Ohne Gewissensbisse, aber mit Biss

In „Wie ich fälschte, log und Gutes tat“ präsentiert Thomas Klupp einen notorischen Lügner als Protagonisten

Von Katrin LüdekeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katrin Lüdeke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Cover von Thomas Klupps Roman zeigt eine idyllisch gelegene Kleinstadt, die – „unspektakulär wie ein Taubenschiss“ – das oberpfälzische Weiden sein könnte, der Schauplatz der Erzählung. Die Fotografie ist wie ein Vorhang zur Seite gerafft, dahinter kommt die unschöne Wahrheit zu Tage: Der Titel Wie ich fälschte, log und Gutes tat lässt schon vermuten, dass in der Welt des Protagonisten und Ich-Erzählers Benedikt Jäger so einiges falsch läuft.

Oberflächlich gesehen ist Benedikt der perfekte Sohn aus einer klischeehaften Arztfamilie. Die Mutter ist Hausfrau, kulturell und gesellschaftlich versiert, der Vater ein bekannter Chirurg, seine beiden älteren Schwestern studieren Medizin abroad. Benni selbst bringt gute Noten nach Hause und hat mit dem Schultennisteam die letzte Landesmeisterschaft gewonnen.

Das ist aber schon der Haken an der Sache, denn die Noten, die er seinen Eltern vorlegt, sind fast alle gefälscht. Und das mit einem ausgeklügelten System – bloßes Unterschriftfälschen ist Benni nicht genug. Er manipuliert ganze Klassenarbeiten und schreibt sich seine Zeugnisse selbst, damit seine Eltern nicht merken, wie schlecht er tatsächlich in der Schule ist.

Dabei nehmen es auch seine Eltern mit der Wahrheit nicht so genau; sein Vater schummelt bei der Steuererklärung, seine Mutter erfindet sich eine aufregende Vergangenheit, um als Bauernkind in die Kleinstadt zu passen.

Das eigene Image scheint in Weiden für alle das Wichtigste zu sein. Die Schulleiterin lässt einfach so alle Physik-Noten von einem ganzen Schulhalbjahr verbessern, damit die Schule ihr MINT-Profil halten kann. Die Lady-Lions, die Wohltätigkeitsgruppe von Benedikts Mutter, hostet eine Spendengala, um Geld für neue Flüchtlingsunterkünfte zu sammeln – für die Integration und fürs gute Gewissen – wobei dort ironischerweise kaum jemand ein Wort mit den Flüchtlingen spricht. Das gesammelte Geld geht ausgerechnet an Crystal-Mäx, den dubiosen Betreiber des Butterhofes, Drogenumschlagplatz und Ort ausgelassener Partys. Das Fazit: „Kriminalität zahlt sich aus“. Die Spendengala ist eben nur eine gute Tat auf dem Papier.

Der Roman hält der Gesellschaft den Spiegel vor und zieht ihr den Vorhang weg. Er verweist auf den Leistungsdruck und Konkurrenzkampf unserer Zeit, der geradezu zum Lügen animiert. Aus der ein oder anderen Notlüge, um besser dazustehen, ist bei Benedikt Jäger aber bereits ein ganzer Katalog geworden. Neben Fake-Noten und Fake-Freundin Marietta sind sein Tennis-Können und seine beiden Freunde Vince und Prechtl das einzig Wahre in seinem Leben. Sonst dreht sich alles nur darum, seine Lügen aufrecht zu erhalten und das Bild, das die anderen von ihm haben, nicht zu zerstören.

Neben dem Schuldrama werden auch andere Teenager-Themen aufgegriffen, der Roman bewegt sich zwischen Knutschen, Partys und Pubertät in dem Mikrokosmos Weiden. Es geht ums Erwachsenwerden, ohne dass der Hauptcharakter, der Anti-Held, auch nur einen Schritt in diese Richtung macht.

Auf den ersten Blick lassen sich Ähnlichkeiten zu Wolfgang Herrendorfs Tschick feststellen – unterhaltsam und witzig, in einer Sprache geschrieben, die Erwachsene für jugendlich halten. Die Handlung ist originell – aber um mit Tschick mithalten zu können, ist der Roman nicht rebellisch genug, bietet zu wenig neuen Stoff, um wirklich zu fesseln.

Klupp bricht bei den Beschreibungen seiner Hauptprotagonisten immer wieder Stereotypen auf und gestaltet seine Figuren mehrdimensional. Dennoch sind die Charaktere vorhersehbar, und genau das will der Text ja auch, er spielt mit Klischees, um sie dann durch neue, konträre zu ersetzen – der verhasste Mathelehrer wird als alleinerziehender Vater und Katzenbesitzer vermenschlicht, Bennis Mutter ist zwischen dem Wunsch nach Anerkennung und ihrer Depression gefangen und Benni selbst fälscht und lügt ohne Ende, will es aber nicht. Eigentlich.

Klupp scheinen es die Lügner und Fälscher, die Lebenslauf-Auffrisierer angetan zu haben. Für Benedikt ist Jay Gatsby aus The Great Gatsby ein großes Vorbild, „a true master of fake and illusion“. Auch Klupps Vorgängerroman Paradiso hat einen notorischen Lügner als Protagonisten, der zwar älter ist als Benedikt, aber nicht unbedingt reifer.

Bei den Prinzen folgt auf „das ist alles nur gelogen, nur gestohlen und geraubt“ eine saloppe Entschuldigung – und auch im Buch holt Benni zwar manchmal das schlechte Gewissen ein und er gelobt Besserung, sein Verhalten ändert er am Ende aber doch nicht. Das Ausnutzen seiner Schulkameraden, die durch Naivität und aus Altruismus in den Teufelskreis der Lügen hineingezogen werden, redet sich Benni mit der Ausrede schön, ihnen dabei etwas Gutes zu tun, wie es auch der Romantitel verspricht. Selbst als am Schluss alles zu eskalieren droht, kommt Benni mit all dem auch davon.

Skrupellos kommt Thomas Klupps Roman daher, ohne Gewissenbisse, aber mit Biss. Voller Sarkasmus und unverfroren berichtet der Ich-Erzähler aus seinem Leben in Tagebuchform. Über vier Monate hinweg von einer Ballonfahrt am ersten Schultag bis zum Schmücken des Weihnachtsbaums wird der Leser immer weiter in den Teufelskreis der Lügen hineingezogen. Erst nach und nach wird das ganze Ausmaß der Schwindeleien deutlich, ohne dabei seinen Witz zu verlieren – vielleicht entwickelt das Buch gerade dadurch seine Komik.

Benedikt bewundert Jay Gatsby, sieht ihn als großes Vorbild. Unter seiner The Great Gatsby-Klausur steht mit Rotstift „Moral Issues?!?“. Nach der Lektüre möchte man das am liebsten auch unter das Buch schreiben – Wo bleibt die Moral?!? – mit ebenso vielen Satzzeichen.

Die Rezension ist im Rahmen eines Master-Seminars unter Leitung von Jörg Schuster am Germanistischen Institut der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg zum Thema „Literarische Neuerscheinungen: Analyse, Kritik, Rezeption – Die LiteraTour Nord“ entstanden.

Titelbild

Thomas Klupp: Wie ich fälschte, log und Gutes tat. Roman.
Berlin Verlag, Berlin 2018.
254 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783827013668

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