Zwei „Feinde“
Marcel Reich-Ranicki und Peter Handke
Von Thomas Anz
Wenn Reich-Ranicki über junge und noch weitgehend unbekannte Schriftsteller schrieb, hatten seine Artikel in der Regel einen lobenden Tenor. Und die negative Besprechung von Büchern, die er eigentlich nicht für kritikwürdig hielt, rechtfertigte er mit dem Rang des Autors. Nur weil die Erzählung Die linkshändige Frau von dem „beliebten und auch in mancherlei Hinsicht repräsentativen Nachwuchsdichter Peter Handke stammt, müssen wir auf dieses erstaunlich harmlose Prosastück […] etwas näher eingehen“, schrieb er 1976 in einer Rezension der F.A.Z. zu dem Buch des inzwischen etablierten Autors. Dort zitiert er den Satz: „Bruno hatte den Arm um sie gelegt. Dann lief er weg und schlug einen Purzelbaum auf dem hartgefrorenen Rasen.“ Es folgt der Kommentar: „Ich fürchte, der Mann ist nicht ganz in Ordnung.“ In einer anderen Passage der Erzählung, in der Bruno auf der Straße von seiner Frau begleitet wird, steht der Satz: „Plötzlich blieb Bruno stehen und legte sich auf die Erde, mit dem Gesicht nach unten.“ Reich-Ranicki zitiert ihn und fügt hinzu: „Unter diesen Umständen scheint die Unterbringung Brunos in einer psychiatrischen Anstalt nötig, was freilich Handke zu vermerken unterlassen hat.“
Der Schriftsteller Peter Handke und der Kritiker waren „Feinde“ und präsentierten ihre Feindschaft gerne der Öffentlichkeit. Am Anfang eines umfangreichen Gesprächs zwischen Reich-Ranicki und Peter von Matt über Literatur und Literaturkritik, das unter dem Titel Der doppelte Boden zuerst 1992 veröffentlicht wurde und später in mehreren Auflagen erschien, fragte der Literaturwissenschaftler den Kritiker: „Haben Sie Feinde?“ Reich-Ranicki antwortete: „Sehr viele. Das gehört zu meinem Beruf.“ Mit seinen negativen Kritiken hatte sich Reich-Ranicki bei Autoren und Autorinnen viele Feinde gemacht. Doch denselben Effekt konnten, wie er selbst bemerkte, auch positive Kritiken haben, wenn die Konkurrenten des gelobten Autors sich darüber ärgerten.Die Feindseligkeiten ihm gegenüber artikulierten sich nicht selten in aggressiven Todeswünschen. Berühmt-berüchtigt ist der Ausruf Rolf Dieter Brinkmanns im November 1968 während einer Podiumsdiskussion: „Ich sollte überhaupt nicht mit Ihnen reden, ich sollte hier ein Maschinengewehr haben und Sie niederschießen.“ Helmut Heißenbüttel, der Reich-Ranicki schon aus der Gruppe 47 kannte, schrieb 1988 einen fiktiven Nachruf auf den Kritiker: „Ich kann nicht mehr mit ihm, einem seiner Denkweise, reden. Ich schreibe daher einen Nachruf, einen Nachruf zu Lebzeiten, denn er ist für mich, so wirksam er auch immer sein mag, so sehr er auch agieren, taktieren und integrieren mag, ein Gestorbener“.
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