Verliebt, verlobt, verkauft

Anthony Powell seziert in „Tendenz: steigend“ den gesellschaftlichen Fleischmarkt

Von Wieland SchwanebeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wieland Schwanebeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dem Problem des Vorankommens, so sinniert Anthony Powells Ich-Erzähler Nick Jenkins an einer Stelle, wolle er sich alsbald widmen, „falls ich nicht unlösbar fest in einer monotonen, manchmal sogar öden Bahn verbleiben wollte“. Es ist eines von vielen Understatements aus dem Munde des rastlos durch die Londoner Dinnerparty- und Aufsteigerszene streifenden Jenkins, denn zu diesem Zeitpunkt hat der Roman Tendenz: steigend bereits einige 100 Seiten geradezu manisch der Wichtigkeit des Kontakteknüpfens gefrönt. Eigentlich scheinen Jenkins und seine Weggefährten – zu denen, wie schon im Vorgängerroman Eine Frage der Erziehung, seine ehemaligen Schulkameraden Charles Stringham und Kenneth Widmerpool zählen – außer karriereförderlichem Vitamin B sogar sehr wenig im Kopf zu haben.

Band 2 des 12 Romane umfassenden Powell’schen Zyklus Ein Tanz zur Musik der Zeit, erstmalig 1952 erschienen, spielt in den vermeintlich Goldenen Zwanzigern, die hier freilich nur noch ein Schatten ihrer selbst sind. Statt ausgelassenem Bacchanal treiben die Figuren ziellos von einer Verabredung zur nächsten, stets um Anschluss an die oberen Zehntausend bemüht – bloß keine Fehler machen, Hauptsache dazugehören. Die Londoner Gesellschaft, in deren Dunstkreis sich der Roman abspielt, steht im Bann adliger Würdenträger und kosmopolitischer Exzentriker. Doch während manche von ihnen noch der Konvention sowie dem Glanz des Empire und des diplomatischen Dienstes verhaftet sind, ahnen andere bereits, was die Stunde geschlagen hat, und stehen dem latent provinziellen sowie in der Konvention erstarrten Milieu mehr als skeptisch gegenüber. Dementsprechend hat Powell einen der wohl kleinbürgerlichsten Großstadtromane der unmittelbaren Nachkriegszeit geschrieben – ständig läuft sein Erzähler im nächtlichen London alten Schulfreunden und Verwandten über den Weg, als ob er sich mit ihnen zu einem Spaziergang über die Dorfstraße verabredet hätte.

Schielten Powells Figuren bereits im ersten Band auf soziale Kontakte und Aufstiegschancen, dann leben sie hier schlicht für gar nichts anderes. A Buyer’s Market heißt der gewitzt als Tendenz: steigend ins Deutsche übersetzte Roman im Original – und ums Investieren und Spekulieren geht es hier tatsächlich die ganze Zeit. Zwar wird in erster Linie gefeiert, getuschelt und angebandelt, aber die Trias aus verliebt/verlobt/verheiratet spielt nur sehr bedingt eine Rolle, und wenn sie hervortritt, dann eher im Rhythmus des Auktionators: zum ersten, zum zweiten, zum dritten! Jede Seilschaft dient hier vor allem dem gesellschaftlichen Fortkommen und gehorcht den Gesetzmäßigkeiten des gesellschaftlichen Who’s who (beziehungsweise, wie der Verlag etwas konfus im Klappentext annonciert, des „Gesehen und Gesehen-Werdens“ [sic!]). Tendenz: steigend illustriert sehr treffend, dass ein Heiratsroman kein Liebesroman sein muss, ganz im Gegenteil.

Jenkins ist als Erzähler derart zurückhaltend, dass er nur auf sehr verklausulierte Art über seine Gefühle für Barbara Goring und später Jean Templer (die Schwester seines Schulfreundes Peter) spricht; deutlicher wird es da schon bei den Männerfreundschaften, die sich zu Jenkinsʼ Ernüchterung allesamt als Konkurrenzverhältnisse entpuppen. Am wohlgesonnensten scheint ihm noch der von den Schulkameraden einst kollektiv verspottete Widmerpool zu sein, dessen Familie mit Jauche handelt und der so fischig in die Welt blickt, dass er „immer den Eindruck vermittelte, dass er durch die Räume, die er heimsuchte, eher schwamm als ging“. Am Schluss ist es immerhin Widmerpool, der Jenkins anbietet, man könne sich künftig mal beim Vornamen anreden – mehr Innigkeit gibt es bei Powell nicht.

Wer ihm durch alle 12 Teile seines Tanzes zur Musik der Zeit folgen will, sollte also bereit sein, einen größtenteils emotional entrückten, hier immer noch ein wenig profillosen Erzähler ins Herz zu schließen, dessen manieriert-streberhafte Prosa zu gleichen Teilen diskret und leidenschaftlos ist, der Schimpfworte – zumal wenn sie aus dem Mund einer Dame kommen – zumeist ausspart, und bei dem es sich fast schon drastisch liest, wenn er im letzten Kapitel (jedenfalls in der deutschen Übersetzung) vom distanzierten „Sie“ zum postkoitalen „Du“ übergeht. Er folgt dem gesellschaftlichen Treiben halb als teilnehmender Beobachter, halb als sehnsuchtsvoll entrückter Romantiker, der im Gegensatz zu den abgeklärten Strategen seiner Alterskohorte auch Umgang mit weniger gesellschaftsfähigen Elementen wie dem mittelmäßigen Maler Edgar Deacon pflegt.

Das Figurenpersonal ist groß, einen Eindruck hinterlassen die Charaktere allerdings hauptsächlich durch gelegentliche Bonmots – der zynische Quiggin rühmt sich, „einer der wenigen Auserwählten“ zu sein, „die noch keinen Roman geschrieben haben“; von einem Wirtschaftsprüfer ohne Kunstsachverstand heißt es, er könne in jeder Galerie zielsicher „das am teuersten bewertete [Bild] herausgreifen“, und zwar „einfach durch die mystische Kraft seines eigenen Respekts vor dem Geld“. Dennoch ist diese dichte Beschreibung einiger verzweifelt um ihr Leben Feiernder nicht ohne Reiz, wenn sie eine einzelne Party über mehr als 100 Seiten ausbreitet und von ihren zahlreichen Nahaufnahmen immer wieder zurückblendet, um länger währende Seilschaften und die Vorgeschichte individueller Animositäten zu enthüllen.

Titelbild

Anthony Powell: Tendenz: steigend. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Heinz Feldmann.
dtv Verlag, München 2017.
293 Seiten, 10,90 EUR.
ISBN-13: 9783423145954

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