Im Bann der Sünde

John Haskells Roman "Amerikanisches Fegefeuer" beginnt wie ein Krimi und entpuppt sich als durchkomponierte Seelenschau eines Toten

Von Sönke AbeldtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sönke Abeldt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zeitgenössische Literatur aus den USA hat etwas zu sagen. Sie arbeitet sich an gesellschaftlichen Verhältnissen ab, spiegelt die Gefühlslagen der Menschen und gibt Auskunft über den american way of life, so wie er sich in der Unübersichtlichkeit der Neuen Welt darstellt: meist brüchig und unverbindlich, manchmal hoffnungsvoll, manchmal brutal. Das demonstrieren Paul Auster, Jonathan Franzen und Jeffrey Eugenides, die "jungen Wilden" Marisha Pessl, Nicole Krauss und Benjamin Kunkel sowie eine Reihe weiterer amerikanischer Autoren. Diese Literatur ist auf ihre eigene Weise anspruchsvoll, aber zudem einem breiten Publikum zugänglich.

Auch der erste Roman des New Yorker Schauspielers, Drehbuchautors und Künstlers John Haskell - "Amerikanisches Fegefeuer" (Original: "American Purgatorio") - zielt in diese Richtung. Haskell, der bisher einen Erzählband ("I am not Jackson Pollock") veröffentlicht hat, möchte mit seinen Texten nicht nur an der Oberfläche bleiben, sondern tiefer blicken. Wenn er seine Geschichten erzähle, dann untersuche er einen Gedanken, und alle Figuren, Ereignisse, sogar die einzelnen Worte seien dem unterzuordnen, sagte Haskell in einem Interview mit dem Online-Literaturkritiker Dan Wickett.

Der Ausgangspunkt von "Amerikanisches Fegefeuer" wurde in Film und Literatur schon häufig umgesetzt und ruft eine prickelnde Spannung hervor: Eine geliebte Person verschwindet. Der Ich-Erzähler Jack und seine Frau Anne sind mit dem Auto unterwegs. Als Jack beim Stopp an einer Tankstelle aus dem Laden zurückkehrt, sind sowohl Anne als auch der Wagen nicht mehr aufzufinden. Jack entdeckt in Annes Sachen eine Landkarte, auf der eine Strecke quer durch die USA eingetragen ist, und begibt sich auf die Reise, um seine Frau zu suchen.

Ein veritabler Krimi könnte sich daraus entwickeln, doch Haskell will mehr: Er legt das Geschehen als psychedelischen Ritt durch das Fegefeuer an. Durch jenes Läuterungsgeschehen müssen nach katholischer Glaubenslehre alle Sünder gehen, um von begangenen Missetaten befreit zu werden und ins Paradies zu gelangen. Jacks Reise stellt damit nicht nur einen detektivischen Suchprozess, sondern zugleich eine innere Seelenschau samt Reinigungsprozess dar.

Die religiöse Sündenthematik findet denn auch ihren Niederschlag in der Struktur der Story: Haskell teilt sie in sieben Kapitel (mit je genau sieben Unterkapiteln) ein und gibt ihnen die sieben menschlichen Hauptlaster als Überschrift, etwa das lateinische "Superbia" für Eitelkeit oder "Ira" für Zorn. Der Erzähler Jack arbeitet sich an diesen Gefühlszuständen ab. Im Kapitel "Luxuria" (Wollust) beispielsweise spürt er mit der hippieähnlichen Tramperin Feather seiner sexuellen Begierde nach, und im Kapitel "Acedia" (Trägheit) durchlebt Jack eine Phase der bitteren Armut.

Die Episoden dieses Trips bringen den dauerreflektierenden Protagonisten dazu, sich immer ein Stück klüger zu fühlen. Zeitweilig auftretende Erinnerungsfetzen schließlich bringen ihn auf die Lösung des Rätsels um seine Frau: Anne wurde nicht etwa entführt, sondern starb bei einem Unfall an der Tankstelle. Und auch Jack weilt nicht mehr unter den Lebenden, sondern in einem mystischen Raum zwischen Diesseits und Jenseits - an der Gabelung von Hölle und Paradies.

So realistisch Jack seine Erlebnisse erzählt, am Ende (und bei genauem Lesen schon früher) wissen wir: Hier spricht ein Toter, der sich nicht nur mit dem Verlust seiner Frau, sondern auch mit dem eigenen Ableben abfinden muss. Da kein Mensch weiß, wie es ist, tot zu sein, lässt Haskell Jack nur lapidar bemerken: "Nichts Besonderes. Es ist einfach vorbei."

Die Frage ist erlaubt, ob die vermeintlich durchkomponierte Anlage des Romans glaubwürdig ist: Schränkt das Gedankengerüst der sieben Sünden die kreativen Freiräume des Erzählens ein? Das mag sein. Deshalb kann man den Roman "vorhersehbar" und das "Dauer-Räsonnement" verwirrend finden (wie Frank Schäfer in der taz).

Tatsächlich hat Haskell einen Tick zuviel Konstruktion in den Roman eingebaut, und die in dem Buch vorgeführte Allgegenwart der Sünde wirkt etwas überreizt. Haskell (der sich von der Fegefeuer-Darstellung in Dantes "Divina Commedia" inspirieren ließ) scheint mit seinem Buch den Anspruch zu verbinden, die traditionelle Sündenthematik in den Kontext moderner Gesellschaften zu setzen. Sein Protagonist jedenfalls sinniert: "Obwohl der Begriff der Sünde kaum noch existent ist, scheint es, daß die Menschen weiter um bestimmte Dinge, bestimmte Gewohnheiten im Denken kreisen."

Das Buch berührt damit tiefe Konflikte um traditionalistische Werte, die gerade in individualisierten Gesellschaften wie den USA als Reaktion auf die Durchkapitalisierung des Lebens präsent sind. Von katholischen Fundamentalisten dürfte Haskells Roman aufgrund seiner offenen und zum Teil witzigen Beschreibungen sicher nicht gemocht werden. Von Menschen, die klug unterhalten und gefühlsmäßig berührt werden möchten, aber schon.


Titelbild

John Haskell: Amerikanisches Fegefeuer. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Volker Oldenburg.
Tropen Verlag, Berlin 2006.
263 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-10: 393217089X
ISBN-13: 9783932170898

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch