Wer bin ich?

Robert Littell haucht dem arg darnieder liegenden Spionage-Thriller neues Leben ein

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Leben nach der CIA ist für deren ehemalige agents, wie sie auch in den schönen deutschen Übersetzungen heißen, immer mit einigen Eingewöhnungsproblemen verbunden. Mancher von ihnen schafft es nie, einige wechseln die Seite, hin und wieder landen sie einen Coup in eigener Sache, ein paar werden Privatdetektive und der Rest geht schlicht in Pension (aber dieser Rest kümmert uns noch am wenigsten). Keine Ahnung, was ehemalige CIA-Agents im wirklichen Leben machen, im Thriller und Krimi sind sie jedenfalls ein immer wieder gern gewähltes Thema. So auch in Robert Littells Thriller "Die kalte Legende".

Und es gelingt ihm, dem alten Thema eine neue, vielleicht sogar originelle Wendung zu geben. Selbstverständlich rechnet Littells Held mit seinen alten Herren (in diesem Fall mit einer Dame) ab. Selbstverständlich kommen auf diesem Wege einige Schweinereien ans Tageslicht, denen sich die von ihrer Macht verführten Undercover-Agenten und deren Führungsoffiziere schuldig gemacht haben. Es wäre ja auch sehr merkwürdig, wenn in dem von Allmachtsfantasien bis zum Platzen gefüllten Thriller-Genre nicht auch die Geheimdienstaktivisten um großes Geld spielen würden. Hier werden Regierungen gestürzt, Länder ins Chaos gestoßen, hier steuern geheime Mächte das Weltgeschehen, und Politiker wie Wirtschaftsbosse gehören entweder zu den Drahtziehern aus dem kriminellen oder Geheimdienstmilieu - oder sie sind auch nur Spielfiguren, die sich ohne Chance zur Gegenwehr herumschieben lassen müssen, zum Teil in Spielen, von denen sie nicht einmal ahnen, dass es sie gibt. Das gibt natürlich genügend Anlass, herrlich komplizierte Plots zu konstruieren, bei denen man befürchten muss, dass nicht einmal ihr Generalkonstrukteur (vulgo: der Autor) sie in ihrer Gänze überblickt.

In diesem Zusammenhang ist das Spiel mit den Identitäten sehr beliebt und eine der Zentralausstattungen. Littell gibt dem Ganzen aber eine angenehme, höchst lesenswerte Note. Sagen wir: Er appelliert an unsere Intelligenz, und das muss man honorieren. Klar, er folgt beinahe zwingend der Linie Ex-CIA-Agent-rechnet-mit-allen ab. Das ist sehr kompetent (soweit man als Laie dazu ein Urteil abgeben kann), sehr effektiv (zumindest, was die Ergebnisse romanintern angeht) und vor allem ziemlich blutig. Menschenfreundlichkeit ist hier nicht gefragt, zumal ein Menschenleben in diesen Spielwelten nicht wirklich viel wert ist.

Daneben hat er aber auch ein sehr intelligentes Verwirrspiel angelegt, dessen Zentrum ein gewisser Martin Odum ist. Der ist nach seiner Zeit bei der CIA, wo er, warum auch immer, freiwillig ausgeschieden ist, nunmehr als Privatdetektiv im schönen Brooklyn tätig. Bis er eben eines Tages den Auftrag bekommt, den Mann einer amerikanischen, in Israel lebenden Jüdin aufzuspüren, die - strenggläubig wie sie ist - von ihrem flüchtigen Ex-Gatten einen Scheidungsbrief braucht, um wieder frei sein zu können.

Dass dieser Mann mehr mit Odum zu tun haben könnte, als es normalerweise bei eheflüchtigen Männern von Auftraggeberinnen der Fall ist, wird jedem Leser schnell klar. Am Ende sind es denn auch keine zwei Handlungsstränge, die hier einigermaßen mühselig nebeneinander herlaufen, sondern zwei Teile ein und derselben Geschichte, die hier erzählt wird. Ihre Zutaten sind nicht eben leicht zu verdauen, immerhin geht es im Kern um eine Haupt- und Staatsaktion der CIA, in der der flüchtige Ehemann, russische Wendegewinnler mit hoher krimineller Energie, mordlustige Tschetschenen und die CIA alle irgendwie mit- und gegeneinander agieren.

Das Ganze ist für alle Beteiligten undurchsichtig genug, um die Orientierung zu verlieren. Aber das ist in dieser Geschichte nicht die Hauptsache. Die Hauptsache ist Martin Odum selbst. Denn der ehemalige CIA-Agent leidet unter massiven Identitätsproblemen - soll heißen: Er hat sich im Gestrüpp seiner Identitäten und Legenden, die er sich in seinem Berufsleben angeeignet hat, vollends verirrt. Dass er als Martin Odum in die Geschichte eingeführt wird, ist damit kaum mehr als ein Zufall. Er könnte genauso gut zuerst als Dante Pippen oder Lincoln Dittmann auftreten. Sie sind nämlich die beiden anderen Legenden, mit denen Odum im Roman auftritt. Welche dieser Legenden aber seine eigene Identität ist und welche angeeignet, das weiß er nicht und wird es wohl nie genau wissen. Nach einer Weile scheint es auch so, als ob er auch nicht mehr wirklich scharf darauf ist, das herauszufinden, zu sehr hat er sich in seinen vielfältigen Existenzen eingerichtet. Zudem bietet jede von ihnen besondere Vorteile, sodass es sich lohnt, unbehelligt zwischen ihnen wechseln zu können.

Dass es sich bei Odum/Littens/Pippens multisubjektivem Problem möglicherweise nicht um einen Sonder-, sondern den Normalfall handelt, deutet sich im Verlauf der Handlung sehr schnell an. Denn keine der auftretenden Figuren ist genau das, was sie zu sein vorgibt. Immer gibt es mehrere Identitäten, die meisten zum Schein. So wird es zwar im Ganzen für jeden der Beteiligten recht schwierig, sich zwischen den einzelnen Rollen zu orientieren, langweilig wird es unter diesen Bedingungen aber niemandem. Zumal am Ende auch abgerechnet werden kann, ohne dass klar ist, wer das hier mit wem tut.


Titelbild

Robert Littell: Die kalte Legende. Thriller.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.
Scherz Verlag, Frankfurt 2006.
447 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3502100330

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