Der Ärger der Ertappten

Eine Leserzuschrift Albert Malte Wagners an DIE ZEIT löste 1958 eine vergangenheitspolitische Kontroverse über die Germanistik aus

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

 

Inhalt

I Der Protagonist
II Der Debattenbeginn
III Die Antagonisten
IV Wagners Ergänzung, Beschluss der Debatte
V Fazit
Quellenverzeichnis

In der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT gab es Ende 1958 eine Leserbriefdebatte, die über fünf Ausgaben hin sehr kontrovers die Verbindung der damaligen Germanistik zu ihrer Vergangenheit thematisierte. Sie erlaubt Einblicke nicht nur in das damalige Verhältnis von fachgeschichtlicher Auseinandersetzung und institutioneller Macht, sondern auch in die Vorgeschichte vergangenheitspolitischer Kämpfe der nachfolgenden Jahrzehnte.

I Der Protagonist

Albert Malte Wagner, geboren 1886 in Hamburg, gestorben 1962 in London, promovierte nach einem Studium in Freiburg im Breisgau, Berlin (u. a. bei Gustav Roethe) und München 1909 bei Franz Muncker (Friedrich Hebbels dramatischer Stil, Hamburg & Leipzig: Voss 1910).[1] Seine Habilitation scheiterte 1912 „aus außerfachlichen Gründen“. Allerdings konnte er sich 1919 an der Ausarbeitung der Verfassung für die neugegründete Universität Hamburg beteiligen und dort 1922‒1924 als Dozent für Literaturwissenschaft wirken. Danach war er Feuilletonchef und Theaterredakteur der Nürnberger Zeitung. Jüdischer Herkunft, wich er bereits 1932 ins Ausland aus und lebte seit März 1934 in London, wo er die britische Staatsbürgerschaft annahm. 1934/35 vertrat er den germanistischen Lehrstuhl am Bedford College, Oxford; nach verschiedenen anderen Tätigkeiten war er 1946‒1949 in London Leiter der Army Education, Department of Modern Languages.

1949 nach Deutschland zurückgekehrt, war Wagner bis 1950 Professor für Kultursoziologie an der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Jena. Das Ministerium für Volksbildung des Landes Thüringen setzte gegen den Willen der betroffenen Fakultät seine Berufung auf den Jenaer Lehrstuhl für Deutsche Sprache und Literatur durch, wodurch Wagner auch kommissarischer Leiter des dortigen Germanistischen Instituts wurde. Nach Konflikten mit der SED wurde der 65-jährige Wagner kurz darauf, 1951, emeritiert. Nach verschiedenen Auseinandersetzungen darüber ging er 1954 wieder nach Großbritannien, wo er 1962 starb.

Dieser Lebenslauf, so unglücklich er unter dem Kriterium einer wissenschaftlichen Karriere ist, erlaubte es Wagner, Erfahrungen als Forscher, als Zeitungsredakteur und als politisch Handelnder zu sammeln und diese Bereiche miteinander in Beziehung zu setzen. Entsprechend ist sein Vorgehen 1958 in der ZEIT-Debatte nicht das eines abwägenden Fachhistorikers, sondern eines engagiert Beteiligten.

II Der Debattenbeginn

In seinem Leserbrief an die ZEIT, veröffentlicht in der Ausgabe 39 des Jahres 1958 unter dem Titel „Wir müssen alles anders machen“, bezieht sich Wagner auf einen Artikel in der Ausgabe 35 desselben Jahrgangs von „Leo“; hinter diesem Kürzel verbarg sich Rudolf Walter Leonhardt, seit 1957 Feuilleton-Chef der ZEIT. Wagner zitiert „Leo“ mit der Feststellung, die deutschen Universitäten hätten „die akademische Freiheit nur zu bereitwillig an die Schergen der Gleichschaltung“ ausgeliefert. Dieses Diktum bezieht er im Fortgang des Leserbriefs auf die Germanistik und verbindet sie mit seinen Warnungen bereits in der Göttinger Universitäts-Zeitung von 1948, wo er prognostiziert hatte, die Mitläufer aus der NS-Zeit würden künftig das Fach dominieren.[2] Dies sieht Wagner 1958 bestätigt, wenn er schließlich den Göttinger Germanisten Wolfgang Kayser zitiert, der ein Jahr zuvor das Fach „vor einer Katastrophe“ gesehen habe.

Die folgenden beiden Absätze standen im Zentrum des Leserbriefstreits, deshalb sind sie hier vollständig zitiert:

Es ist Herr Kayser, der dem bevorstehenden europäischen Kongress der Germanisten in Hamburg vorsitzt. Er wird zu zeigen haben, daß die Katastrophe nur verhindert werden kann, wenn der Kongress, doch sicher kein Jahrmarkt der Eitelkeiten, den wissenschaftlichen und geistpolitischen Ratschlägen folgt, die der Däne Lunding, Germanist der Universität Aarhus, kürzlich so kraftvoll veröffentlicht hat. Zum erstenmal beklagt ein hervorragender skandinavischer Gelehrter die „Trivialität“ der deutschen Germanistik (mit wenigen Ausnahmen) und besonders der Hamburger. Damit meint er natürlich nicht H. Meyer-Benfey, den einzigen Literaturhistoriker von Rang, den Hamburg besessen hat. Aber er meint den beklagenswerten Umstand, daß das Hakenkreuz auch heute noch über der deutschen Germanistik schwebt, nicht so sichtbar wie früher, aber darum um so gefährlicher. Herr Pretzel vom Hamburger germanistischen Institut hat sich vor wenigen Wochen öffentlich zu dem „Weltbild Gustav Roethes“ bekannt. Roethe ist wissenschaftlich der Erfinder des lateinischen Nibelungenliedes und politisch-moralisch der Mann, der Heinrich Wölfflin von der Berliner Universität vertrieb, weil der ein Ehrendoktor-Diplom für Max Liebermann beantragt hatte, „was man“, so setzte Roethe der Fakultät auseinander, „dem Kaiser (Wilhelm II.) nicht antun dürfe“.

Die größere Anzahl der heute an deutschen Universitäten lehrenden Germanisten sind Schüler Roethes und Julius Petersens, der nur als Roethes „junger Mann“‘, nicht als Mann nach Berlin kam und den nach Ludwig Curtius „schrecklichen Verrat“ beging, nämlich an Deutschland, weil er als Präsident der Goethe-Gesellschaft Hitler als den Retter Deutschlands feierte, der alles verwirklicht, was Goethe ersehnt habe. Um dieser Art akademischer Freiheit zu huldigen, wurde drei Jahre später, 1938, ein Buch aus der Feder weitblickender Fachgenossen und Schüler des Herrn Petersen zu seinem 60. Geburtstag herausgegeben, das ihm, dem „Meister der Besinnung“[3] (vermutlich auf Hitler) gewidmet war.

Der nächste Absatz bringt einen Rückblick auf den ersten internationalen Germanistenkongress in Rom 1955 (den Wagner irrtümlich nach München verlegt). Wagner erinnert sich, dass er dessen Präsidenten, dem im Leserbrief namentlich nicht genannten Hans Heinrich Borcherdt, zutreffend „Chaos und Schlimmeres“ vorhergesagt habe. Deshalb müsse man „alles anders machen, in jeder Hinsicht“. Dies könne, so die im letzten Absatz geäußerte Hoffnung, in Hamburg gelingen. Die Hoffnung begründet Wagner mit der Teilnahme von Heinrich Landahl, dem „Reformator der Hamburger Schule“, sowie dem wahrheitsliebenden Dekan „Borinski, Sohn eines der bedeutendsten Literaturhistoriker, was kein Mensch mehr weiß“.[4]

Der Leserbrief hat einen zweifachen Adressatenbezug. Wer sich in der Geschichte und Gegenwart des Fachs wenig auskennt, bekommt den Eindruck, dass die Germanistik erstens durch Personen geprägt ist, die in einem politisch zweifelhaften Traditionszusammenhang stehen, der vom Wilhelminismus über das Dritte Reich bis in die Gegenwart seine Wirkung entfaltet. Zweitens erscheint das Fach als hilf- und orientierungslos.

Wer aber vom Fach ist, erkennt die Bedeutung, die Lehrer-Schüler-Beziehungen zukommen sowie in Karrierewegen bestehen, die mit der Verbindung zwischen den germanistischen Seminaren Berlin und Hamburg zu tun haben. Von dem politisch konservativen Gustav Roethe, der das Berliner Ordinariat von 1902 bis 1926 innehatte, und seinem Schüler Julius Petersen – dort Professor von 1920 bis zu seinem Tod 1941 – führt eine direkte Linie zu dem Hamburger Professor Hans Pyritz und dem aktuellen Institutsleiter Ulrich Pretzel, dem Wagner vorwirft, sich auf Roethe bezogen zu haben.

Die folgende Diskussion wurde durch beide Ebenen bestimmt, wobei die mangelnde Abgrenzung zwischen ihnen zum Problem wurde.

III Die Antagonisten

Bereits in der nächsten Ausgabe der ZEIT finden sich auf der Leserbriefseite unter der Überschrift „Malte Wagner ging zu weit“ drei Antworten auf Wagner, hierarchisch abgestuft vom angegriffenen Institutsleiter Pretzel über seinen wissenschaftlichen Assistenten Dr. Wolfgang Monecke bis hinab zum Hamburger stud. phil. Wolfgang Buhr.

Die von Wagner benannten Zusammenhänge implizierten, so Pretzel, den Verdacht, dass über seinem Hamburger Institut der „Geist des Hakenkreuzes schwebe“ und er selbst „zu den Mitläufern der Nazipartei“ gehört habe. Darauf reagiert er mit der Drohung: „Was ich gegen Herrn Wagner, falls er diese infame Verdächtigung nicht widerruft, unternehme, behalte ich mir vor. Auch die Hintergründe seines Angriffs werden noch aufgedeckt werden […].“

Im zweiten Teil seines Leserbriefs weist Pretzel die Kritik an seinem Lehrer Roethe zurück. Dieser habe keineswegs Wölfflin von der Berliner Universität vertrieben. Eine redaktionelle Nachbemerkung der ZEIT legitimiert Pretzels Darstellung: „Wir danken der Liebenswürdigkeit Prof. Dr. Pretzels die Vorlage von Briefen Wölfflins an Roethe aus den Jahren, in denen sich Wölfflin von der Berliner Universität zurückzog, Schreiben, die voller Vertrauen, ja, herzlicher Freundschaft sind.“

Pretzel war nicht nur als Hamburger Professor angegriffen. 1898 geboren, hatte er vor seiner Göttinger Promotion unter anderem bei Gustav Roethe und Julius Petersen studiert. Es folgten verschiedene Berliner Tätigkeiten, u. a seit 1941 als Leiter des Mittelhochdeutschen Wörterbuchs der Preußischen Akademie der Künste, für das er (bei veränderter Trägerschaft) bis zu seinem Tod 1981 verantwortlich zeichnete. Die Edition der Goethe-Arbeiten von Gustav Roethe[5] weisen Pretzel als Gefolgsmann seiner Lehrer in Berlin aus, wo er 1938 habilitierte. Ohne in die NSDAP eingetreten zu sein, lehrte er 1941‒1944 als Dozent für Deutsche Sprache und Ältere deutsche Literatur in Berlin. Von 1947 an war er Professor für Deutsche Philologie in Hamburg, wo er 1966 emeritiert wurde und 1981 starb.[6]

Pretzel ist damit Teil eines Personaltransfers von Berlin nach Hamburg. Auch durch diesen Transfer wurde eine mögliche republikfreundliche Traditionslinie abgebrochen, wie sie etwa der von Wagner genannten Gustay Meyer-Benfey, der als Mitglied der DDP nach 1933 nicht mehr veröffentlichen konnte, repräsentiert. Politisch einschlägiger als Pretzel, steht dafür auch der Neugermanist Hans Pyritz, Schüler von Roethe und Petersen, der nach Petersens Tod 1941 ein Jahr darauf dessen Nachfolger in Berlin wurde und, wegen seiner NS-Aktivitäten von den sowjetischen Militärbehörden entlassen, ab 1947 vertretungsweise und ab 1950 fest den Hamburger Lehrstuhl für Deutsche Literaturwissenschaft innehatte. Wenige Monate vor den Leserbriefen, am 23. März 1958, war er gestorben.[7]

Sekundiert wird Pretzel von dem ihm eng verbundenen Wolfgang Monecke; nach Moneckes frühem Tod widmete Pretzel seinem ehemaligen Assistenten sogar eine schmale Schrift.[8] Monecke, Jahrgang 1922, studierte nach seinem Abitur 1941 noch zwei Semester in Berlin, bevor er zum studentischen Ausgleichsdienst und dann zur Wehrmacht eingezogen wurde. Erst im Sommer 1946 konnte er – nun in Hamburg – sein Studium fortsetzen. 1957 promovierte er bei Pyritz über das Thema „Wieland und Horaz“. Diese für damalige Verhältnisse relativ lange Zeit von elf Jahren hat Monecke nicht allein dem Studium und der Tätigkeit als Hilfskraft und schließlich Assistent am Germanistischen Seminar gewidmet, sondern auch Arbeiten für den Rundfunk, in denen er so unterschiedliche Werke wie die von Rudolf Alexander Schröder und Ingeborg Bachmann vorstellte sowie den1957 erschienenen Roman Tauwind. Thema der Habilitationsschrift wurde dann Konrad von Würzburg. Nach Abschluss des Verfahrens 1963 vertrat Monecke im folgenden Wintersemester eine Professur in Bonn. 1964 starb er, nur zweiundvierzigjährig.

In Moneckes Leserbrief verschränken sich eine defensive und eine offensive Linie. Die erste verteidigt die Hamburger Germanistik. Monecke verwehrt sich erstens dagegen, seine wissenschaftliche Bildung einem „Hort der Dumpfheit“, wo es „nicht redlich zugeht“, zu verdanken. Zweitens weist er Wagners Behauptung zurück, dass Lunding ein besonderer Kritiker Hamburgs sei: „jedenfalls war dem dänischen Gelehrten bei seinen wiederholten Besuchen hier nichts anzumerken von der Gequältheit eines Mannes, der sich unter sein Niveau begibt.“ Drittens nimmt er Pretzel vor jedem Verdacht in Schutz, dieser habe etwas mit NS-naher Wissenschaft zu tun.

Dazwischen und am Ende des Leserbriefs finden sich Angriffe auf Wagner, dessen Leserbrief keinen erkennbaren „sachlichen Zweck“ habe, denn Wagner unterbreite keine konkreten Reformvoschläge. Monecke behauptet eine „ungute Stimmungsmache“ durch Wagner. Nur scheinbar konzediert er seinem Gegner, er sei sich dieser Stimmungsmache wohl nicht bewusst gewesen. Mit seiner Schlusswendung verschärft er die Konfrontation: In der Zeit, „als deren Repräsentant Julius Petersen vorgestellt wird“, habe man es nicht wagen können, in der Slawistik zu promovieren. „Ähnliche Diffamierungen wären gewiss absurd; aber ein Beigeschmack davon stellt sich doch ein.“

Damit wird der Emigrant, der über keinerlei institutionelle Macht verfügt, in die Nähe derer gerückt, die ihn vertrieben haben; ein Suggestionsmuster, mit dem noch heute rechte Politiker und Intellektuelle angesichts von Kritik in die Rolle von Faschismusopfern zu schlüpfen versuchen.

Stud. phil. Wolfgang Buhr weiß in der Sache wenig zu sagen und wendet sich gegen Wagners Argumentationslogik. Zu Lunding meint er: „Solche dänischen Stimmen braucht man nicht ernst zu nehmen, denn wer weiß, ob dahinter nicht immer noch ein altes Ressentiment steht, verbunden mit überhellsichtiger Spökenkiekerei. (Ich sage nicht, daß der Däne nicht das Recht hat, uns Deutschen eine Schuld zuzusprechen).“ (Nur soll bitte – um Buhrs Gedanken offen zu formulieren – „der Däne“ sich nicht erdreisten, irgendetwas über die deutsche Gegenwart zu sagen.) Roethes Verhalten rechtfertigt Buhr nicht in der Sache, aber er zweifelt Wagners Schlussfolgerungen an: Wenn Roethe loyal gegenüber Wilhelm II. gewesen sei, so habe dies nichts mit einer Nähe zu den Nazis, wie Wagner es suggeriere, zu tun. Endlich meint Buhr, dass die Lage der Germanistik nach Wagners eigenen Prämissen so schlimm nicht sein könne: „Solange noch ein Kongreß, meine ich, eine allgemeine Unfreiheit beseitigen kann, wie das Herr Wagner glaubt, kann die Unfreiheit noch nicht zu weit gediehen sein.“

Was hier zu gleich drei Leserbriefen führt, ist nicht einmal ein Artikel, sondern lediglich ein einzelner Leserbrief. Dass alle drei Stellungnahmen, die eine ähnliche Tendenz aufweisen, abgedruckt werden, und zwar, nach Statusgruppe geordnet und durch eine redaktionelle Anmerkung unterstützt, lässt eine Politik der kurzen Wege, die der Hamburger Germanistik einen Zugang zu der dort erscheinenden Zeitschrift ermöglichte, denkbar erscheinen.

In der folgenden Nummer 41 erschien eine weitere Zuschrift, nämlich von Erik Lunding, auf den Wagner seine Ausführungen gestützt hatte. Der 1910 geborene Däne hatte nach Studienaufenthalten in Deutschland (Berlin, Tübingen, München), Österreich und England 1937 in Kopenhagen promoviert und lehrte seit seiner Habilitation 1940 in Kopenhagen und Aarhus; 1955 wurde er Professor für Deutsche Literatur.[9]

Lunding wendet sich gegen Wagner, indem er sich positiv auf die Hamburger Literaturwissenschaft bezieht, der er „reiche Anregungen“ verdanke. Dabei nennt er explizit Hans Pyritz und Ulrich Pretzel. Weiter heißt es: „Die in Nr. 40 publizierten Zuschriften von Dr. Wolfgang Monecke und stud. phil. Wolfgang Buhr zur Kennzeichnung des Verfahrens des Herrn Wagner geben gleichzeitig, und zwar ungewollt und unbewußt, in wertvoller Weise Aufschluß über Wesen und Wirkung der Lügenpropaganda. Selbst die Propagandisten der Göbbelsschen Ära wußten, daß ihre groben Entstellungen aller Wahrheit nicht ohne weiteres geglaubt wurden; sie wußte aber gleichzeitig, daß selbst Skeptiker angesichts eines kompakten Lügengewebes zuweilen einige Lügen verschlucken müssen. Nach diesen Prinzipien arbeitet Herr Wagner in seinem Leserbriefe.“

Damit radikalisiert Lunding Moneckes Faschismusvorwurf und die Umkehrung des Verhältnisses von den Nazis und ihren Opfern. Sein Ärger ist insofern nachvollziehbar, als sich in seinem Buch Strömungen und Strebungen der modernen Literaturwissenschaft (Aarhus und København 1952, Seitenzahlen im Text) – einem ausgedehnten Bericht über die jüngere Entwicklung der germanistischen Literaturwissenschaft – tatsächlich keine Abwertung der Hamburger Fachvertreter von 1957/58 findet. Allerdings liest man bei Lunding eine scharfe Kritik an Julius Petersens Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft (Berlin: Junker & Dünnhaupt 1939). Dieses Werk sei nicht nur „in politischer Hinsicht […] durchaus nicht makellos“ (19). Auch gebe „Petersens Kompendium keine befriedigende kritische Orientierung über die wechselnden Bestrebungen und Zielsetzungen der nachpositivistischen deutschen Literaturwissenschaft“ (20).

Noch schlechter wird Robert Petsch bewertet, der sich auf seiner Hamburger Professur bis zu seiner Suspendierung durch die britischen Besatzungsbehörden im Mai 1945 politisch eindeutig profaschistisch positioniert hatte. Schärfer formuliert als gegen Petersen, findet Lunding in Petschs Wesen und Formen der Erzählkunst (Halle: Niemeyer 1934) eine „deutsch-völkische Einstellung, die zu den kuriosesten Werturteilen über moderne Kunst führt, sofern diese überhaupt erwähnt wird.“ Noch verhängnisvoller als dieser „enge Dogmatismus“ sei „die verblüffende Fähigkeit dieses Forschers, die Umrißlinien der Worte, Begriffe, Problemstellungen und Ergebnisse verschwimmen zu lassen“ (80).

Lunding weitet die Kritik an einzelnen Wissenschaftlern zu einem Allgemeinurteil aus: „Dass die seit dem Zusammenbruch des Hitlerregimes verflossenen sieben Jahre für die deutsche Literaturwissenschaft recht mager waren, wird kein Einsichtiger in Abrede stellen“ (20). Während sein Ideal eine auf philologische Befunde gegründete Geistesgeschichte ist, findet er in der Praxis der deutschen Germanistik haltloses Geschwafel. Das betrifft konkret die Auswirkungen eines von Heidegger geprägten Existentialismus, dessen Verbindungen zum Faschismus Lunding benennt (88f.). Generalisiert lautet der Befund: „Um einen festen Kern philologisch arbeitender, egozentrisch eingestellter Forscher schliessen sich in immer weiteren Bögen die Scharen der Liebhaber und Literarhistoriker, die in bewundernswerter Weise die Kunst beherrschen, die wechselnden Losungen der wechselnden Zeiten herauszuinterpretieren – und so kommen und gehen die heroischen, die völkischen und christlichen Hölderline.“ (35)

Als Auslandsgermanist in einer gewissen Distanz zum westdeutschen Wissenschaftsbetrieb, doch für den fachlichen Austausch auf ihn angewiesen, steht Lunding in manchen Punkten Wagners Kritik nahe, ohne jedoch den konkreten Angriff auf die Hamburger stützen zu können und zu wollen, für den Wagner ihn hatte in Zeugenstand rufen wollen.

Ausgabe 41 der ZEIT bringt außer den Leserbriefen auch einen weiteren Artikel von „Leo“ mit dem Titel „Was treibt die deutsche Germanistik?“ Darin formuliert Leonhardt die Hoffnung, dass die von Wagner ausgelöste Kontroverse „hoffentlich noch nicht so bald beendet“ sei. Deshalb und aus Anlass des Deutschen Germanistentags in Hamburg (30.9.‒5.10.1958) kündigt er eine Artikelreihe an, die er in den ZEIT-Nummern 47‒51 über die Germanistik und im Folgejahr als Buch veröffentlichen sollte: Roger Paulin und Jürgen Babendreier haben es im vorliegenden 68er-Projekt vorgestellt:

Antizipierend, aber ZEITgemäß. Rudolf Walter Leonhardts „Sündenfall der deutschen Germanistik“ (1959). Eine Relektüre
https://literaturkritik.de/public/artikel.php?art_id=1144&ausgabe=51

Deutsche Nachkriegsgermanistik ohne Nullpunkt
Ein Sündenfall wird rezensiert
https://literaturkritik.de/public/artikel.php?art_id=1225&ausgabe=51

Leonhardts Ankündigung ist vorsichtig formuliert: „Wir werden dabei behutsamer vorzugehen haben als ein, vielleicht persönlich verbitterter, Mann wie der Schreiber des ersten Briefes an DIE ZEIT, Professor Wagner.“ Doch auch dessen „recht massive und zum Teil weit über das Ziel hinausschießende Vorwürfe“ seien „nun freilich auch nicht völlig aus der Luft gegriffen“. Zudem liege bei einer „Institution des öffentlichen Lebens“ wie den Universitäten und damit auch den germanistischen Seminaren“ ein „berechtigtes Informationsbedürfnis“ vor.

Die umständliche Rechtfertigung lässt vermuten, dass eine kritische Befassung des Feuilletons mit Zuständen in der Wissenschaft noch als unbotmäßig angesehen wurde. Als Feuilleton-Chef musste Leonhardt seine Themenwahl keinem Vorgesetzten gegenüber begründen. Doch liegt der Gedanke nahe, dass die Radikalkritik in Wagners Leserbrief einen willkommenen Ansatz bot, eine ohnehin beabsichtigte eigene Stellungnahme als verglichen damit abgewogen zu platzieren.

IV Wagners Ergänzung, Beschluss der Debatte

Auf die Gegenangriffe reagiert Wagner mit einer weiteren Zuschrift, die unter dem Titel „Zu weit und nicht zu weit“ in der folgenden Ausgabe 42 erschien. Hier zitiert Wagner aus einer anschließend gedruckten Rekoratsrede Gustav Roethes vom 15. Oktober 1923: „‚Die Irrlehre, daß die Tat Sünde sei, ob sie sich auch durch Tolstojs, des Slawen bedeutenden Namen und durch den Weisheitsmantel indischer Beschaulichkeit decke, mag sie auch für den Orient taugen: undeutsch ist sie durch und durch.‘ Roethe fährt dann fort: ‚Die Wissenschaft der deutschen Philologie ist berufen, in euch unserm ganzen Volke aus dem deutschen Wesen dem deutschen Geist, den deutschen Gedanken zu künden. Euer, der einst führenden deutschen Jugend, wartet die große Aufgabe, daß sich krönend, wie bei unsern Ahnen, aus dem deutschen Gedanken löse die schaffende deutsche Tat.‘“[10] Dieses Weltbild habe, so Wagner, „nicht nur die europäische und amerikanische Jugend, nicht nur Millionen Russen und Juden, sondern, was allzu durchsichtig vergessen sein soll, Millionen von Deutschen in einen infamen Tod getrieben“.

Dabei geht es Wagner nicht nur um das Weltbild Roethes. Zentral ist vielmehr der Vorwurf, dass Pretzel sich nach wie vor zum Weltbild Roethes bekennt. Diesen Hauptpunkt benannt, wertet er die Bedeutung der von Pretzel der ZEIT-Redaktion vorgelegten Briefe Wölfflins ab – der Quellenwert von Briefen sei oft bezweifelt worden. Belegbar sei, dass die Berliner Fakultät 1910, als Roethe Dekan war, das Ehrendoktorat für Liebermann abgelehnt, es aber 1912 unter einem neuen Dekan beschlossen habe.

Es folgt ein Angriff auf Pretzel, den Wagner in Frageform führt, der aber eindeutig genug ist: „Ist es richtig, daß ein Mann, der behauptet hat, er habe sich erst 1945 habilitiert, dies schon 1938 in Berlin getan hat, um 1941 Dozent und 1944 a. o. Professor in Prag zu werden? Oder sind das alles nur Druckfehler in Kürschners Gelehrten-Lexikon, besonders die Professoren [sic!] in dem nazi-besetzten Prag?“[11] Tatsächlich wurde Pretzel 1944 als außerplanmäßiger Professor an die Universität Prag berufen. Reiner Bölhoff gibt in seinem Artikel im Internationalen Germanistenlexikon an, dass Pretzel die Stelle nicht antreten konnte, weil er zur Wehrmacht eingezogen wurde. Unabhängig davon ist ein Ruf an eine Grenzland-Universität ein Indiz dafür, dass Pretzel aus Sicht des NS-Regimes nicht als unzuverlässig galt. Andererseits lässt sich angesichts der militärischen Lage von 1944 ein Wechsel nach Prag kaum als vielversprechender Karriereschritt werten.

Lundings Einwände tut Wagner kurzerhand mit dem Eingeständnis ab, er habe sich vertan, indem er dessen bereits 1951 erschienenes Buch als „kürzlich“ angesehen habe: „Wenn ich von ‚kürzlich‘ sprach, was falsch ist, so geschah das wohl deshalb, weil sein Inhalt mir so nahesteht. Das tut er auch heute noch.“ Die sachlichen Differenzen verschwinden angesichts dieser Vereinnahmungsgeste. Es geht Wagner um den Hauptpunkt, „eine großzügige Auseinandersetzung mit diesem Thema“, die „Leo“ bereits in der Ausgabe 41 angekündigt habe.[12]

Dies war noch nicht das Ende der Debatte. Der Göttinger Professor Wolfgang Kayser – auch er ein Schüler Petersens – verwahrt sich in Ausgabe 43 dagegen, dass seine eingangs von Wagner zitierte Äußerung, die Germanistik stehe vor einer Katastrophe, auf die geschichtspolitische Auseinandersetzung zu beziehen sei. Vielmehr habe er damit die „Notlage der Germanistik“ gemeint, die durch einen „Zustrom von Studenten entstanden“ sei.

Der „stud. phil. Helmut Schwarz, München“ zeigt sich am „Universitätsklatsch von 1910“ desinteressiert und vernachlässigt dessen Bedeutung für die Gegenwart, wenn Gustav Roethe immer noch als Vorbild erscheint. Der Mainzer Althistoriker Hans Ulrich Instinsky schließlich, der die Debatte abschließt, benennt das Problem, dass der Streit einem Publikum, das nicht vom Fach ist, esoterisch erscheinen kann: „daß die ZEIT nun schon durch vier Nummern in der Sparte der Leserbriefe einen von persönlichen Ressentiments durchsetzten Meinungsstreit schleppt, ohne gleichzeitig genügend Tatsachen-Informationen zu geben, die dem großen Kreis der Leser eine sachliche und gerechte Urteilsbildung ermöglichen. Denn wer weiß heute noch, außer einigen Germanisten und Historikern, wer Roethe war und worin die – nunmehr schon historische – Bedeutung seiner Persönlichkeit und seines Werkes mit ihren Licht- und Schattenseiten beruht?“

Der 1907 geborene Instinsky war insofern persönlich involviert, als ihm einerseits die Berliner Fakultät vor 1945 die venia legendi verweigerte, er andererseits vor seinem Ruf nach Mainz von 1945‒1948 als Dozent in Hamburg lehrte, er also die dortigen Germanisten zumindest flüchtig gekannt haben kann. Entsprechend wendet er sich explizit weder gegen die eine noch gegen die andere Seite. Vielmehr trennt er fachinterne von allgemein zugänglichen Fragen, jedenfalls sofern die Redaktion nicht die fürs Verständnis nötigen Informationen bereitstellt (was freilich das auf der Leserbriefseite Übliche sprengen würde). Das bedeutet eine realistische Einschätzung, was das Verständnis der Leserschaft angeht, schiebt aber doch eine notwendige Kontroverse auf.

V Fazit

Vergliche man die Debatte mit einem Fußballspiel, so wäre ihr Ausgang wohl als unentschieden zu werten. Einerseits vermochten es Pretzel und seine Unterstützer, Wagners Angriffe als übertrieben, ressentimentgeleitet und sachlich unzureichend fundiert hinzustellen; Nachlässigkeiten Wagners, besonders dessen teils ungerechtfertigter Bezug auf Lunding, erleichterten ihnen diesen Konter. Andererseits verweist der Aufwand, den sie dafür betrieben, auf ihre Unsicherheit. Dies deutet darauf hin, dass bereits in der späten Adenauer-Zeit vergangenheitspolitische Konflikte, wie sie dann in den Diskussionen über den Prozess gegen Adolf Eichmann in Israel 1961 und die Frankfurter Auschwitz-Prozesse ab 1963 zutage traten, nur noch mit Mühe abgewehrt werden konnten.

Der Leserbriefstreit wirft auch die Frage auf, in welchem Verhältnis Fachgeschichte, aktuelle Auseinandersetzungen in der Disziplin und politische Konflikte stehen. Wagner legt in seinem ersten Beitrag eine enge Beziehung zwischen diesen drei Ebenen nahe, ohne sie explizit auszuführen. Damit bleibt sein Leserbrief – auch aufgrund der durch die Textgattung erzwungenen Kürze – oberflächlich, und wird er angreifbar.

Wagner führte die fachgeschichtliche Auseinandersetzung von Beginn an als politischen Streit über die Gegenwart des Fachs. Das war legitim, ja: notwendig in einer Lage, in der die wichtigsten Repräsentanten der Germanistik aus wohlverstandenem Eigeninteresse keinerlei Erforschung ihrer jüngeren Vergangenheit wünschten. Der Informationsstand musste indessen zur Folge haben, dass für ein größeres Publikum kein Kontext vorhanden war, in den die Behauptungen der Fachvertreter hätten eingeordnet werden können. Wer Roethe war und worin seine Bedeutung bestand, inwiefern Wölfflins Berliner Niederlage von 1912 etwas über das Hamburger Institut von 1958 aussagt, welchen Quellenwert Roethes zitierte Reden und unzitierte Briefe in Vergangenheit und Gegenwart hatten – all dies war aus der Warte von Laien nur schwer nachvollziehbar.

Wagner gab den Lesern der ZEIT Rätsel auf, die aber immerhin auf eine missliche Lage der Germanistik hindeuteten und zum Ansatzpunkt der Artikelserie Leonhardts wurden. Erst dort wurden die zeitgenössischen Probleme ausgeführt; dagegen war es Wagner nur unvollkommen gelungen, seine gegenwartsbezogene Kritik mit der Vergangenheit des Fachs zu verknüpfen. Dass der von ihm herangezogene Wolfgang Kayser tatsächlich eine zu große Zahl von Studierenden zur Katastrophe erklärt hatte, schadete Wagners Glaubwürdigkeit zusätzlich.

Als Schwäche seiner Intervention stellt sich heraus, dass er angesichts einer zeitgenössischen Problemlage nicht die gegenwärtigen Handlungen seiner Gegner angreift, sondern ihre Vergangenheit andeutet und die Vergangenheit ihres Lehrers Roethe entlarvt – denn dem Fach droht nicht die Katastrophe, weil Pretzels Vorläufer Wölfflin schasste. Vielmehr fehlt bei Wagner das entscheidende Argument, weshalb derart geprägte Wissenschaftler, obgleich oberflächlich demokratisiert, nicht über die Voraussetzungen verfügten, zukunftsweisende Entschlüsse zu fassen.

In diesem Mangel zeigt sich das Problem des Exils, das von aktuellen Entwicklungen in der einstigen Heimat abschneidet und das dazu verleitet, gegenwärtige Konflikte allein mit den Maßstäben der Vergangenheit zu verstehen. Zugleich deutet die Übermobilisierung, welche die von einem alternden Londoner Exilanten angegriffenen Posteninhaber bis hin zu Pretzels kaum verhüllter Drohung mit der Justiz betrieben, darauf hin, dass sie 1958 bereits die bloße Erwähnung der Vergangenheit als gefährlich ansahen. Die politischen Konflikte im Fach um 1968 hatten eine lange Vorbereitungszeit.

Quellenverzeichnis

Wolfgang Buhr: Leserbrief, in: DIE ZEIT 13, 1958, Nr. 40, S. 20.

Hans Ulrich Instinsky: Leserbrief, in: DIE ZEIT 13, 1958, Nr. 43, S. 24.

Internationale Forschungen zur deutschen Literaturgeschichte. Julius Petersen zum 60. Geburtstag, dargebracht von H. Cysarz, A. R. Hohlfeld, H. A. Korff u. a., Leipzig: Quelle & Meyer 1938.

Wolfgang Kaiser: Leserbrief, in: DIE ZEIT 13,1958, Nr. 43, S. 24.

Rudolf Walter Leonhardt: Was treibt die deutsche Germanistik? In: DIE ZEIT 13, 1958, Nr. 41.

Erik Lunding: Leserbrief, in: DIE ZEIT 13, 1958, Nr. 41, S. 24.

— Strömungen und Strebungen der modernen Literaturwissenschaft, Aarhus und København 1952.

Gerhard Mattke: Gegen Diffamierung der Philologie. Auseinandersetzung mit Albert Malte Wagner, in: Göttinger Universitäts-Zeitung 4, 1949, Nr. 7, S. 4‒6.

Wolfgang Monecke: Leserbrief, in: DIE ZEIT 13, 1958, Nr. 40, S. 20.

Ulrich Pretzel: Leserbrief, in: DIE ZEIT 13, 1958, Nr. 40, S. 20.

— Zum Andenken an Wolfgang Monecke, [Hamburg: Privatdruck] [1969].

Gustav Roethe: Deutsche Reden, Leipzig: Quelle & Meyer [1927].

— Goethe. Gesammelte Vorträge und Aufsätze, Berlin: Ebering 1932.

— Wege der deutschen Philologie. Rede, zum Antritt des Rektorats der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 15. Oktober 1923, Berlin: Ebering 1923.

Helmut Schwarz: Leserbrief, in: DIE ZEIT 13, 1958, Nr. 43, S. 24.

Albert Malte Wagner: Ehret Goethe durch Arbeit! Praktische Ratschläge für eine humanistische Germanistik, in: Göttinger Universitäts-Zeitung 3, 1948, Nr. 22, S. 7‒9.

— Die Eumeniden. Beschwörung der Vergangenheit: Der Fluch humanistischer Wissenschaft, in: Göttinger Universitäts-Zeitung 3, 1948, Nr. 7/8, S. 8‒10.

— Leserbrief, in: DIE ZEIT 13, 1958, Nr. 39, S. 22.

— Leserbrief, in: DIE ZEIT 13, 1958, Nr. 42, S. 20.

— Wege und Irrwege der Germanistik. Die Eumeniden 2, in: Göttinger Universitäts-Zeitung 3, 1948, Nr. 15, S. 8‒11.

Anmerkungen

[1] Diese und die weiteren Angaben zum Lebenslauf Wagners bei Gabriele Plesske: Wagner, Albert Malte, in: Christoph König (Hrsg.), Internationales Germanistenlexikon 1800‒1950, Bd. 3, Berlin, New York: De Gruyter 2003, S. 1969‒1971.

[2] Wagner hatte in der Göttinger Universitätszeitung 1948 drei Artikel veröffentlicht: „Die Eumeniden. Beschwörung der Vergangenheit: Der Fluch humanistischer Wissenschaft“ (Nr. 7/8, S. 8‒10), „Wege und Irrwege der Germanistik. Die Eumeniden 2“ (Nr. 15, S. 8‒11) und „Ehret Goethe durch Arbeit! Praktische Ratschläge für eine humanistische Germanistik“ (Nr. 22, S. 7‒9). Die ersten beiden Teile bringen eine Kritik der Altphilologie und der Germanistik, die sich durch die Beschränkung auf wissenschaftliche Detailarbeit ihres Humanismus beraubt und durch fachinterne Machtstrukturen Mittelmäßigkeit gefördert hätten. Beides habe sie schließlich der Diktatur dienstbar werden lassen. Im letzten Teil skizziert Wagner ein Reformprogramm für die Germanistik. Im Heft 4 des folgenden Jahres, S. 4‒6, gibt es unter dem Titel „Gegen Diffamierung der Philologie. Auseinandersetzung mit Albert Malte Wagner“ eine Antwort von Gerhard Mattke, der als „Dr. phil, Stuttgart“ vorgestellt ist und der es sich zur Aufgabe macht, der „persönlichen Verärgerung und Gereiztheit“, die Wagners Artikel „ganz überwiegend“ hervorgerufen hätten, eine Stimme zu verleihen. Mattke unterrichtete seit 1945 Latein und Griechisch an der Freien Waldorfschule Uhlandshöhe in Stuttgart. – Ich danke Jürgen Babendreier für die Zusendung von Kopien dieser Artikel.

[3] Internationale Forschungen zur deutschen Literaturgeschichte. Julius Petersen zum 60. Geburtstag, dargebracht von H. Cysarz, A. R. Hohlfeld, H. A. Korff u. a., Leipzig: Quelle & Meyer 1938. Die Widmung lautet: „Julius Petersen, dem Meister der Forschung, der Formung und der Besinnung zum 5. November 1938 von Freunden und Kollegen im In- und Ausland“. Als Beiträger treten nur gleichrangige Fachkollegen auf, keine Schüler.

[4] Ludwig Borinski, seit 1951 in Hamburg Professor für Englische Philologie. Sein Vater Karl Borinski (1861‒1922) war von 1906 bis zu seinem Tod 1922 a. o. Professor der deutschen Sprache und Literatur in München.

[5] Gustav Roethe: Goethe. Gesammelte Vorträge und Aufsätze, Berlin: Ebering 1932.

[6] Angaben nach Reiner Bölhoff: Pretzel, Ulrich, in: Christoph König (Hrsg.), Internationales Germanistenlexikon 1800‒1950, Bd. 2, Berlin, New York: De Gruyter 2003, S. 1426‒1428.

[7] Zu Pyritz vgl. Christa Hempel-Küter: Germanistik zwischen 1925 und 1955. Studien zur Welt der Wissenschaft am Beispiel von Hans Pyritz, Berlin: Akademie Verlag 2000.

[8] Ulrich Pretzel: Zum Andenken an Wolfgang Monecke, [Hamburg: Privatdruck] [1969]; die folgenden Angaben zu Moneckes Leben nach dieser Publikation.

[9] Angaben nach Per Øhrgaard: Lunding, Erik, in: Christoph König (Hrsg.), Internationales Germanistenlexikon 1800‒1950, Bd. 2, Berlin, New York: De Gruyter 2003, S. 1130.

[10] Gustav Roethe: Wege der deutschen Philologie. Rede, zum Antritt des Rektorats der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 15. Oktober 1923, Berlin: Ebering 1923; Wiederabdruck (entgegen der Chronologie in prononcierter Schlussposition) in Gustav Roethe: Deutsche Reden, Leipzig: Quelle & Meyer [1927]. Wagner zitiert die letzten Sätze, auf die Roethes Ansprache hinausläuft.

[11] Tatsächlich nennt Kürschners deutscher Gelehrten-Kalender in der 7. und der 9. Ausgabe (1950 bzw. 1961) für Pretzel das Habilitationsjahr 1938 und den Ruf nach Prag. Die dazwischen erschienene 8. Ausgabe macht keine Angaben zu Pretzels Werdegang vor seinem Ruf nach Hamburg. Sie lag seit 1954 vor, war also die im Debattenjahr 1958 aktuelle.

[12] Jürgen Babendreier kritisiert völlig zu Recht Leonhardts individualisierende Darstellung Wagners als „vielleicht persönlich erbitterten alten Mann“ und benennt auch, dass Leonhardt „die Emigrationsgeschichte eines deutsch-jüdischen Gelehrten“ verschweigt. Doch dient Leonhardt nicht nur der Leserbrief als Ansatzpunkt für seine Artikelserie – auch Wagner bezieht sich positiv auf dessen Ankündigung, die strittige Thematik weiterzuverfolgen. Dieses zumindest nach außen gezeigte Einverständnis legt nahe, dass Leonhardts unzureichende Formulierungen als Zugeständnis an ein teils zur Auseinandersetzung unwilliges Publikum gelesen werden können, und dass Wagner sie als taktisch bedingt auffasste.