Lesen mit Gefühl

Mary-Louise Parkers „Die Männer meines Lebens“ ist ein Glücksfall in Form von Briefen

Von Simone Sauer-KretschmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simone Sauer-Kretschmer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vater, Bruder, bester Freund und Sohn. Aber auch entfernte Verwandte, Zufallsbekanntschaften oder bisher nur herbeigesehnte Menschen sind Teil von Mary-Louise Parkers Buch Die Männer meines Lebens, über die sie kurze Geschichten in Form von Briefen erzählt. Verbunden sind die sehr unterschiedlichen Adressaten vor allem durch zweierlei: Alle sind männlich und haben eine prägende Rolle in Parkers Leben gespielt. Die Rückblicke lassen unvergessene Begegnungen und besondere Ereignisse wieder lebendig werden und die Dinge, die Parker den Männern ihres Lebens zu sagen hat, verraten eine ganze Menge über die Autorin, sodass es sich hier eigentlich um eine Autobiografie handelt.

In dem, was sie schreibt, ist Mary-Louise Parker voll und ganz präsent und vermutlich hat sie ausgiebig an ihren Sätzen gefeilt, die immer gradlinig auf den Kern der Sache zielen. In klaren Worten vermag die Autorin zu erzählen, warum manche Momentaufnahmen auch nach Jahrzehnten nicht vergessen sind und dass es in ihrem Leben eine ganze Reihe von Menschen gegeben hat, die Außergewöhnliches vollbracht haben. Es ist jedoch auch ein ganz spezieller Filter, durch den Parker die Welt sieht. Zynismus und Bitterkeit sucht man hier vergebens. Außergewöhnlich sind daher vielleicht gar nicht Parkers Männer, sondern vielmehr der unverstellte Blick der Autorin und ihre Fähigkeit, dem Leben eine Intensität abzuringen, die sich in jeder ihrer Beziehungen widerspiegelt.

Parkers Briefe bleiben im Kopf, weil sie Bilder hervorrufen, die man nicht vergessen will. Natürlich ist dabei auch Pathos im Spiel, aber wieso eigentlich nicht, wenn es doch ohnehin schon um die ganz großen Gefühle geht? Die Männer meines Lebens ist ein hochgradig intimes Buch, in dem man die Liebe, aber auch die Wut spürt, die Parker dazu veranlasst haben mögen, ihrem Schreiben genau diese Form zu verleihen. Sie hofft, kämpft um ihr Leben und das ihrer Familie, ist rasend verliebt und beinahe hoffnungslos deprimiert, trägt tiefe Trauer und ist bei all dem so authentisch und in ihrem Umgang mit Worten so unverstellt, als wüsste sie nicht um die Posen und Peinlichkeiten, die das Schreiben über Liebe mit sich bringen kann. Doch es scheint, als wäre ihr all das herzlich egal, wenn sie es nur schafft, mit ihren Sätzen möglichst nah ranzukommen an den entscheidenden Moment, der eine Person und die immer mit genau diesem Menschen verbundene Situation unvergessen macht. Kein einziger dieser Sätze soll hier verraten werden, denn Parkers Buch ist nicht zuletzt deshalb großartig, weil es so persönlich ist und erst dann funktioniert, wenn sich die Erinnerungen der Autorin mit denen ihrer Leser in einem intellektuell verpönten Augenblick treffen: dem Lesen mit Gefühl.

Titelbild

Mary-Louise Parker: Die Männer meines Lebens.
Übersetzt aus dem Englischen von Anete Grube.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2016.
286 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783103972153

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