Einsamkeit in verschiedenen Weltgegenden

In „Damenbart“ erzählt Sarah Pines in siebzehn sprachlich herausragenden Texten vor allem von unglücklichen Frauen

Von Rainer RönschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Rönsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die in Deutschland aufgewachsene und in New York City lebende promovierte Literaturwissenschaftlerin Sarah Pines macht Furore mit scharfsinnigen und sprachlich erstklassigen Beiträgen im Feuilleton angesehener europäischer Zeitungen. So wurde ihr Debüt als Buchautorin mit Spannung erwartet, bei dem sie der kürzeren Form treu bleibt. Unter dem Titel Damenbart legt Sarah Pines einen Band mit 17 Geschichten vor.

Sprachlich ist alles bestens. Die Wörter funkeln und knistern, womit schon angedeutet ist, dass die Autorin auf Sinneseindrücke setzt. Das überrascht nicht, begann sie doch einen Artikel über Verschwörungstheorien mit dem Geruch nach Sauerampfer und Kastanienbaumpollen. Für die heikle Wortart Adjektiv findet Sarah Pines souveräne Lösungen. Da gibt es laute Farben, sorgenvolle Kleidung und wulstige Nacktheit. Die Autorin spielt mit ihrer Virtuosität: Wenn im hellen Anblick eines goldenen Kranzes „ein kristallenes Lachen“ mitschwingt, findet die Protagonistin die Metapher gewagt. Scharfäugig wird beobachtet, zum Beispiel Spaziergänger „mit nach innen gedrehten Knien und der schlechten Körperhaltung bisheriger Stubenhocker …“.

Die Geschichten, meist über einsame Frauen und ihre rückwärts oder vorwärts gerichteten Träume, werden eindringlich und intensiv erzählt. Sie spielen in verschiedenen Weltgegenden, deren Milieu eindrucksvoll nahegebracht wird.

Doch zweierlei mindert das Lesevergnügen. Zum einen tummeln sich zu viele Schauspielerinnen in den Geschichten. Zum anderen werden mehrere Protagonistinnen auf ihre sexuelle Unerfülltheit reduziert. Das verwundert, weil die Autorin in anderen Passagen großes Einfühlungsvermögen an den Tag legt. Manche Frauen – und erst recht deren Liebhaber – aber erfahren geradezu giftige Geringschätzung. Gewiss muss eine Autorin ihre Gestalten nicht lieben, um sie lebenswahr zu porträtieren. Doch wenn bindungsschwache Frauen immer nur den Ausweg wählen, den ungeliebten Ehemann durch einen Liebhaber zu ersetzen, dann wird das rasch uninteressant. Haben diese Frauen keine Freunde oder Interessen, die dem Leben ein wenig Sinn geben könnten?

Die Einwände bedeuten nicht, das Buch sei nicht lesenswert. Es finden sich wunderbare Stellen. Mit Interesse und Rührung verfolgt man, wie eine Frau in schmucklosen E-Mails aufrichtig nach den Ursachen einer gescheiterten Beziehung sucht oder wie ein Mann sich mit ein paar Kisten Orangen an eine unerfüllte Liebe in Afrika und die kräftigen klaren Farben jenes Kontinents erinnert. Die dramatische Wucht einer Geschichte über stille Verzweiflung entsteht daraus, dass im Leben einer Frau so gut wie nichts geschieht. Dort macht sich ein Gefühl von Enge im Haus breit.

Von den 17 Geschichten seien sieben näher vorgestellt; die Auswahl ist subjektiv, die Reihenfolge wie im Buch.

Calimesa. Die katholisch erzogene, plumpe Maryweather ärgert sich 2019 in Palm Springs über eine ungeschickte Kellnerin. Mit 16 Jahren hat sie in Irland abgetrieben und wurde vom Vater in ein katholisches Heim gesteckt. Der reiche harte Jock holte sie nach Amerika. Doch er ist selten zu Hause, und Maryweather tröstet sich mit einem weichen Playboy, dem kein Name gegönnt wird. Der Charmeur bringt sie dazu, immer wieder den Geldbeutel zu zücken. Vielleicht aber lässt sie den Burschen wegen seines grausamen Lächelns fallen. Jock liegt in dieser raffiniert konstruierten Geschichte derweil bei Calimesa, der Kellnerin, die so heißt wie ihre kalifornische Heimatstadt. Als Feuer ihr Hab und Gut zerstört, trinkt sie Whisky auf einer Luftmatratze im schwarzen Wasser.

Damenbart. Der dem Buch den Titel gebende „halbmondförmige Schatten auf der unteren Gesichtshälfte“ gehört Marlena im griechischen Thessaloniki. An ihrem 33. Geburtstag träumt sie davon, ein Mönch, den sie Angelus nennt, möge im aufgeknüpften Seidenpyjama auf sie warten. Ihr zweiter Traum gilt Nikos Floros, dem Beamten mit den Steckenbeinen, der sie um ein Date gebeten hat. Im Hafenrestaurant wartet sie vergeblich auf ihn und findet sich hässlich, fett und ungeschickt. Doch dann hört sie auf dem Handy den Klingelton für ganz bestimmte Kontakte.

Krabbencocktail. Ein Shrimpsproduzent in Louisiana heiratet ein wunderschönes Mädchen. Doch als sie aus der Villa ihrer Eltern in seinen Bungalow zieht, beginnt die Liebe zu erkalten, was die Frau erst zum dünnen Gärtner und dann zurück in die Villa treibt, den Mann in seine Kellerbar. Sein Sohn erbt die Shrimpsfabrik, den Alkohol und die Einsamkeit.

Wintersonne. Hugo war als junger Mann in Südafrika zur Großwildjagd. Die Trophäen schenkte er einer Frau, die auf der Farm wohnte und Orangen für ihn schälte. Daheim im Sauerland bestellt er kistenweise Orangen. Zum Nachtisch gibt es für jeden ein paar Schnitze. Hugo wandert nach Afrika aus, kommt aber nach drei Monaten zurück und erwähnt den Kontinent nie wieder.

Buffalo. Am Tag des Wahlsiegs von Donald Trump langweilt sich die 34-jährige Shaina in ihrer Doppelhaushälfte in Buffalo. Ehemann Bruce bringt ihr mittags das Auto zum Einkaufen, der Höhepunkt des Tages. Vier trostlose Jahre später wird die Krankheit Amerikas diagnostiziert: Armut, Verlassenheit und Einsamkeit. Shaina fühlt sich als „Geschöpf einer versinkenden Welt“.

Peg E. Diesen Selbstmord gab es, die Geschichte dazu ist erfunden. Die 24-jährige Schauspielerin Peg Entwistle stürzt sich am 16. September 1932 vom weißen Schriftzug „Hollywood Sign“ oberhalb von Los Angeles in den Tod. Peg schläft mit dem schönen Regisseur Schnitz, der sie in seinen Schwarz-Weiß-Filmen besetzt, wo markante Gesichter gefragt sind. Als Technicolor aufkommt, passt Pegs Aussehen nicht mehr, obwohl sie besser spielt als je. In ihrer Todesstunde kommt ein Anruf für sie: eine Hauptrolle. Womöglich war das in Wirklichkeit so – in der Geschichte wirkt es arg melodramatisch.

Schweiß. „Der Sommer, in dem die Zwillinge die Jungfrau Maria sahen, war der Sommer in dem sie starben.“ Wer hat Olympe und Valle, die beiden Mädchen aus armer Familie, auf dem Gewissen? Die „Herrin“, eine reich verheiratete Schauspielerin und Schlossbewohnerin, die sich Jahre später das Leben nimmt? Im Abschiedsbrief schreibt sie, „die Zwillinge hätten Maria gesehen und deswegen sterben müssen“. Ist das wirklich ein Geständnis? Den Mädchen ist eine Frau erschienen, mit dem schönsten Gesicht der Welt: die Jungfrau Maria. „Ihr Kleid war blau und der Mantel schürfwundenrot.“ Monsieur Frappon, der Eismann mit den groben Händen, dem die Zwillinge oft arge Streiche spielten, gerät in Mordverdacht und opfert sich als Sündenbock. Der schaurig-schönen Geschichte wird leider ein öder Schluss angehängt, wieder mit einer gescheiterten Ehe und einem Geliebten.

Titelbild

Sarah Pines: Damenbart. Geschichten.
Schöffling Verlag, Frankfurt a. M. 2022.
200 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783895617119

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