Kain und Abel

Kain und Abel (J[1])

(1. Mose III 20) Der Mensch nannte sein Weib Ewa. (IV 1.2) Und Ewa gebar den Kain, danach den Abel. Abel wurde Schafhirt, Kain Ackerbauer.

(3) Eines Tages brachte Kain Gott ein Opfer dar von den Früchten des Ackers; (4) desgleichen Abel von den Erstlingen seiner Herde und ihrem Fett. Und Gott sah gnädig auf Abel und sein Opfer; (5) aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Kain ergrimmte und schlug die Augen nieder. (6) Da sprach Gott zu ihm: „Warum ergrimmst du und schlägst die Augen nieder? (7) Ists nicht also? Wenn du Gutes vorhast, darfst du sie frei erheben; hast du aber nichts Gutes vor, so ruht die Sünde vor der Tür und verlangt nach dir; du aber herrsche über sie!“

(8) Doch Kain sagte zu seinem Bruder: „Laß uns aufs Feld gehn!“ Und als sie auf dem Felde waren fiel er über ihn her und schlug ihn tot. (9) Da rief Gott: „Wo ist dein Bruder Abel?“ Kain antwortete: „Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein?“ (10) Gott aber sprach: „Was hast du getan? Horch! das Blut deines Bruders schreit zu mir vom Acker. (11) Und nun, verbannt seist du vom Acker, der seinen Mund hat aufgetan, deines Bruders Blut von deinen Händen zu empfangen! (12) Wenn du den Acker baust, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden!“

(13) Kain erwiderte: „Meine Strafe ist schwerer, als daß ich sie tragen könnte. (14) Du treibst mich heute vom Ackerboden und ich muß mich vor dir verbergen und unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mich totschlagen, wer mir begegnet.“ (15) Aber Gott sprach zu ihm: „Nein; sondern wer Kain totschlägt, an dem soll es siebenfach gerächt werden.“ Und Gott machte ein Zeichen[2] an Kain, daß ihn niemand erschlüge, der ihm begegnete. (16) So ging Kain hinweg von Gott und wohnte im Lande Not östlich von Eden.

Erklärungen

[1] In den 5 Büchern Mose habe ich hinter den Überschriften die jeweilige Quellschrift (J = Jahwist, E = Elohist; JE = Jehovist, D = Deuteronomium, P = Priesterkodex) angegeben, der der Abschnitt angehört. Näheres zu diesen Quellschriften in den Namen- und Sacherklärungen.

[2] Das Kainszeichen, von dem Vers 15 spricht, ist nicht, wie gemeinhin geglaubt wird, ein Brandmal des Mörders, sondern ein Zeichen, das jeden warnen soll, sich an Kain zu vergreifen. Gott selbst hat es zu Kains Schutz verliehen, weil ihm die Vertreibung Kains vom Ackerboden hinreichende Sühne für die Ermordung Abels zu sein schien. Kain ist hier zu verstehen als Stammvater der Keniten, eines Israel befreundeten Beduinenstammes (Richter IV 17-21, V 24-27, 1. Samuel XV 6), der wegen seiner siebenfachen Blutrache gefürchtet war, und das Kainszeichen als eine Tätowierung, künstliche Narbe oder dergleichen, die jeden Angehörigen dieses Stammes kenntlich machte und schützte. Warum muß dieser Israel so nahe stehende Stamm fern vom Ackerboden Kanaans unstet und flüchtig in der Steppe umherstreifen? Weil sein Ahnherr einst in wilder Eifersucht seinen Bruder erschlug.

In der jetzigen Gestalt der Erzählung tritt dies Geschichtliche fast ganz hinter dem eindrucksvoll dargestellten allgemein Menschlichen zurück. Doch ist die Übersetzung von Vers 7 ganz unsicher.

 

Israel und Juda. Sage und Geschichte, Weisheit und Hoffnung eines Volkes in Selbstzeugnissen. Hg. u. kommentiert von August Möhle (seit 2017 auch als E-Book)