Israels und Josefs Ende

Israels und Josefs Ende (J)

(1. Mose XLVII 29) Als dann die Zeit kam, daß Israel sterben sollte, ließ er seinen Sohn Josef rufen und sprach zu ihm: „Willst du mir etwas zuliebe tun, so leg deine Hand unter meine Hüfte[1] und versprich mir in Liebe und Treue, daß du mich nicht in Ägypten begraben wirst, (30) sondern in meinem Grabe, daß ich mir im Lande Kanaan gegraben habe!“ Josef antwortete: „Ich werde tun, wie du gesagt hast.“ (31) Und schwur es ihm.

(XLVIII 1) Dann holte Josef seine beiden Söhne, Manasse und Efraim, und brachte sie zu seinem Vater. (8) Israel fragte: „Wer sind diese?“ (10) Denn seine Augen waren schwach vor Alter, er konnte nicht mehr sehen. (9) Josef antwortete: „Das sind meine Söhne, die mir Gott geschenkt hat.“ Israel sprach: „Bring sie her, damit ich sie segne!“ (13) Da führte Josef die beiden heran, Efraim mit seiner rechten Hand Israel zur Linken und Manasse mit seiner linken Hand Israel zur Rechten. (14) Israel aber legte seine rechte Hand auf Efraims, des Jüngeren, Haupt und seine linke auf Manasses Haupt, indem er die Arme kreuzte. (17) Als Josef sah, daß sein Vater die rechte Hand auf Efraims Haupt legte, mißfiel ihm dies; und er faßte seines Vaters Hand, um sie auf Manasses Haupt zu legen, (18) und sagte: „Nicht so, Vater, dies ist der Erstgeborene; leg deine rechte Hand auf sein Haupt!“ (19) Aber sein Vater weigerte sich: „Ich weiß, mein Sohn, ich weiß! Auch er wird ein Volk werden, auch er wird mächtig sein; aber sein jüngerer Bruder wird mächtiger werden als er und seine Nachkommen zu einer Menge von Stämmen.“[2] (20) So segnete er sie an jenem Tage und sprach: „Mit euerem Namen wird man in Israel segnen und sagen: Gott mache dich wie Efraim und Manasse!“

(IL 1) Darauf rief Israel seine Söhne zu sich und sprach:

3 Ruben, mein Erstgeborener du,
meine Kraft und Erstling meiner Mannheit,
4 sollst der erste nicht bleiben,
weil du bestiegst deines Vaters Bett.
5 Simeon und Lewi, die Brüder,
6 im Zorn erschlugen sie Männer,
mutwillig lähmten sie Stiere.
7 Verflucht ihr wilder Zorn, ihre grausame Wut!
Ich will sie zerteilen in Jakob, zerstreuen in Israel.
8 Juda, dich preisen deine Brüder;
deine Hand packt deiner Feinde Genick;
vor dir fallen nieder deines Vaters Söhne.
9 Ein junger Löwe ist Juda;
vom Raube, mein Sohn, wardst du groß.
Er hat sich geduckt, gelagert wie ein Löwe,
wie eine Löwin, wer mag ihn stören?
10 Nicht weicht das Szepter von Juda,
der Stab zwischen seinen Füßen,
bis schiloh kommt, ihm gehorchen die Völker.
11 Er bindet an den Weinstock sein Eselsfüllen,
an die Edelrebe seiner Eselin Sohn;
er wäscht mit Wein sein Gewand,
mit Traubenblut seinen Mantel;
12 seine Augen funkeln von Wein,
seine Zähne sind weiß von Milch.
13 Sebulon wohnt am Gestade des Meers,
lehnt seinen Rücken an Sidon.
14 Issachar ist ein knochiger Esel,
lagernd zwischen den Hürden.
15 Da er sah, wie schön die Ruh,
wie lieblich sein Land ist,
beugte den Rücken er unter der Last,
wurde er Fröner.
17 Dan sei eine Schlange am Wege,
eine Otter auf dem Pfade,
die das Roß in die Ferse beißt,
daß der Reiter rückwärts stürzt!
19 Gad – Räuber bedrängen ihn,
er aber drängt sie zurück.
20 Asser hat Brot im Überfluß,
Königsleckerbissen liefert er.
21 Naftali …..
22 Ein junger Fruchtbaum ist Josef,
ein junger Fruchtbaum am Quell.
23 Pfeilschützen reizten, beschossen ihn,
24 doch fest blieb sein Bogen, gelenk seine Kraft.
25 Mit reichem Segen segne dich Gott!
27 Benjamin ist ein reißender Wolf:
am Morgen frißt er den Raub,
am Abend verteilt er die Beute.[3]

(33) Als Israel seine Worte beendet hatte, legte er sich zurück aufs Bett und verschied. (L 1) Da warf sich Josef über seinen Vater, weinte über ihm und küßte ihn. (2) Und er befahl den Ärzten, die ihm dienten, seinen Vater einzubalsamieren. (3) Das dauerte vierzig Tage. (4-14) Danach zog Josef mit seinen Brüdern und vielen vornehmen Ägyptern nach Kanaan und bestattete seinen Vater in dem Grabe, das er sich dort gegraben. (22) Er selbst aber wurde, als er starb, in einem Sarge in Ägypten bestattet.

Erklärungen

[1] Vgl. Fußnote 1 in: Saras Tod. Abraham kauft die Höhle Machpela als Erbbegräbnis.

[2] Von den Josefstämmen war in der Richterzeit Manasse, später Efraim der mächtigere. Vgl. Richter VI-VIII (Gideon aus Manasse; besonders VII 24 – VIII 3) und Jesaja VII 9 (Efraim Name des Nordreiches)!

[3] Spruchgedichte über die zwölf Stämme waren, solange diese noch eine gewisse Selbständigkeit hatten, eine in Israel beliebte Schrifttumsgattung. Zwei solche Spruchgedichte sind uns erhalten: das eine hier, das andere in 5. Mose XXXIII. Hier sind die Sprüche dem sterbenden Jakob, in 5. Mose XXXIII dem sterbenden Mose in den Mund gelegt, nach dem Glauben, daß Sterbende die Zukunft nicht nur voraussehen, sondern durch zauberkräftigen Spruch auch beeinflussen können. In Wirklichkeit spiegeln die beiden Spruchgedichte einfach die Verhältnisse der Stämme zur Zeit ihrer Abfassung wieder. Danach sind die Jakobsprüche in die Zeit Dawids, die Mosesprüche in eine Blütezeit des Nordreiches, etwa die Jerobeams II. (2. Viertel des 8. Jhs.), zu setzen. Zur Zeit Dawids hatte der Stamm Ruben seine ursprüngliche Vormachtstellung, die die Sage durch die Erstgeburt (XXIX 32) andeutet, verloren, Simeon und Lewi sogar ihren Stammesverband. Die Sprüche leiten dies her von einem Fluch des Ahnherrn über die Stammväter dieser drei Stämme. Nach XXXV 22 hatte Ruben bei Bilha, Jakobs Kebsweibe (XXX 3-8), geschlafen. Vers 6 bezieht sich wohl auf die XXXIV 25.26 erzählte Gewalttat Simeons und Lewis gegen Sichem. Lewi hat zur Zeit des Jakobspruches moch nicht seine spätere Bedeutung als Priesterstamm; diese gewann er erst durch den Tempel Salomons. Unbestrittener Herr aller Stämme Israels ist jetzt der löwengleiche Stamm Juda; seine Herrschaft wir kein Ende haben. Strittig ist die Beziehung der Verse 11 und 12. Sie hängt davon ab, was SCHILOH in Vers 10 bedeutet. Aber das wissen wir eben nicht. Alle Übersetzungen: „das für ihn Aufbewahrte“ (Septuaginta), „dem er aufbewahrt ist“ (Aquila), „der zu Sendende“ (Vulgata), „der Held“ (Luther), „nach Silo“ und die vielen anderen sind ganz willkürlich. Sieht man mit Aquila, Vulgata und Luther in SCHILOH den Herrscher der seligen Endzeit, so hat man die Verse 11 und 12 auf diesen, sonst auf Juda zu beziehen. Im einem wie im anderen Falle bedeuten die Verse, daß das Land so voller Weinstöcke sein wird, daß man unbekümmert um den Verbiß die Esel daran binden, die Kleider statt mit Wasser mit Wein waschen und im Überfluß Wein und Milch zu trinken haben wird. Nach Juda werden als wehrhaft Dan, Gad, Josef und Benjamin hervorgehoben. Vgl. dazu Richter XIII-XVIII, 1. Samuel XI.XXXI 11-13, Richter VI-VIII und 1. Samuel XI – 2. Samuel IV! Die Pfeilschützen, deren sich Josef erwehrt, wird man auf die Midianiten beziehen dürfen, denen Gideon aus dem Josefstamm Manasse die gewohnten Raubzüge durch Josefs Gebiet verleidete.