Nette Kapitalisten und nette Terroristen
Heinrich Bölls Roman „Fürsorgliche Belagerung“ (1979)
Von Marcel Reich-Ranicki
Nein, nichts kann meine Verehrung für Heinrich Böll erschüttern. Nicht einmal dieser Roman. Es ist, um es gleich zu sagen, ein schwaches und fragwürdiges, streckenweise ein geradezu fatales Buch. Mein Gott, was habe ich in diesen Tagen durchgemacht, was habe ich gelitten! Zweimal mußte ich das Ganze lesen, und eine ehrenamtliche Lektorin, die unseren Kölner Klassiker ebenfalls und noch inniger liebt, stand mir während der schwierigen Wanderung durch das Labyrinth seiner neuen Prosa geduldig zur Seite. Jetzt bin ich einigermaßen unterrichtet und zur Auseinandersetzung gerüstet.
Also: Ich weiß, daß Rolf mit Katharina zusammenlebt, ohne mit ihr verheiratet zu sein, und daß Hubert mit Helga verheiratet ist, ohne mit ihr zu schlafen. Ich weiß auch, daß Kit weder ein Hund noch ein Knabe ist, sondern ein Mädchen. Ich kann Holger I von Holger II unterscheiden, ich weiß, daß die beiden Halbbrüder sind und mit dem Grafen Holger Tolm, der „irgendwo in Südspanien mit Weibern und Chips sich vergnügt“, nichts gemein haben, vielmehr ihren Vornamen einem deutschen Terroristen verdanken. Ich habe auch begriffen, welche Bewandtnis es mit den mysteriös erwähnten „Neigungen“ Kortschedes hat: Übrigens dachte ich, es sei etwas Originelles und war dann bitter enttäuscht, als sich herausstellte, daß der Kerl ganz einfach homosexuell ist.
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