III.4.4 Rezension

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4.4 Rezension

Geschichte

Mit ›Rezension‹ wird ein Text bezeichnet, der kritisch über eine wissenschaftliche Neuerscheinung informiert. Der Begriff ›Rezension‹ als kritische Würdigung eines neu erschienenen Buches ist wie auch das Verbum ›rezensieren‹ im 17. Jh. aus dem lateinischen recensere entlehnt worden und übertrug dabei eine doppelte Semantik in die deutsche Sprache (vgl. Kluge 1989, 598): Recensere bedeutet einerseits, Gegenstände zu mustern und zu zählen oder wiederzuerzählen; gleichzeitig haftet der Tätigkeit in übertragenem Sinne aber auch die Konnotation des kritischen Einschätzens und der erwarteten Stellungnahme an. Rezension steht also begriffsgeschichtlich von Beginn an im Spannungsfeld von referierender Darstellung und kritischer Beurteilung (vgl. Huber u. a. 1993, 271). Sie ist heute auf wissenschaftliche wie literarische Buchgegenstände gerichtet und sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der journalistischen, insbesondere literaturkritischen Kommunikation eine der dominanten Texttypen. Wissenschaftliche Rezensionen und literaturkritische Rezensionen unterliegen jedoch unterschiedlichen, u. a. gegenstands-, medienund adressatenabhängigen Voraussetzungen und haben entsprechend differierende Erscheinungsformen (vgl. I.8.7).

Aus der referierenden Literaturvermittlung in Messkatalogen und der informellen Kommunikation der gelehrten Gesellschaften und Akademien (Acta Eruditorum ab 1682) entwickelt sich das wissenschaftliche Rezensionswesen in den ersten deutschen Gelehrtenzeitschriften, die – wie etwa die Göttingischen gelehrten Anzeigen (1739 ff.) – einer universellen Wissensvermittlung und dem wissenschaftlichen Austausch aller Fächer dienten. Angesichts der im 18. Jh. rapide zunehmenden Beschleunigung der Entwicklungen des Buchmarkts und der Differenzierungsbestrebungen einzelner Fachwissenschaften konnten diese Organe allein durch quantitatives Anwachsen der Hefte das Ziel einer umfassenden Literaturinformation vor allem im letzten Drittel des Jahrhunderts nicht mehr erreichen (vgl. Huber u. a. 1993, 272 f.). Die immer schwerer zu überblickende Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen erforderte eine Selektion der Literatur mit Hilfe eines kritisch wertenden Rezensionstyps, wie er bereits 1668 von Christian Thomasius in den Monatsgesprächen entwickelt worden war. Die darüber hinaus notwendig gewordene Konzentration auf einzelne Fächer, mit der die Organe der Göttingischen gelehrten Anzeigen auf die zunehmende Differenzierung des Fachpublikums reagierten, bereitete den Boden für die Ausbildung der ersten germanistischen Fachorgane um 1800.

In den Rezensionen dieser Fachpublikationen, die hauptsächlich der Herausgabe, Übersetzung und Nachdichtung von Texten des deutschen Altertums gewidmet sind (Johann Christoph Adelung Magazin für die deutsche Sprache, 2 Bde. 1782/1784; Friedrich Heinrich von der Hagen u. a. Museum für altdeutsche Literatur und Kunst, 2 Bde. 1809/1811; Jacob und Wilhelm Grimm Altdeutsche Wälder, 3 Bde. 1813–1816; Friedrich Heinrich von der Hagen Germania, 10 Bde. 1836–1853), lässt sich der Ausdifferenzierungsprozess der Germanistik und anderer (neu)philologischer Fächer zur eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin (vgl. III.1.2 und III.1.3) als Weg von einer Gesprächsgemeinschaft zwischen Liebhabern zum fachlichen Austausch einer disziplinären Wissenschaftlergemeinschaft nachverfolgen. In den Rezensionen wird die allgemeine Öffentlichkeit zunehmend ausgeschlossen und im Gegenzug die Kommunikationsgemeinschaft der Fachwissenschaftler stabilisiert. Karl Lachmann verabschiedet sich 1820 in seiner Rezension von Friedrich Heinrich von der Hagens Nibelungenlied- Edition bereits nach einer knappen Seite explizit »von den meisten unserer Leser«, da er dem »großen Publikum über Hn.v.d.Hs Arbeit nicht [mehr] zu sagen« habe, um sodann im imaginierten Kreise der Fachgelehrten Hagens Edition auf 60 Druckseiten als eine nach falschen Kriterien entstandene, dilettantische Arbeit »ohne Schonung« zu kritisieren (publiziert in den Ergänzungsblättern zur Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung 1820, Nr. 70–76; vgl. Dainat/Kolk 1987, 35). [...]

Leseprobe aus  dem Handbuch Literaturwissenschaft. Sie können den Handbuch-Artikel nach Anklicken der Zeile „Leserbrief schreiben“ rechts unten auf dieser Seite kommentieren.