Brief des Kriegsministeriums vom 11.9.1915 an den Herausgeber der Zeitschrift Das Forum, Herrn Wilhelm Herzog, betreff Handhabung der Zensur

Abdruck in: Das Forum 3 (1918), H. 1 (Oktober); S. 22-24

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Brief des Kriegsministeriums vom 11.9.1915 an den Herausgeber der Zeitschrift Das Forum, Herrn Wilhelm Herzog, betreff Handhabung der Zensur. Abdruck in: Das Forum 3 (1918), H. 1 (Oktober); S. 22-24.

Nr. 86356                                                                                 München, 11.9.1915.
Kriegsministerium.
An
den Herausgeber der Zeitschrift
Das Forum
Herrn Wilhelm Herzog, Schriftsteller, München.

Betreff: Handhabung der Zensur.

Das Kriegsministerium hat sich wiederholt durch eingehende Aussprachen und Ermahnungen von seiten des Presse-Referates sowie durch Kriegsministerialerlaß Nr. 20533 vom 4.3.15 veranlaßt gesehen, die Schriftleitung der Zeitschrift Das Forum auf die schädlichen Folgen der Propagierung eines vaterlandslosen Ästheten- oder Europäertums warnend hinzuweisen und ihr nahe zu legen, sich ihrer Verantwortung in vaterländischer Hinsicht bewußt zu werden. Trotzdem hat die Schriftleitung ihre Bestrebungen fortgesetzt durch die Art und Zusammenstellung des Stoffes vaterländische Gesinnung, Äußerungen und Taten des deutschen Volkes, der Presse und Literatur wie auch des Heeres teils mit einer scheinbaren Sachlichkeit, teils hämisch als unvernünftig, Heuchelei oder als pathologische Affekte hinzustellen. Unzutreffende und irreführende Anschauungen und Urteile einzelner meist ausländischer Pazifisten und Utopisten werden geflissentlich hervorgehoben, und zahlreiche Anspielungen deuten an, daß der deutschen Regierung und dem deutschen Wesen die Schuld am Weltkriege zugeschoben werden soll.
Die an den Tatbestand des Landesverrats grenzende unheilvolle Wirkung dieser literarischen Unternehmung kann an der Hand von Äußerungen der Presse des feindlichen Auslandes nachgewiesen werden. Mit sichtbarer Genugtuung und Freude glaubt das feindliche Ausland aus den Veröffentlichungen des Forum auf eine Gesinnungsänderung, auf mangelndes Selbstvertrauen und schwächende Uneinigkeit der »deutschen Intelligenz« schließen zu dürfen, wodurch der Wille und die Hoffnung unserer Gegner, Deutschland und seine Verbündeten niederzukämpfen, neu gestärkt wird. Da die Veröffentlichungen des Forum tatsächlich aber nur die Stimmung und Anschauung einzelner weniger gänzlich einflußloser Leute wiedergeben, die sich zu der treuen und entschlossenen vaterländischen Stimmung und Haltung des deutschen Volkes in Widerspruch setzen, wird dadurch eine gefährliche Täuschung des feindlichen und neutralen Auslandes bewirkt und auch im Inlande ein Eindruck hervorgerufen, der allen Vaterlandsfreunden bedenklich und ärgerlich erscheint.
Die wohlmeinende Absicht der Zensur, die militärisch gefährliche Wirkung der Veröffentlichungen der Zeitschrift durch Streichungen und Abänderungsvorschläge abzuschwächen und [320] aufzuheben, wurde von der Schriftleitung durch auffällige Kennzeichnung der Streichungen, ja sogar durch das allerdings rechtzeitig vereitelte Vorhaben des Herausgebers, die vorgeschlagenen Abänderungen in hervortretender Schrift zu veröffentlichen, möglichst zu durchkreuzen versucht.
Da demnach die Interessen der Landesverteidigung durch die Zeitschrift »Das Forum« bedroht und geschädigt werden, da ferner nach der bisherigen Haltung des Herausgebers nicht zu erwarten ist, daß der Inhalt dieser Zeitschrift den zwingenden militärischen und allgemein vaterländischen Erfordernissen entsprechend gestaltet wird, ordnet das Kriegsministerium auf Grund Artikel 4 Ziffer 2 des bayrischen Kriegszustandsgesetzes und § 8 der Vollzugsvorschriften hierzu, zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit die Einstellung des Erscheinens dieser Zeitschrift während der Dauer dieses Krieges an. Dem Herausgeber ist gestattet, den bisherigen regelmäßigen Beziehern dieser Zeitschrift von der Einstellung des Erscheinens Kenntnis zu geben. Der Wortlaut dieser Mitteilung unterliegt der vorgängigen Genehmigung durch das Kriegsministerium und darf keinerlei weitere Ausführungen oder Ankündigungen enthalten. Jede andere Art der Mitteilung oder Veröffentlichung der vorstehenden Verfügung ist unstatthaft. Zuwiderhandlungen werden mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft.                            Kress

Anmerkung: Die Veröffentlichung des Dokuments und des Kommentars basiert auf: Expressionismus. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1910-1920. Herausgegeben von Thomas Anz und Michael Stark. Stuttgart: Metzler 1982. S. 319-320.