der vorangehenden Überlegungen ist dieser Vorschlag mit einem grundlegenden Makel behaftet. Oben wurde bezweifelt, dass alleine mittels des Guten und seiner Mehrung der spezifische Charakter der moralischen Nötigung erfasst werden kann, weshalb das Element sozialer Forderungen ergänzt wurde. Eine solche Ergänzung hält der utilitaristische Ansatz nicht bereit, sodass moralische Subjekte nur insofern zum moralische Handeln genötigt sind, als sie sich dazu aufgefordert sehen, vernünftig zu sein. Der Vorwurf, unvernünftig zu sein, unterscheidet sich jedoch von dem Vorwurf, unmoralisch zu sein und ich denke, wir können davon ausgehen, dass S. diesen Unterschied kennt. Vor ihrem Erlebnis mit dem Orang-Utan wird es ja beispielsweise für sie die Möglichkeit eines Fehlverhaltens gegenüber Tieren gegeben haben, bei dem sie sich nicht mangelnde Moral, aber möglicherweise mangelnde Vernünftigkeit vorgeworfen hat.

In erneute Unruhe müsste S. außerdem der Gedanke stürzen, dass manche Tiere doch auch vieles können, was wir nicht können – und mehr noch, dass manche Tiere unseren besonderen menschlichen Fähigkeiten näher sind als manche Menschen. Die Invasion tierischer Ansprüche in den Bereich der moralischen Pflichten kann nur durch eine genaue und revidierbare Klärung der einschließenden Eigenschaften verhindert werden, ein Prozess, der offen dafür sein muss, unter Umständen manche Tiere einzulassen und manche Menschen zu entfernen. Damit könnte gerade für S. vor dem Orang-Utan-Plakat fragwürdig werden, ob sie sich tatsächlich beruhigen dürfte. (An die Öffentlichkeit geriet die tierethische Diskussion ja auch tatsächlich mit der schrillen Forderung nach einer moralischen Aufwertung von Primaten gegenüber Personen.) Noch viel mehr müsste sich S. aber an der bloßen Möglichkeit stoßen, dass der Anspruch menschlicher Individuen in Frage gestellt werden kann. Eine Verpflichtung gegenüber den meisten Menschen wird zwar wiedergewonnen, weil sie sich aus der Verpflichtung gegenüber dem Guten ergibt, aber eben nur indirekt, weil sie als Teile des Guten wertvoll sind, und unvollständig, weil es sein kann, dass nicht alle die nötigen Eigenschaften haben oder in einer Situation schlicht nicht alle berücksichtigt werden können.

Dieselbe problematische Lockerung ihrer moralischen Verbindung zu Menschen würde S. wohl bei dem tierethischen Gegenspieler des Utilitarismus stören. Die sogenannte Rechtetheorie verknüpft die von Tieren und Menschen geteilte Eigenschaft, als Subjekt auf die Welt ausgerichtet zu sein, mit einem inhärenten Wert, den er als Quelle von Rechten begreift und damit die normative Kraft zuspricht, uns zu moralischer Achtung zu verpflichten (Vgl. Regan 2008). Alle Träger dieser besonderen Eigenschaft werden zu Trägern derselben grundlegenden Rechte, die dann je nach Fähigkeiten genauer gefasst werden. Letzteres ließe wieder Raum zur Rekonstruktion zentraler Unterschiede zwischen Mensch und Tier. Auf diese Weise wird zwar die Spezifik der moralischen Nötigung greifbar und es wird vermieden, dass die Ansprüche der einzelnen sich erst aus der Bestimmung der guten Handlung durch das Nutzenkalkül ergeben. Aber die Verpflichtung gegenüber Menschen folgt nicht mehr direkt aus ihrem Menschsein, diese Verbindung wird auch hier gelöst und durch die Verpflichtung aufgrund der Eigenschaft des Subjektseins ersetzt. Was zunächst nach einer etwas spitzfindigen begrifflichen Unterscheidung aussieht, die die Nicht-Philosophin S. kaum beschäftigen dürfte, hat jedoch handfeste inhaltliche Konsequenzen. Zwar scheint es auf den ersten Blick so, als würden Menschen wie Tiere davor geschützt, ihren moralischen Status aufgrund kühler Abwägung unter dem Nutzenprinzip einzubüßen, trotzdem lassen sich zentrale Elemente der moralischen Achtung gegenüber Menschen nicht mehr richtig verständlich machen, wenn diese an eine mit Tieren geteilte Eigenschaft geknüpft ist. Denn Verpflichtungen gegenüber Menschen bleiben bestehen, auch wenn diese die Eigenschaft des Subjektseins unwiederbringlich verloren haben, was sich zum Beispiel daran zeigt, dass wir verstorbene Menschen nicht einfach essen, sondern uns verpflichtet sehen, sie würdig zu bestatten (Vgl. Diamond 2008). Das lässt sich nicht einfach durch den Verweis auf Bedürfnisse klären, die sich aus weiteren spezifisch menschlichen Fähigkeiten ergeben, weil S. sicherlich auch keine Menschen essen würde, die sich über eine basale Komplexität des Subjektseins niemals hinaus entwickelt haben. Auch Menschen, denen diese Eigenschaft vielleicht nie richtig zugeschrieben werden kann, würde S. nicht einfach als Sachen behandeln, als leere Hüllen, die keinen Wert haben, nie einen bekommen und entsorgt werden können.

Die klassischen Ansätze der Tierethik sind für eine Lösung der Spannung, in die S. geraten ist, offenbar ungeeignet, weil sie Menschen und Tiere auf dieselbe Weise über spezielle mentale Eigenschaften moralischen Status erlangen lassen. Wenn man den besonderen Status von Menschen einmal aufgelöst hat, dann lässt er sich nicht durch weitere begriffliche Operationen wiedergewinnen, zumindest nicht im ursprünglichen Sinne. Betrachten wir daher zum Abschluss noch einen Vorschlag, der zunächst einmal diesen besonderen Status verständlich zu machen versucht, indem er die moralischen Pflichten gegenüber Menschen als Pflichten erläutert, die aus einem spezifischen sozialen Verhältnis entspringen. Ein soziales Verhältnis ist eines zwischen Subjekten, die die Anforderungen, die sich aus ihrer jeweiligen Stellung in dem Verhältnis ergeben, als Handlungsgründe aufgreifen können, die also nicht einfach dadurch Subjekt sind, dass sie sich auf die Welt beziehen. Ein soziales Verhältnis in diesem Sinne ist eine Gemeinschaft, die ihren Mitgliedern Verpflichtungen auferlegt, im Falle der moralischen Gemeinschaft die Verpflichtung zur moralischen Achtung gegenüber allen anderen Mitgliedern. Moralische Subjekte können sich diesem Selbstverständnis als Mitglieder der moralischen Gemeinschaft nicht entziehen und sehen sich so zur Beachtung der entsprechenden Pflichten genötigt.

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob auf diesem Wege ein Maximum an Beruhigung erreicht werden könnte, weil Tiere ja viele Fähigkeiten haben können, aber noch keines wirklich die Rolle eines Mitglieds in irgendeinem menschlichen Club befriedigend ausgefüllt hat. Falls S. selbst Einblick in die tierethische Forschungslandschaft hat, wird sich diese Beruhigung aber nicht ohne Weiteres einstellen. Dazu müsste sie sich zunächst mit einem Ansatz auseinandersetzen, der eine Antwort auf die Frage zu geben versucht, weshalb wir uns eigentlich als Mitglieder der moralischen Gemeinschaft zu verstehen haben und der behauptet, dass es die richtige Beantwortung dieser Frage unvermeidlich macht, Tiere als Mitglieder ohne Pflichten mit in die moralische Gemeinschaft aufzunehmen (Vgl. Korsgaard 2014). Damit wären wir den Anforderungen der Tiere dann wieder mit aller erdrückenden Intensität ausgesetzt. Doch gehen wir davon aus, dass S. bislang wenig Zeit hatte, sich eingehender mit Immanuel Kant und der Tierethik zu beschäftigen. Wir können uns zudem mit dem Gedanken beruhigen, dass es vielleicht gar nicht angemessen ist, nach einer Rechtfertigung für die Unausweichlichkeit dieser Mitgliedschaft zu fragen.

S. zumindest käme die Frage vermutlich unnötig vor, zumindest wenn die Mitgliedschaft ihre moralischen Pflichten wirklich erklärt. Daran muss sie bislang allerdings noch zweifeln, denn der Mitgliedsansatz wirft noch mindestens zwei Probleme auf, die ihn als moralisches Selbstverständnis von S. disqualifizieren. Zum einen sieht S. sich nach wie vor von allen Menschen unter moralische Ansprüche gestellt und nicht nur von jenen, bei denen es angemessen ist, sie als Träger moralischer Pflichten zu begreifen. Zum anderen scheint der Ansatz S. zu zwingen, ihr Erlebnis mit dem Orang-Utan ganz als begriffliche Verwirrung abzutun. Während die drei anderen Vorschläge darum bemüht waren, die Verbindung der Tiere zur Moral herzustellen und doch einzudämmen, gewährt die gegenwärtige Strategie Beruhigung offenbar nur um den Preis der radikalen Ausgrenzung der Tiere.

Ein Lösungsangebot für das erste Problem stützt sich auf den Gedanken, dass die Moral wesentlich die Funktion hat, für stabile gesellschaftliche Verhältnisse zu sorgen. Ganz grob bedeutet das wohl, dass Konflikte vermieden werden, wenn alle sich verpflichtet sehen, den anderen mit Achtung zu begegnen. Das eröffnet Raum, die moralische Gemeinschaft so zu fassen, dass sie diese Funktion auch tatsächlich erfüllen kann. Für den Einschluss sogenannter menschlicher Nicht-Personen, also Menschen, die nicht die Fähigkeit haben, selbst Träger von Pflichten zu sein, wird dann mit dem Hinweis darauf argumentiert, dass sich viele Menschen Nicht-Personen so sehr verbunden sehen, dass deren Ungleichbehandlung die Gesellschaft destabilisieren würde (Vgl. Carruthers 2014). Bedenkt man die empfindliche Reaktion von S. auf alle Versuche, die moralischen Pflichten gegenüber Menschen von etwas anderem abhängig zu machen, dürfen wir zurecht bezweifeln, ob sie sich mit diesem Vorschlag zufrieden geben könnte. Möglicherweise gibt es Mittel, so könnte sie überlegen, die noch problemloser für Stabilität sorgen als die Erziehung moralischer Subjekte. Manch einer sieht ja zum Beispiel gerade darin die große Stärke freier Märkte. Selbst wenn jemand S. davon überzeugen würde, dass es uns allen am besten ginge, wenn wir nicht so sehr auf die Moral, sondern auf freie Märkte setzten, würde das bei ihr nicht an der Verbindlichkeit der moralischen Forderungen kratzen. Diese bestehen offenbar nicht, weil damit eine Funktion erfüllt wird. Zum Charakter der moralischen Forderungen gehört ihre Bedingungslosigkeit, das heißt S. würde an ihnen festhalten, auch wenn alle anderen sagen, dass das Leben doch insgesamt viel einfacher wird, wenn wir die zwischenmenschlichen Verhältnisse von anderen Kräften bestimmen lassen. Wenn die Moral für S. nicht an die Funktion der Stabilität gebunden sein kann, dann kann aus dieser Funktion auch keine Erweiterung auf alle Menschen abgeleitet werden.

Meines Erachtens kommt man zur Lösung des ersten Problems ohne den Bezug auf eine mögliche Funktion der Moral aus, indem man sich allein an den Inhalt dessen hält, wozu sich S. Menschen gegenüber verpflichtet sieht. Um S. zu überzeugen, ist man gezwungen, diesen Inhalt als das zu verstehen, worauf Mitglieder der moralischen Gemeinschaft festgelegt sind. S. würde wohl der Behauptung zustimmen, dass es zur moralischen Achtung gehört, dass wir sie dem anderen vorbehaltlos entgegenbringen. Auch wenn die Mitglieder der moralischen Gemeinschaft Subjekte sind, von denen wir die Erfüllung moralischer Pflichten erwarten, so hängen unsere Pflichten nicht oder zumindest nicht vollständig daran, dass sie jetzt gerade in der Lage oder willens sind, ihre moralischen Pflichten zu erfüllen. Unbestreitbar scheinen die Ansprüche, unter die sie uns stellen, nicht ganz unabhängig davon, wie sie sich verhalten: Vor jemandem, der ständig unter Beweis stellt, dass ihn moralische Ansprüche kalt lassen, werden wir uns in Acht nehmen und ihn in vielen Belangen sanktionieren. Wenn von ihm eine Gefahr ausgeht, dann werden wir uns nicht auf dieselbe Weise zur Hilfe verpflichtet sehen, wie wenn das nicht der Fall ist. Trotz dieser Abhängigkeit vermag niemand das Band ganz zu lösen. Er behält seine Mitgliedschaft in der moralischen Gemeinschaft, in der wir uns mit ihm verbunden sehen, weil es im wahrsten Sinne des Wortes unmoralisch wäre, ihn zu foltern oder zu demütigen. Wie es ein schales Verständnis von Liebe ist, wären wir von den Pflichten der Treue und Fürsorge, die sich aus einer Liebesbeziehung ergeben, entbunden, wenn der andere die Fähigkeiten eines liebenden Gegenübers einbüßt, so verfehlte man den Sinn der Moral, wenn alle diejenigen aus der moralischen Gemeinschaft herausfielen, die eine Zeit lang die Fähigkeiten einbüßen, die ein ideales Mitglied der moralischen Gemeinschaft hätte. Um diese Vorbehaltlosigkeit zu gewährleisten, darf auch das Mitglied-Werden nicht einfach an den Nachweis solcher Fähigkeiten gebunden sein. Um auch hier noch einmal die Analogie zur romantischen Liebe zu bemühen, so wäre es ebenso merkwürdig die geliebte Person zunächst einmal zu prüfen, bevor man sich ihr verschreibt. Es ist ein schreckliches Erwachen, mit der Zeit festzustellen, dass der andere diese Voraussetzungen nicht erfüllt; sich gegen dieses Erwachen zu wappnen, lässt aber das unerreichbar werden, was eine vorbehaltlose Liebe ausmacht. Genauso ist es bezüglich der Moral merkwürdig, die Aufnahme in die moralische Gemeinschaft zunächst nur probeweise zu gewähren, um herauszufinden, ob eine Person die charakterliche Ausstattung für ein gewinnbringendes Gemeinschaftsleben mit sich bringt. Es wäre aber ebenso fatal, die Mitgliedschaft nicht zu begrenzen, also beispielsweise alle Tiere mit aufzunehmen, weil die Gemeinschaft auf diese Weise den Charakter einer Gemeinschaft von einander zur Achtung verpflichteten Personen verlöre, der ja den Gehalt und die Verbindlichkeit der moralischen Pflichten überhaupt erst verständlich macht. Wenn es nun ein Kriterium geben muss, durch das die Verbindung zu diesem Ideal gewahrt bleibt, dann kann dazu offenbar nur das Menschsein und nicht irgendeine andere Eigenschaft dienen.

In Bezug auf das zweite Problem haben die relationalen Konzeptionen moralischer Pflichten den Vorschlag indirekter Pflichten entwickelt, also Pflichten gegenüber Tieren, die sich letztlich auf Pflichten gegenüber Menschen zurückführen lassen, etwa weil sie den anderen wichtig sind. Ich denke, dass S. darin nicht ganz aufgegriffen fände, was sie in der Bahnhofsunterführung in Verwirrung stürzt. Die Erfahrung des Angesprochenseins durch die Orang-Utan-Augen, durch die hindurch sie entdeckt, wie ihr Tiere überhaupt Gründe liefern, auf eine bestimmte Weise zu handeln, Gründe, die sie unmittelbar als Forderungen erlebt und die sie deshalb zunächst mit moralischen Pflichten im engeren Sinne verwechselt, diese Erfahrung verweist sie ja auf die Tiere selbst, ohne den Umweg über sich oder andere Menschen. Diesem Gehalt ihrer Erfahrung lässt sich nicht gerecht werden, solange man davon ausgeht, dass Pflichten nur aus sozialen Verhältnissen zwischen moralischen Subjekten entspringen, wie es die kantische Aufteilung zwischen Personen und Sachen suggeriert (Vgl. zur Idee multikriterieller Ansätze in der Tierethik Wolf 2008). Der Begriff der Pflicht ist vielleicht auf korrespondierende Rechte angewiesen, es spricht aber nichts dagegen, Tiere als Träger von Rechten zu begreifen, auch wenn sie niemals selbst Träger von Pflichten, das heißt Mitglieder einer Gemeinschaft sein können. Daher können wir S. vorschlagen, die Ansprüche von Tieren als Pflichten zu verstehen, die sich für uns im Umgang mit Wesen ergeben, die von sich aus auf die Welt gerichtet sind, ihre eigenen Interessen ausbilden und leiden. Aus einer überlegenen Position, aus der Möglichkeit des Beherrschens und Gebrauchens, aber auch nur aus der Macht der Gestaltung der geteilten Lebensgrundlagen folgen Verpflichtungen gegenüber dem Unterlegenen und Beherrschten. Es ist nicht leicht, genauer zu fassen, worin diese Verpflichtungen bestehen, aber es scheint mir nicht unsinnig, sie so zu fassen, dass die Situationen, aus denen sie entstehen, nicht rundweg aufgehoben werden, dass es also eher um eine Begrenzung im Gestalten der gemeinsamen Umwelt, aber auch im Gebrauchen und Beherrschen geht als um deren Verbot. Solche Pflichten kann man als ebenso ursprüngliche moralische Nötigungen verstehen wie die Pflichten gegenüber Menschen, also nicht bloß als etwas, von dem wir entdecken, dass es gut für uns ist. Aber sie hebeln die Pflichten gegenüber den Menschen nicht aus, weil ihnen von Anfang an gleichsam eingeschrieben ist, wie sie von menschlichen Interessen und ebenso von den Pflichten gegenüber anderen Menschen begrenzt sind.

Sowohl Tiere als auch Menschen stellen uns in diesem abschließenden Ansatz unter Pflichten, aber auf je unterschiedliche Weise, weil die Pflicht zum einen einem sozialen Verhältnis zwischen moralischen Subjekten entspringt und zum anderen aus dem seiner Natur nach asymmetrischen Verhältnis zwischen moralischen und anderen Subjekten, die man mit ihren eigenen Interessen entweder berücksichtigen oder achtlos übergehen kann. Mit einem differenzierten Begriff der moralischen Pflicht erweist es sich als möglich, S. ein zu ihrem Erleben passendes Selbstverständnis als moralisches Subjekt vorzuschlagen. Wie wir gesehen haben, kann die philosophische Reflexion auch dazu führen, dass beides nicht zur Deckung kommt und die eigene, im Umgang mit der Welt ausgebildete moralische Haltung missverstanden wird. Auf welcher Seite die Missverständnisse tatsächlich liegen, wird sich nur in tiefergehender philosophischer Arbeit klären lassen, indem die Dimensionen der moralischen Pflicht genauer ausgearbeitet werden ebenso wie ihr Status in Prozessen der praktischen Überlegung, schließlich ein angemessenes Verständnis lebendiger Vernunftsubjekte und so weiter. Dabei darf nicht ausgeschlossen sein, dass sich die vorgeschlagenen Unterscheidungen als unhaltbar erweisen, wobei ich ganz froh wäre, wenn S. sich auch in diesem Fall nicht allzu leicht belehren ließe.

Literaturverzeichnis:

Carruthers, Peter (2014): „Warum Tiere moralisch nicht zählen“, in: Schmitz, F. (Hrsg.): Tierethik. Grundlagentexte, Berlin, S. 219-242.

Diamond, Cora (2008): „Fleisch essen und Menschen essen“, in: Wolf, U. (Hrsg.): Texte zur Tierethik, Stuttgart, S. 318-330.

Hursthouse, Rosalind (2014): „Tugendethik und der Umgang mit Tieren“, in: Schmitz, F. (Hrsg.): Tierethik. Grundlagentexte, Berlin, S. 321-349.

Korsgaard, Christine (2014): „Mit Tieren interagieren. Ein kantischer Ansatz“, in: Schmitz, F. (Hrsg.): Tierethik. Grundlagentexte, Berlin, S. 243-286.

Menke, Christoph (2011): „Was ist eine ‚Ethik der Authentizität‘?“, in: Kühnlein, M. u. M. Lutz-Bachmann (Hrsg.): Unerfüllte Moderne? Neue Perspektiven auf das Werk von Charles Taylor, Berlin, S. 217- 238.

Regan, Tom (2008): „Wie man Rechte für Tiere begründet“, in: Wolf, U. (Hrsg.): Texte zur Tierethik, Stuttgart, S. 33-39.

Singer, Peter (2014): „Ethik und Tiere. Eine Ausweitung der Ethik über unsere eigene Spezies hinaus“, in: Schmitz, F. (Hrsg.): Tierethik. Grundlagentexte, Berlin, S. 77-87.

Thompson, Michael (2017): „Formen der Natur: erste, zweite, lebendige, vernünftige, phronetische“, in: Kern, A. u. Ch. Kiezmann (Hrsg.): Selbstbewusstes Leben. Texte zu einer transformativen Theorie der menschlichen Subjektivität, Berlin, S. 29-77.

Wolf, Susan (2009): „Moral Obligations and Social Commands“, in: Newlans, S. und L. M. Jorgensen (Hrsg.): Metaphysics and the Good, Oxford, S. 343-367.

Wolf, Ursula (2008): „Die Mensch-Tier-Beziehung und ihre Ethik“, in: dies. (Hrsg.): Texte zur Tierethik, Stuttgart, S. 170-194.