SEIN TIEFPUNKT
(1976)
Von Marcel Reich-Ranicki
Ein belangloser, ein schlechter, ein miserabler Roman. Es lohnt sich nicht, auch nur ein Kapitel, auch nur eine einzige Seite dieses Buches zu lesen. Lohnt es sich, darüber zu schreiben? Ja, aber bloß deshalb, weil der Roman von Martin Walser stammt, einem Autor also, der einst, um 1960, als eine der größten Hoffnungen der deutschen Nachkriegsliteratur galt – und dies keineswegs zu Unrecht.
Schon in Walsers frühen Büchern, in jenen Romanen Ehen in Philippsburg (1957) und Halbzeit (1960), denen er seinen Ruf verdankt, machte sich eine eigentümliche Mischung aus Vitalität und Sterilität bemerkbar. Man meinte, diesem temperamentvollen und sympathischen Schriftsteller, von dem es mitunter gescheite und jedenfalls anregende Aufsätze zu lesen gab, werde es mit der Zeit gelingen, seine Schwächen zu überwinden. Es kam umgekehrt: Die Vitalität ließ nach, die Sterilität wurde unerträglich. Die einst erstaunliche Beredsamkeit verwandelte sich in pure Geschwätzigkeit. Walser konnte die Worte nicht mehr halten. Der Anblick bereitete Pein. Aber noch in einem so mißratenen Buch wie dem Roman Das Einhorn (1966) konnte man hier und da witzige Reflexionen, hübsche Arabesken und geschickt formulierte Impressionen finden. Was danach kam, wurde zwar weiterhin beachtet, doch im Grunde nur deshalb, weil es von Walser war. Seinen endgültigen Tiefpunkt – so schien es – hatte er mit einem kümmerlich-törichten und inzwischen längst vergessenen Büchlein Fiction (1970) erreicht.
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