Beschreibung eines Kampfes
Zur Faksimile-Edition früher Werke Franz Kafkas
Von Thomas Anz
Besprochene Bücher / Literaturhinweise"Beschreibung eines Kampfes" lautet der Titel des ersten größeren Erzählfragments, das aus Kafkas Nachlass erhalten ist. Auch wenn sich die Qualitäten von Kafkas späterer Prosa hier erst in Ansätzen bemerkbar machen, so bleiben doch der Titel und die mit ihm gekennzeichneten Themen symptomatisch für sein gesamtes Werk - und auch für die Selbstcharakterisierungen eines Autors, der während des Krieges an die Freundin schrieb: "Daß zwei in mir kämpfen, weißt Du."
Kämpfe im Inneren des Subjekts sowie Kampfe um Macht und mit Repräsentanten patriarchaler Macht hat Kafka bis hin zu seinem Spätwerk in vielfachen Variationen beschrieben. Als Kampf begreift der Landvermesser K. seine Auseinandersetzung mit dem Schloss schon von Beginn an. Den Wortlaut eines Briefes aus dem Schloss reflektiert er auf eine für seine Mentalität aufschlußreiche Art so: "mit dieser Gefahr mußte er den Kampf wagen. Der Brief verschwieg ja auch nicht, daß, wenn es zu Kämpfen kommen sollte, K. die Verwegenheit gehabt hatte, zu beginnen." "Blätter zur Bekämpfung des Machtwillens" hieß bezeichnenderweise jenes Zeitschriftenprojekt, durch das Franz Kafka sich dem unorthodoxen Psychoanalytiker und Kulturrevolutionär Otto Gross verbunden sah. Und was damit bekämpft werden sollte, war nicht zuletzt der Machtwille im eigenen Ich. Er steht jener ethischen Regel entgegen, die Gross in der Formulierung zusammenfaßte: "sich selbst nicht vergewaltigen lassen und selbst nicht vergewaltigen wollen."
Mit seinen Beschreibungen eines Kampfes ist Kafka zu einem Repräsentanten der literararischen Moderne geworden, für die das Thema und das Motiv charakteristisch sind. In dem frühen Prosafragment sind es zwei sehr unterschiedliche Figuren, die mit einander kämpfen, der lange Dünne und der kleine Dicke. Mit der hier vorgenommenen Aufspaltung eines Subjekts in zwei Kontrastfiguren bietet das Fragment eines von vielen Beispielen für die zur gleichen Zeit von Freud konstatierte "Neigung des modernen Dichters, sein Ich durch Selbstbeobachtung in Partial-Ichs zu zerspalten und demzufolge die Konfliktströmungen seines Seelenlebens in mehreren Helden zu personifizieren." In diesem Fall geht es um den von vielen Autoren der damaligen Zeit, so auch von Thomas Mann (dessen "Tonio Kröger" Kafka damals las), dargestellten Zwiespalt zwischen einer asketischen, isolierten, gleichsam religiösen Form der Schriftstellerexistennz und einer vitalen, erotisch-sinnlichen Weltzugewandtheit.
Das Fragment liegt in zwei Fassungen vor, der frühen folgte einige Jahre später eine gestrafftere Version. Max Brod hatte beide auf ziemlich abenteuerliche Weise zu einem einzigen lesbaren Text kompiliert. Die kritische Kafka-Ausgabe des S. Fischer Verlages legte 1993 beide Fassungen vor. Dem steht nun die Faksimile-Edition gegenüber, die Roland Preuß, Peter Staengle und Joachim Unseld nach der Edition des "Process"-Romanes im Rahmen der "Historisch-Kritischen Franz Kafka-Ausgabe" des Verlages Stroemfeld/Roter Stern erarbeitet haben.
Die beiden Editionen zu vergleichen bedeutet, selbst die Beschreibung eines Kampfes vorzulegen - eines Kampfes zwischen zwei Verlagen um die angemessenere Präsentation von Kafkas Werken. Da vermengen sich widerstreitende ökonomische und literaturtheoretische Positionen auf nicht immer durchsichtige Weise. Da steht auf der einen Seite der Versuch, den Lesern ein gedrucktes Werk in möglichst verbindlicher und gesicherter Gestalt vorzulegen. Und da steht auf der anderen Seite die Verabschiedung der Vorstellung vom fertigen Kunstwerk zugunsten eines gerne postmodern genannten Werkbegriffs, wonach der Text nur die prinzipiell unfertige, in sich widersprüchliche, provisorische Phase eines Schreibprozesses repräsentiert.
Das Konzept der Faksimile-Ausgabe verdient in seiner Einfachheit durchaus das Prädikat "genial". Auf der einen Buchseite lesen wir die Handschrift, auf der gegenüberliegenden die Transkription. Das Verfahren erspart weite Teile jenes oft hyperkomplizierten Beschreibungsapparats, mit dem Editionsphilologen bislang ihre kritischen Ausgaben ausstatten mussten, um der Komplexität der Textüberlieferung gerecht zu werden. Das war ein Angebot von Spezialisten für Spezialisten. Jetzt kann jeder Leser auf einen Blick sehen, wo und wie Kafka gestrichen, hinzugefügt, korrigiert hat. Wo er Entzifferungsprobleme hat, genügt ein schneller Blick auf die andere Buchseite, um sie zu beseitigen. Darüber hinaus bietet die gleichsam körperliche Präsenz von Kafkas wunderbarer Handschrift einen sinnlichen Genuss, der dem gedruckten Wort vorenthalten ist. Der Prozeß des Schreibens wird hier als körperliche Aktion erfahrbar, die manche Äußerungen Kafkas über das Schreiben und die Schrift erst angemessen verstehen lässt. An dem markanten Großbuchstaben K vor allem, der in der Handschrift mit einem derartigen Schwung der Linie endet, dass der Anfangsbuchstabe den ganzen Rest des Wortes in sich einschließt, erkennt man, was der schreibende K. seinen Figuren an Selbstbewusstheit und Sicherheit voraushat, was das Schreiben für Kafka im Kampf um seine Selbstbehauptung bedeutete.
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