Todesarten

Über das Sterben Franz Kafkas

Von Thomas AnzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Anz

Mitte Oktober 1918 wurde der lungenkranke Franz Kafka von der Spanischen Grippe infiziert, die der vom Krieg geschwächten Bevölkerung Europas zahllose Todesopfer abforderte. Von den Folgen dieser Erkrankung hat sich Kafka nie mehr ganz erholen können. Trotz etlicher Kuraufenthalte in Schelesen, Meran oder Matliary verschlechterte sich sein Gesundheitszustand zunehmend. Im September 1922 teilte er Max Brod mit: „ich habe die Schloßgeschichte offenbar für immer liegen lassen müssen, konnte sie seit dem ,Zusammenbruch‘, der eine Woche vor der Reise nach Prag begann, nicht wieder anknüpfen“. In den folgenden Wintermonaten verließ er kaum noch das Bett. Die Pläne, nach Palästina überzusiedeln, gab er vorerst auf. Unterstützt durch die älteste Schwester, konnte er im Sommer 1923 immerhin nach Müritz an der Ostsee reisen. Obwohl schon sehr geschwächt, dauernd hustend, abgemagert und von Herzbeschwerden gequält, kam es hier, in seinem letzten Lebensjahr, zu einer überraschenden Wende, die ihm mit einem Male viele alte Wünsche erfüllte.

In dem Ostseebad lernt er die junge Ostjüdin Dora Diamant kennen. Mit ihr gelingt es ihm plötzlich, der Wiederholung alter Lebensmuster zu entgehen. Sie treffen eine rasche Entscheidung: Kafka verlässt Prag und lebt mit ihr zusammen in Berlin. Den Entschluss, sich dort auf Dauer niederzulassen, durchkreuzt indes die Krankheit. Sie erzwingt Mitte März 1924 eine Rückkehr nach Prag – als Zwischenstation auf dem Weg in ein geeignetes Sanatorium. In der Wiener Universitätsklinik bestätigen die Ärzte den Verdacht auf Kehlkopftuberkulose. Am 19. April wird Kafka auf Veranlassung Dora Diamants in das Sanatorium des Dr. Hoffmann in Kierling bei Klosterneuburg verlegt. Der Stimme beraubt, kann sich Kafka mit Dora und den Freunden nur noch schriftlich auf Gesprächszetteln verständigen. Auf dem Sterbebett liest er, aufgrund der Schluckbeschwerden in permanentem Hungerzustand, noch die Druckfahnen des Erzählungsbandes „Ein Hungerkünstler“. Am 3. Juni verlangt er von dem Freund Robert Klopstock jene Morphiumspritze, die dieser ihm schon lange vorher für den „Ernstfall“ versprochen hatte. Auch diesen letzten Wunsch formulierte er mit einem der für ihn typischen Paradoxe: „Töten Sie mich, sonst sind Sie ein Mörder.“

... [Weiterlesen]

Weitere Informationen auf der Seite unseres Verlags LiteraturWissenschaft.de