Mosaik aus Erinnern und Erleben

In Bettina Balàkas Roman "Eisflüstern" versucht sich der Kriegsheimkehrer Beck, in seinem Leben wieder zurecht zu finden

Von Georg WalzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Walz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Augen, die das Grauen des Krieges geschaut und danach den Körper durch die Hoffnungslosigkeit der Kriegsgefangenschaft geführt haben, kehren nach sieben langen Jahren der Abwesenheit in die Heimatstadt zurück. Es ist das Jahr 1922, und in den Alltag der Wiener Gesellschaft kehrt langsam wieder die Normalität ein. Tagelang läuft der Heimkehrer, der sein Inneres auf Eis gelegt hat, planlos durch die Vertrautheit der Gassen. Er nimmt die Veränderungen im Nachkriegsalltag wahr, versucht sich mit dem Verlust der gerade abgeschafften Monarchie und einem Kaiser, der weiterhin in seinem Kopf festsitzt, zu arrangieren, ohne dabei den Mut zu finden, seine Frau und seine kleine Tochter aufzusuchen.

Dass ein auf den ersten Seiten aufgefundenes Skelett, auch wenn es noch so wirkungsvoll drapiert wird und Rätsel aufgibt, noch lange keinen Krimi ausmacht, wird beim Lesen schnell klar. Trotzdem knistert die Spannung von Anfang an. Die Autorin nimmt den Leser mit auf eine Reise, bei der sich gekonnt Vergangenheit und Gegenwart abwechseln und eine nebulöse Zukunft zwar hoffen, aber letztlich keine positive Prognose zulässt.

Wortgewand wird die Lebens- und Leidengeschichte eines Mannes erzählt, der im Glauben und Spiel der Treue zu seinem Kaiser sein Leben verloren hat, ohne dabei den Tod zu gewinnen und es sich nun stückweise aufs Neue erobern muss. Die Geschichte erlaubt es, sich an die Seite des Protagonisten zu stellen und seine tragischen und grässlichen Erfahrungen während des Krieges und im Gefangenenlager, wie auch das unmittelbare Geschehen im entbehrungsreichen Nachkriegsalltag, aus erster Hand miterleben zu dürfen.

In den Fesseln der psychologischen Betrachtungen über die Traumatisierung des Danach und in der Schwerfälligkeit der Wiedereingliederung in eine lebenswerte Zukunft im Frieden, tritt eine Erkenntnis in den Vordergrund. Dies ist nur möglich, wenn der Heimkehrer Beck den Frieden in sich selbst findet. Die Handlungen erstarren in Momenten, sind minutiös durchdacht und werden immer wieder schonungslos und pointiert an eine gnadenlose Oberfläche gezerrt.

Geführt von der Rhythmik der Erzählweise, die Zeitsprünge als unterhaltsames Element nutzt, gelingt es, die Neugierde des Lesenden an den Angelhaken zu hängen und die Spannung bis zum Schluss hoch zu halten. Dies wird unterstützt durch die Deutlichkeit und Klarheit der Sprache, die die Dinge so benennt, wie sie tatsächlich sind. Die Genauigkeit historischer Details verblüfft. Sie ist nur mit einer fundierten und ausführlichen Recherchearbeit zu begründen. Ohne es im Einzelnen nachprüfen zu können, werde ich überzeugt - nur so kann es gewesen sein.

Der Protagonist braucht Zeit, um sich in der veränderten Realität an sein künftiges Leben als Polizist heranzutasten und in seinem ehemaligen Beruf erneut Fuß zu fassen. Genauso behutsam gelingt es ihm, sich seiner Familie zu nähern und das Vertrauen seiner Frau und auch das seiner kleinen Tochter, für die er ein völlig Fremder ist, zu gewinnen. Nahezu ebenso viele Seiten benötigt das Buch, um sich in dem Genre Krimi abzubilden, in dem es avisiert wurde.

Stück für Stück wird, durch distanzierte Betrachtungen, ein Mosaik aus Erinnern und Erleben zu einem allumfassenden Bild zusammengesetzt. Stimmig bis hin zur Klangfarbe des Vokabulars. Die Autorin spielt mit Worten und setzt gezielt Ausdrücke des Wiener Dialekts ein, die für den Nicht-Wiener nicht immer aus dem Zusammenhang der Handlung entschlüsselbar sind und der Geschichte einen besonderen zusätzlichen Reiz verleihen.

Bleibt noch zu erwähnen, dass das alles entscheidende Mosaiksteinchen erst auf den letzten Seiten eingesetzt wird und dann endgültig für Klarheit sorgt.

Nur auf den ersten Blick von Nachteil ist, dass der Roman, der ja auch ein Krimi sein will, seine kriminalistische Wirkung erst im letzten Drittel voll entfaltet. Auf all den Seiten vorher wird der Leser in eine Welt entführt, die dafür entschädigt und mich persönlich erschreckt und fasziniert.

Ein Buch, das ich nach dem Lesen der ersten Seiten nicht mehr aus der Hand legen konnte.


Titelbild

Bettina Balàka: Eisflüstern. Roman.
Literaturverlag Droschl, Graz 2006.
387 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-10: 3854207107

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