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Ungestraft unter Palmen

Wege zur Weltliteratur

Von Hans Christoph Buch


Christoph Ludszuweit schrieb uns am 05.03.2018
Thema: Hans Christoph Buch: Ungestraft unter Palmen

Dialog mit den Schatten großer Toter

von Christoph Ludszuweit

„Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben.“

Das von H.C. Buch verwendete Zitat von Alexander von Humboldt könnte als Leitmotiv seiner thematisch weit gestreuten Aufsatzsammlung Ungestraft unter Palmen. Wege zur Weltliteratur dienen. Es stellt einen Bezugsrahmen zu einer Reihe von Autoren her, welcher auch seinen eigenen literarischen Arbeiten zugrunde liegt.

In seinem Essay Die Geburt des Romans aus dem Geist der Reportage untersucht Buch ein Problem, mit er sich schon lange herumschlägt: das Unvermögen der deutschen Literaturkritik, im Grenzbereich von Fiktion und Non-Fiction angesiedelte Romane angemessen zu würdigen, weil nicht eindeutig erkennbar ist, wo die Realität endet und die literarische Phantasie beginnt.

In seinen Poetik-Vorlesungen an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt/Main von 1990 ging es H.C. Buch darum, Bausteine zu einer Poetik des kolonialen Blicks zu entwickeln. Er untersuchte darin die „durch die Ausweitung des geographischen Horizonts bewirkten Veränderung der Wahrnehmung und deren Niederschlag in Kunst und Literatur“ und beschränkte sich allerdings noch auf rein deutschsprachige Texte.

In seiner kürzlich vorgelegten Essaysammlung setzt er nun diese literaturhistorische Aufarbeitung unter veränderten Vorzeichen fort. Die Texte umfassen teils umgearbeitete Rezensionen und Interviews, Studien und Essays. Sie handeln immer noch davon, dass Nähe ein durchaus ferner Ort sein kann, von der „„Dialektik von Nähe und Ferne, Exotik und Provinz, deren wechselseitige Durchdringung und Vermischung das Nahe fern und das Ferne nah erscheinen lassen.“ Nun blickt Buch über den deutschsprachigen literarischen Tellerrand hinaus und betreibt Spurensuche anhand ausgewählter Beispiele aus der Weltliteratur. Querverweise zu seiner eigenen Poetik verbindet er mit spannenden Betrachtungen zu Klassikern wie Goethe und Daniel Defoe. Oder er schildert auf unterhaltsame Weise seine Begegnungen mit Schriftstellerkollegen wie Jorge Edwards, Mario Vargas Llosa und dem somalischen Autor Nuruddin Farah, der sich selbstironisch als Afrikas führender Feminist tituliert; seine Romane und Erzählungen liegen bei Suhrkamp in deutscher Übersetzung vor. Farah hatte 1980 gegen ein dilettantisch organisiertes Horizonte-Festival in Berlin protestiert,  wo die afrikanischen Autoren „wie Affen im Zoo“ vorgeführt wurden. Anfang der neunziger Jahre lernte er als DAAD-Stipendiat in Berlin Deutsch, um Goethes Faust im Original zu lesen. Buch preist ihn als einen der wenigen afrikanischen Intellektuellen, die „den Kolonialismus nicht als Vorwand benutzen, um abzulenken von Fehlentwicklungen, die durch die Kolonialherrschaft allein nicht zu erkären sind: Korruption, Brutalität und Ineffizienz, so Farah, seien ein Erbe des Clan-Systems und der afrikanischen Familienstruktur mit ihrer Unterordnung des Individuums unter die Gemeinschaft, der Frau unter den Mann und der Jugend unter das Alter – eine Tradition, die den Übergang vom Land in die Stadt und vom Tribalismus zur Moderne erschwert.“

Ein anderes Highlight des Bandes ist H.C. Buchs Gedenkblatt für den aus Petersburg stammenden Kultautor Joseph Brodsky, der ihn von allen Dichtern, denen er begegnet ist, am tiefsten beeindruckt hat. Schon zu Beginn seiner literarischen Laufbahn hatte er in der UDSSR Lagerhaft und Verbannung durchlitten. Dreißig Jahre später, inzwischen in Greenwich Village in New York lebend,  antwortete er auf die Frage, wie er es mit der Religion halte, verneinend, er sei kein religiöser Mensch: „Ich bin ein schlechter Jude, ein schlechter Russe und ein schlechter Amerikaner, aber ein guter Poet. Ein Dichter weiß mehr über das höchste Wesen als die Kirche oder der Papst.“ Für Buch ist Brodsky ein „philosophischer, nein: ein metaphysischer Dichter, wie es ihn nach Rilke im deutschen Sprachraum nicht mehr gegeben hat....Brodskys Werk, die Essays ebenso wie die Gedichte, ist ein Dialog mit den Schatten großer Toter, deren Gedächtnis er in seiner Nobelpreisrede beschwört.““

Es geht nicht nur um Weltliteratur gestern und heute, er unternimmt auch den Versuch einer „Selbstfindung aus germanophilem Geist“,  um Dichtung und Wahrheit und um die Geburt des Romans aus dem Geist der Reportage. Buch blickt auf das wilhelminische Deutschland zurück, vor allem auf das damals schon als Mekka der Wissenschaft gepriesene Berlin. Er stößt auf frühe Vorläufer antikolonialer Kritik, erinnert an Pioniere der Entkolonialisierung wie den philippinischen Nationaldichter José Rizal, der in Berlin Medizin studiert hatte und mit seinem Roman Noli me tangere ein Hauptwerk der phillipinischen Literatur geschrieben hatte, und er erwähnt den amerikanischen Bürgerrechtler Dubois oder den japanischen Arzt Mori Ogai, die bei Robert Koch Medizin studiert hatten und sich von Deutschland stark inspirieren ließen. Auch ein Mark Twain war von Berlin fasziniert und galt als regelrecht germanophil;  diesem legt H.C. Buch einen (auf Daten von Twains Biographie gestützten) Monolog in den Mund, in dem schon damals Kreuzberg als Highlight hervorschimmerte:

„Höhepunkt meines Lebens aber war der Halleysche Komet, dessen Vorbeiflug ich in Gesellschaft Kaiser Wilhelms II. vom Kreuzberg, der höchsten Erhebung Berlins, aus beobachtete“, um wenig später einzugestehen: „Aber das kann nicht wahr sein, denn als der Halleysche Komet 1834 auftauchte, war ich Embryo im Bauch meiner Mutter, und bei seiner Wiederkehr am 19. Mai 1910 war ich schon tot.“

Twain verbrachte 1892 sechs Monate in Berlin, zunächst in einer Mietwohnung und dann im Hotel Royal an der Ecke Wilhelmstr./Unter den Linden, er wurde sogar Kaiser Wilhelm II als Gesprächspartner vorgestellt. Über die Schwester von Friedrich II schrieb er auch ein (in Berlin entstandenes) Romanfragment. Aus seinem berühmten Essay, mit dem er - in gutmütigem Spott - der  ‚schrecklichen deutschen Sprache’ seines Gastlandes – wie er sie nannte – ein Denkmal setzte, las er sogar öffentlich vor einem großen und begeisterten Berliner Publikum.

Auch seinen Antipoden Rubén Darío aus Nicaragua, den Dichter des Modernismo, zog es damals nach Berlin. Beide Autoren stellt er nebeneinander, beide waren, wie der weitgereiste Buch betont, „ständig auf Achse und verbrachten mehr Zeit auf Reisen als an einem Ort....Beide kamen vom Journalismus her und hatten hunderte Artikel und Reportagen veröffentlicht, bevor sie sich der Literatur verschrieben.“

Den Grenzen von Dichtung und Wahrheit geht er am Beispiel von Daniel Defoe nach. Dieser hatte in London Auswanderer aus der Pfalz befragt, wo er die dortige Zeltstadt der ausgewanderten „Pfälzer“ besuchte, und Artikel über das immer noch aktuelle Thema der Armutsmigration veröffentlicht, bevor er zehn Jahre später als Romanautor in die Geschichte eingehen sollte. Buch konstatiert dazu völlig zu Recht: „Die Argumente pro und contra Migration haben sich bis heute kaum verändert, ähnlich wie die schon damals geführte Debatte, ob England ein Einwanderungsland sei.“

Hans Christoph Buch, Ungestraft unter Palmen. Wege zur Weltliteratur. zu Klampen Verlag, Springe 2017

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