Einleitung

b) Der jüdische Künstler

Der hohe Anteil des deutschen Judentums an der expressionistischen Literaturbewegung – etwa die Hälfte der maßgeblichen Autoren waren jüdischer Herkunft – würde den Versuch rechtfertigen, die künstlerische Produktivität, die innere Problematik und die äußere Bedro­hung dieser kulturellen Symbiose eigens zu dokumentieren.[1] Zwar unterscheidet sich der Expressionismus jüdischer Schriftsteller nicht substantiell von den literarischen Themen, Moti­ven und Darstellungsweisen nicht-jüdischer Autoren, doch belegen zeitgenössische Publikatio­nen die besondere Affinität des Jüdischen zum Expressionismus, die bei Produzenten wie im Publikum festgestellt werden konnte.[2] Zu Recht wurde behauptet: »Noch mehr als wie vor fünfundzwanzig Jahren von der naturalistischen sind die Juden heute von der expressionisti­schen Strömung ergriffen […]«.[3] Des latenten Antisemitismus[4], aber auch der Vorbehalte assimilierter Juden bewußt, hielt man es notgedrungen für »ein ungemein verdächtiges Unter­nehmen«, »den Juden innerhalb des deutschen Kulturkreises als eine Sondererscheinung zu se­hen […] Denn es scheint in diesem Deutschland fast nicht anders denkbar, als daß die Geschäf­te einer finsteren Reaktion betreibt, wer das Wesen des Juden als ein unterschiedliches über­haupt nur zu betrachten wagt«.[5] In heute kaum noch vorstellbarer Weise hatte das Dasein dieser religiös-ethnisch-kulturellen Minderheit von intellektuell, publizistisch und wirtschaft­lich prägendem Rang und Einfluß zum Oktroi der sogenannten »Judenfrage« geführt.[6] Der gesellschaftlich-ideologisch eingeschliffene Abgrenzungszwang gegen das vermeintlich ›Un­deutsche‹, pseudowissenschaftliche Rassenlehren, Minoritätenfeindlichkeit, unheilvoll-unbe­dachte Schlagworte, – z. B. August Bebels Deutung des Antisemitismus als »Sozialismus des dummen Kerls« oder Heinrich von Treitschkes »Die Juden sind unser Unglück« – befestigten das damals weit unterschätzte Ressentiment, dessen tief irrationale Verwurzelung noch uner­kannt blieb. Albert Ehrensteins Ansichten eines Exterritorialen sind ein Reflex auf das sozial­psychologische Stigma, das die Bewahrung jüdischer Identität bedrohte: »Bemerkenswert ist: sowohl diese Juden, als auch die wegen ihrer schwarzen Farben mißachteten Neger […] halten sich gar nicht für Juden und Neger, werden nur dafür gehalten: er selbst, der Jude oder Neger, fühlt sich ebenso wie die anderen Menschen […]«.[7]