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Das grenzenlose Und

Roman

Von Sandra Weihs


Oliver Pfohlmann schrieb uns am 09.01.2017
Thema: Die Sache mit dem Suizid

„Das grenzenlose Und“: Im Romandebüt der Klagenfurterin Sandra Weihs schließen eine Borderlinerin und ein an Krebs Erkrankter einen Selbstmordpakt

Die Borderlinerin Marie will eigentlich nur eins: sich endlich „in Ruhe und Frieden umbringen können“. Wie auch anders, wenn man erkannt hat, dass man die allgemeine „Beschissenheit der Dinge“ doch nie wird ändern können? Also Suizid nicht aus Verzweiflung, sondern – darauf legt die Achtzehnjährige Wert – aufgrund von gründlichem Nachdenken. Mit freundlicher Unterstützung ihres Lieblingsautors, des Obermisanthropen Cioran.
Aber Marie hat Pech: Man lässt sie nicht. Weder die Sozialarbeiterin Sarah, die in der betreuten Mädchen-WG nach dem Rechten sieht, noch ihre Zimmergenossin Amina, die gleich „Marie metzelt schon wieder“ schreit, sobald sich die Ich-Erzählerin in Sandra Weihs Romandebüt nur ein bisschen mit der Rasierklinge ritzt, um in ihrer Borderline-Logik ihre Alkoholikermutter nachträg-lich zu bestrafen. Und natürlich auch nicht ihr Therapeut Willi, der das Mädchen zu einem „Kuhhandel“ überredet hat: Marie lässt sich ein Jahr lang auf seine Sitzungen ein und sieht in dieser Zeit davon ab, sich „den Exitus zu verpassen“, dafür bewahrt Willi sie im Gegenzug vor der Psychiatrie.
Seitdem spielt Marie auf Willis bunter Couch mit dem Therapeuten verbales Pingpong und fühlt sich wie eine Gefangene, die auf den Tag ihrer Entlassung wartet. So lange, bis sie Willies „Drei-Uhr-Klienten“ Emanuel kennenlernt, dessen Schicksal für Marie die Ungerechtigkeit der Welt beweist: Schließlich hat der junge Mann mit den Rehaugen aufgrund eines Hirntumors nur noch ein paar Wochen zu leben, also „eine Freikarte in den Tod“. Überraschenderweise, jedenfalls für Marie, geht es aber auch Emanuel nicht gut: Er hat er Angst vor dem Sterben, und eben die soll Marie ihm nehmen. Was liegt da näher als ein Selbstmordpakt?
Ob und wie dieser ausgeführt wird, soll hier natürlich nicht verraten werden, aber dass sich Marie die Sache mit dem Suizid am Ende noch einmal überlegen wird, dürfte auf der Hand liegen. Die Autorin, 1983 in Klagenfurt geboren, arbeitet selbst als Sozialarbeiterin, und von ihren Erfahrungen dürfte vieles in diesen stellenweise fesselnden, durchweg straight erzählten Coming-of-Age-Roman eingegangen sein. Für ihr Debüt erhielt Sandra Weihs sogar den renommierten Jürgen-Ponto-Literaturpreis. Das scheint allerdings zu hoch gegriffen, denn auf den 190 Seiten liegen literarisch doch Licht und Schatten ständig nebeneinander: witzig-erhellende Dialoge neben verquastem Heile-Welt-Denken („Endlich nimmst du dich als Teil dieser Gesellschaft wahr! Ja, Marie. Du bist wie all die anderen.“), der erfrischend unkonventionelle Therapeut neben Klischee-Figuren wie Emanuels Großmutter, der ehemaligen Bordellchefin mit großem Herzen und wogendem Busen. Auch wäre der Roman mit Blick auf das Zielpublikum und dem etwas seifigen Schluss in einem Jugendbuchverlag vermutlich besser aufgehoben gewesen.  

Sandra Weihs: Das grenzenlose Und. Roman. Frankfurt, Frankfurter Verlagsanstalt 2015, 192 S., 19,90 Euro.

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