Seht her, die Gosse!

In "Der Heilige des Unmöglichen" verfehlt Arnon Grünberg seine eigenen Soundvorgaben

Von Kai SinaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Sina

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Heilige Antonius von Padua war ein Thaumaturg, ein Wundertäter. In Arnon Grünbergs 1998 im Niederländischen und nun - nach den Erfolgen "Phantomschmerz" (2003) und "Der Vogel ist krank" (2005) - auf Deutsch veröffentlichten Aufzeichnungen hat dieser Wundertäter ein Pseudonym: "Der Heilige des Unmöglichen" - ein doppeldeutiger Titel, der vor dem Hintergrund der Geschichte von Paul und Tito Andino, zwei illegalen mexikanischen Immigranten in New York, seine volle Zwiespältigkeit entfaltet.

Ihr altes Leben mussten die beiden Brüder aus Mexiko bei ihrer Einreise zurücklassen, versteckt unter grünen Wassermelonen auf der Ladefläche eines Trucks. Die Neue Welt hält indes nicht, was sie den lateinamerikanischen Brüdern und ihrer Mutter Raffaella aus der Ferne versprach: Tito und Paul schlagen sich als illegal Beschäftigte bei einem mexikanischen Lieferservice durch, ihre Mutter wagt als "Mama Burrito" den Schritt in die Selbständigkeit, bleibt dabei jedoch ohne Erfolg. Es sind allein die regelmäßigen Besuche von "Verehrern", die es Raffaella und ihrer Söhnen ermöglichen, ihre Miete zu zahlen. Was den frommen Mexikanern in dieser trostlosen Lebenssituation am Rande des Existenzminimums bleibt, ist einzig die Hoffnung auf den Heiligen Antonius und sein Versprechen ihnen, den frommen Katholiken, das Unmögliche zu ermöglichen - ein besseres, ein würdevolleres Leben. Doch "San Antonio" schweigt und macht seinem doppeldeutigen Pseudonym damit alle Ehre.

Anders als Paul und Tito hat die Prostituierte Kristin - eine kroatische, irgendwie heruntergekommene Ausgabe Holly Golightlys - den Glauben an eine Besserung ihres Lebens ,von oben' bereits verloren - vielleicht besaß sie ihn niemals. Und die Konsequenz, die Kristin aus ihrer Hoffnungslosigkeit zieht, ist radikal: Sie nimmt den beiden Brüdern, die sie umschwärmen, das Versprechen ab, der Nachwelt fortwährend von ihrer atemberaubenden Schönheit zu erzählen, stößt mit ihnen ein letztes Mal an und verabschiedet sich daraufhin mit einem wütenden, grausamen Männer-Mord, für den sie mit dem Tod bestraft wird.

Die beiden erschütterten Mexikaner halten sich, nachdem sie von der bevorstehenden Hinrichtung ihrer Freundin gehört haben, treu an ihr Versprechen. Und so beschreiben sie nicht nur all den Menschen, denen sie begegnen, unaufhaltsam die Schönheit ihrer kroatischen Freundin, sondern auch dem Leser, der die Aufzeichnungen der beiden Brüder in seinen Händen hält. Arnon Grünberg konstruiert hier eine Herausgeberfiktion: Er habe, so schreibt er in einer kurzen Anmerkungen, lediglich einige Namen geändert und die Eingangszitate geliefert. Der Rest stammt von Paul und Tito, die unter Grünbergs Namen ihr Versprechen einhalten und von Kristin berichten - Kristin, die so schön war, "dass die Leute auf der Straße in Ohnmacht fielen, wenn sie vorbeikam."

Die beiden Brüder verfassen auf diese Weise ein literarisches Denkmal, hinter dem Grünberg als Autor gänzlich verschwinden will - will, wohl gemerkt, denn es gelingt ihm kaum. Ursächlich dafür, dass dem Verschwinden des Autors hinter seinen Figuren von Beginn an jegliches Irritationspotenzial genommen wird, ist die sprachliche Inkonsequenz seines Textes. So teilen Paul und Tito gleich im ersten Satz mit: "Das hier sind die ersten Worte, die wir auf englisch schreiben." Was dieses selbstverordnete Unbedarftheitspostulat verspricht, hält die Sprache der beiden Brüder allerdings an fast keiner Stelle. Denn allein das den Sätzen der Brüder so häufig vorgeschaltete "Mann, ..." erzeugt angesichts der immer wieder artifiziell-metaphorisierenden Rede keinerlei Realitätseffekt. Doch damit nicht genug. Dadurch, dass Grünberg recht ungelenk versucht, den Vorwurf sprachlicher Inkonsequenz durch seine Protagonisten selbst auszuhebeln, enthüllt er den Konstruktionscharakter der Aufzeichnungen vollends: "Eine Stimme auf Papier hat keine Brotkrümel im Mundwinkel." Grünberg verspricht also sprachliche Authentizität einerseits, andererseits thematisiert er durch seine Figuren die Unfähigkeit, schriftlich einen Sound zu erzeugen, der dem der Straße gleicht - ja, was denn nun? Was nach der Lektüre dieses recht unausgegorenen Textes bleibt, ist der Eindruck, einen verklärten und stereotypisierten Einblick in eine unbekannte Parallelgesellschaft gewonnen zu haben - einen Einblick, dem nicht selten ein unangenehm voyeuristischer Gestus innewohnt: Seht her, die Gosse - doch wie hoffnungsvoll, wie überlebensstark sind ihre Bewohner!


Titelbild

Arnon Grünberg: Der Heilige des Unmöglichen.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Rainer Kersten.
Diogenes Verlag, Zürich 2007.
167 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783257065701

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