Die Einführung des Ästhetischen als Kategorie in der Biologie

Ein Essay zur „Schönheit der Tiere“ von Christiane Nüsslein-Volhard

Von Carla SwiderskiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Carla Swiderski

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit der Schönheit der Tiere liegt der dritte Band der Reihe De Natura im Matthes & Seitz Verlag vor. Herausgegeben wird auch er von Frank Fehrenbach. Nach den kultur- und literaturwissenschaftlichen Studien Unort der Sehnsucht. Vom Schreiben der Natur von Wolfgang Riedel und Aussichten der Natur. Naturästhetik in Wechselwirkung von Natur und Kultur von Hartmut Böhme befragt diesmal eine Biologin das Konzept der „Natur“. Christiane Nüsslein-Volhard nähert sich über die Beobachtung, dass Menschen sich künstlerisch ausdrücken und schmücken, um zu gefallen. Damit sei „Schönheit“ in der menschlichen Kultur verankert. Zwar komme sie auch in der „Natur“ vor, in der Biologie würden Laute, Gerüche und Farben der Tier- und Pflanzenwelt jedoch nicht im Hinblick auf ihre „Schönheit“ betrachtet. Denn sie scheinen weder extra angefertigt noch auf eine ästhetische Rezeption ausgerichtet zu sein. Nüsslein-Volhard möchte diese vermeintliche Wahrheit nicht einfach hinnehmen und fragt nach der Entstehung und möglichen Ausrichtung dieser „natürlichen“ ästhetischen Vorkommen.

Welcher Schönheits-Begriff der Betrachtung zugrunde liegt, wird knapp in der einleitenden Fragestellung skizziert:

Schönheit ist kein Attribut, das in der Biologie zur Beschreibung von Organismen verwendet wird. Der strenge Forscher wendet den Begriff schön nicht auf Formen, Farben und Töne an, weil Schönheit vom Betrachter abhängt und mit subjektivem Empfinden verbunden ist, das zwar durch die physikalischen Eigenschaften des schönen Objekts hervorgerufen wird, sich jedoch nicht messen lässt. Und dennoch ist es wohl so, dass die Schönheit von Pflanzen und Tieren, wie wir sie erleben, in der Natur eine ähnliche Funktion wie Kunst in der menschlichen Kultur einnimmt.

Das ist eine recht steile These. Nicht nur, weil der Schönheits-Begriff hier nicht ganz passend zu sein scheint, da die Farben und Muster, um die es primär geht, bei Tieren (wie auch in der Kunst) nicht grundsätzlich auf Schönheit ausgerichtet sind – so subjektiv diese auch sein mag. Sondern auch, weil die äußere Erscheinung, wie man auf den folgenden 120 Seiten anschaulich erfährt, größtenteils grundlegende Funktionen vor allem im sozialen Gefüge erfüllt. Die Farbmuster signalisieren Zugehörigkeit, locken zur Paarung an, schrecken ab oder dienen als Tarnung. So wichtig künstlerische Arbeiten zur Selbstreflexion der Menschen sind, so wenig aktiv sind sie in die alltägliche soziale Interaktion unter Menschen integriert wie das Erscheinungsbild bei Tieren – und bei Menschen. Naheliegender wäre daher ein Vergleich der Farben und Muster bei Tieren mit Mode und dekorativer Kosmetik beim Menschen gewesen, die wesentlich funktionaler im sozialen Leben ist.

Auch wenn die Einleitung also ein etwas schiefes Bild malt, entfaltet sich darauffolgend ein interessantes und kenntnisreiches Panorama der Muster- und Farbgebung bei Tieren. Begleitet werden die Ausführungen von den ansprechenden farbigen Illustrationen Suse Grützmachers, die gerade anschaulich genug sind, um einen allzu technischen Eindruck zu vermeiden. Teil 1 „Evolution und Ästhetik“ konzentriert sich auf Erscheinung, Funktion und Kommunikation. Viele Beispiele beleben die biologischen Ausführungen und Erkenntnisse. Man erfährt, dass die Farben bei Säugetieren nicht derart stark ausgeprägt sind wie bei Vögeln und Fischen, da sie evolutionär zunächst hauptsächlich nachtaktiv waren und Farben nachts nicht gut zur Geltung kommen. Oder dass Vögel und Fische, obwohl sie sich selbst nicht sehen können, an der spezifischen Musterung ihre Artgenossen erkennen. Der evolutionsbiologische Ansatz wird gestützt durch historische Vorläufer wie Carl von Linné und Charles Darwin, der sich bereits in The Descent of Man and Selection in Relation to Sex (1871), der Nachfolgeschrift von On the Origin of Species (1859), mit dem Zusammenhang von Evolution und Ästhetik beschäftigte. Der Begriff der Ästhetik hingegen wird nicht theoretisch fundiert, sondern schlicht im Alltagsverständnis gebraucht. Vor allem bei einem Phänomen bietet er sich augenscheinlich an: bei der „ästhetischen Selektion“. Sind die meisten „ästhetischen“ Merkmale bei Tieren angeboren und funktional, scheint sich bei der Partnerwahl ein „subjektives Empfinden eines Bewertenden“ dazuzugesellen. Das „schönere“ Aussehen würde durch Fortpflanzung belohnt und sich somit eher durchsetzen. Diesen Verlauf bezeichnet Nüsslein-Volhard auch als „evaluative Koevolution“.

Teil 2 „Die Entstehung von Farben und Mustern“ taucht tiefer ein in die Erklärung, wann und wie innerhalb der individuellen Entwicklung eines Tieres die Farbgestaltung ins Spiel kommt. Der Abschnitt ist weit stärker von biologischen Fachtermini geprägt als der erste und dementsprechend anspruchsvoller. Begriffe und Abläufe werden jedoch einführend erklärt und lateinische wie griechische Bezeichnungen dezent verwendet. Das macht die Lektüre auch für Fachfremde angenehm. Der entwicklungsbiologische Schwerpunkt entspricht dem Forschungsfeld von Nüsslein-Volhard. Sie hat sich ausführlich mit der Entwicklung und Gestaltbildung von Tieren beschäftigt und dafür 1995 den Nobelpreis erhalten. So wird dann auch am Beispiel der Zebrafische der Ablauf der Farbgebung vorgeführt. Dabei wird die individuelle Entwicklung der Muster von der Larve bis hin zum ausgewachsenen Fisch beobachtet, die wesentlich von den Stammzellen gesteuert wird. Aufschluss über den Prozess erhielt Nüsslein-Volhard durch Tierversuche, bei denen die Gene der Zebrafische manipuliert wurden. Die Experimente selbst bleiben allerdings eine eigentümliche Leerstelle, präsentiert werden lediglich die Auswirkungen auf die Farbmuster. Eine Reflexion aus ethischer Sicht bleibt aus, auch wenn Nüsslein-Volhard von 2001 bis 2007 Mitglied im Nationalen Ethikrat war und somit sicherlich einiges dazu hätte schreiben können. Ebenso fehlt jeglicher Hinweis auf mögliche Risiken der Eingriffe wie ein Leiden oder körperliche Deformierungen der „Mutanten“.

Mit der Schönheit der Tiere liegt insgesamt ein aufschlussreiches, anschauliches und liebevoll gestaltetes Porträt von Ästhetik und Evolution aus biologischer Sicht vor, das viel Wissen über Tiere vermittelt, während der Preis, den diese für die gentechnische Forschung zahlen mussten, im Verborgenen bleibt.

Titelbild

Christiane Nüsslein-Volhard: Schönheit der Tiere. Evolution biologischer Ästhetik.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2017.
122 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783957574572

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