Einleitung

2. Spracherneuerung und Wortkunsttheorie

Wenn vom Sprachzweifel und vom modernen Bewußtsein der Krise literarischer Sprache die Rede ist, wird zumeist Hugo von Hofmannsthals berühmter Brief des Lord Chandos[1] an er­ster Stelle genannt, obschon dieses Dokument der Jahrhundertwende – paradoxerweise – in kultiviert verfeinerter Sprache vom Ende der Metaphysik, von kognitiver Skepsis und dem dar­aus begründeten Wortzerfall handelt. In der Zeit des Expressionismus hielt man sich jedenfalls mit skrupulöser Sprachskepsis dieser Provenienz nicht lange auf. So ist es für die poetische Sprachverwendung der Zeit charakteristisch, »daß sie das ganze mögliche Sprachspektrum um­faßt«[2], und sich im Spannungsfeld zwischen der Konstruktion einer neuen Sprache und Sprachdestruktion bewegt. Dezidierte Sprachskepsis findet sich allenfalls im Werk des Einzel­gängers Gustav Sack[3], der die Wendung zur Mystik als Quietismus und die rhetorische Ek­stase als Illusion betrachtete.[4] Sprachkritisch beerbte der Expressionismus Karl Kraus’ An­griffe gegen die journalistische »Verschweinung« der Sprache, ohne jedoch dessen Fanatismus für die reine und richtige Sprache zu teilen. Analytische Bedeutung für die Sprachtheorie des Expressionismus gewann daneben Fritz Mauthners Sprachkritik.[5] Seine sprachphilosophi­sche Konzeption, die Adjektiv, Verbum und Substantiv voneinander losgelöst sah als die »drei Sprachen, in denen wir je nach der Richtung unserer Aufmerksamkeit unsere Kenntnis von ei­ner und derselben Welt ausdrücken«[6], findet Parallelen in der Verselbständigung grammati­scher Elemente expressionistischer Literatur, z. B. im Substantiv-Stil (»Sein« bei Mauthnner) oder in der Poetik des Verbums (»Werden« bei Mauthner).[7] Nicht zuletzt sollte auch die aktivisti­sche Mystik Gustav Landauers in diesem Zusammenhang erwähnt werden.[8] Insgesamt überwiegt im literarischen Expressionismus aber das Vertrauen in die eigene sprachliche Kre­ativität, sprachkritische Bedenken und gedankenlose Rhetorik koexistieren ebenso wie die Kla­ge über gestörte Kommunikation und der enthusiastische, häufig illusionäre Glaube an die Macht der Worte. Allgemeinverbindlich war wohl nur der Wille zur sprachlichen Veränderung, zur sprachlichen Erneuerung: »Denn wir sind hier, alles Geschaffene noch einmal zu schaffen: in der Sprache. Alles Lebende durch uns erst leben zu lassen: in der Sprache. Sine ver­ecundia. Kritik der Sprache haben Viele versucht [Mauthner bloß am lärmendsten]. Dringen­der als Kritik ist Zeugung der Sprache.«[9]