Gewalt und Rache im schönen Florida

Carl Hiaasen, in "Sumpfblüten" einmal auf etwas privaterer Ebene

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das ist Pech. Richtiges Pech. Sammy Tigertail, ein Halbindianer, schlägt sich so durchs Leben. Richtig zufrieden ist er nicht: Als Weißer wurde er erzogen, und jetzt ist er bei seinen Stammesbrüdern im Reservat nicht so richtig anerkannt. Er versucht sich als Tour-Guide durch die Everglades. Und dann passiert es gleich auf seiner ersten Tour: Sein erster Kunde, Mr. Wilson, bricht ziemlich betrunken mit einem Herzinfarkt tot zusammen. Wer wird ihm glauben, dass er nichts damit zu tun hatte? Niemand. Also wirft Sammy den Toten in einen der vielen Wasserarme und verschwindet in den Sümpfen. Dummerweise ist er nun wirklich kein Bilderbuch-Indianer und verirrt sich. Und dummerweise ist Sammy doch noch so weit Indianer, dass ihm Wilson als Geist hinterläuft und sich beschwert, dass er jetzt bei den Fischen liegt und angeknabbert wird. Wirklich sieht er nach ein paar Tagen nicht besonders hübsch aus.

Und auch Boyd Shreave hat Pech. Er macht, unter dem Pseudonym Boyd Eisenhower, Telefonmarketing und versucht, den Leuten unnützes Zeug aufzuschwatzen. Meistens zur Abendessenszeit, denn da sind sie am ehesten zu Hause und sagen manchmal auch zu, nur um ihre Ruhe zu haben. Aber dann gerät er an Honey Santana. Und beißt auf Granit. Denn die dreht den Spieß einfach um und fragt ihn, ob er es normal fände, eine amerikanische Familie beim Abendessen zu stören und ob ihn seine Mutter nicht besser erzogen hätte. Boyd gerät völlig aus dem Konzept, sie fangen an zu streiten, und er beschimpft sie sogar noch als "vertrocknete alte Schlampe". Nun gut, Honey ist ein wenig verstört, regt sich schnell einmal auf. Man könnte sogar sagen, dass sie ein bisschen ausrastet. Aber sie kann eben Unhöflichkeiten nicht ertragen. Außerdem hört sie immer wieder Musik und statisches Rauschen in ihrem Kopf, vor allem seit sie ihre Medikamente nicht mehr nimmt. Das ist ja auch nicht besonders schön.

Dealey dagegen scheint Glück zu haben. Boyd Shreaves Frau Lily hat nämlich den Detektiv engagiert, ihren Mann zu überwachen und bezahlt ihn richtig fürstlich. Er soll Fotos von seinen Seitensprüngen machen, dann soll er sogar Videos davon herbeischaffen, und Dealey kommt es schon ein wenig komisch vor: Sie besteht auf präzise, ausführliche Aufnahmen einer Penetration. Aber so lange sie ihm seine Spesen bezahlt...

Die abstruse Geschichte spitzt sich zu. Honey gelingt es, Shreave, dem wegen seiner Kundenbeschimpfung inzwischen gekündigt wurde, samt seiner Geliebten Eugenie Fonda nach Florida zu locken. Sie kidnappt beide und bringt sie auf eine Insel im Niemandsland der Everglades. Dort treffen sie nicht nur Sammy Tigertail und seinen Geist Wilson, sondern auch Honeys Ex-Mann Perry Skinner und ihren gemeinsamen Sohn Fry, die ihr helfen wollen. Es kommen hinzu: Dealey, der mit fürstlichem Honorar hinterhergeflogen war, Gillian, die ihren langweiligen Freund loswerden will und sich jetzt in Tigertail verliebt hat, von ihm entführt werden will und ihn beständig vollquasselt, und als letzter Durchgeknallter Louis Piejack, ein schmieriger Typ und Honeys ehemaliger Chef, der meint, er müsste unbedingt Sex mit Honey haben. Ein Schlag mit dem Holzhammer in seine Weichteile war ihre Antwort. Seither denkt er, er müsse sie haben.

Ein ziemliches Durcheinander. Mit Gewalt, Rachephantasien, einem pädagogischen Auftrag, skurrilen Typen, Liebesgeschichten und einigen richtig romantischen Augenblicken. Ein typischer Hiaasen also. Als Reporter des "Miami Herald" und deren Starkolumnist greift er das Establishment des Sonnenstaates vehement an, vor allem die Umweltzerstörung aus purer Profitgier, an der sich alle beteiligen. In einer ganzen Reihe von in Amerika höchst populären Romanen hat sich Hiaasen den durchgeknallten Typen und der Ökologie Floridas angenommen. Dabei baut er fast immer kleine Racheszenarios ein, oft in Gestalt eines ehemaligen Gouverneurs, der seine Opfer entführt und sie dann so lange "behandelt", notfalls auch mit Gewalt, bis sie ihre Schurkereien "einsehen".

In "Sumpfblüten" hat er auf den Gouverneur verzichtet, aber nicht auf die skurrilen Personen. Und auch nicht auf seinen eigenen, nicht minder bizarren und grotesken Humor, voller Wortwitz, pointierten, schnellen Dialogen, frechen, politisch völlig unkorrekten Statements und flotten Handlungen. Hiaasen ist ein seltener Vertreter der Spezies bissiger Kritiker, die ätzend bleiben, hart an der Realität und den Fakten, aber doch mit viel Sinn für gerne etwas abgedrehten Humor.

Dennoch ist "Sumpfblüten" eher eines seiner schwächeren Werke. Und zwar gerade weil er hier alles auf eine ziemlich persönliche Ebene herunterzieht. Hier sind keine bösen Wirtschaftsbosse, keine korrupten Politiker, keine bestochenen Biologen am Werk, kein ökologisches Paradies, das zerstört wird, während wir seelenruhig zusehen.

Aber: eines von Hiassens schwächeren Werken, das heißt immer noch: eines der unterhaltsamsten, witzigsten, pointiertesten und seitenblättrigsten Bücher dieser Saison. Denn wie Hiaasen in wenigen Worten, in kurzen Absätzen Charaktere lebendig macht, wie er Beziehungen nicht erklärt, sondern erzählt, wie er in Nebenbemerkungen ganze Gemeinschaften und Verbindungen, Freundschaften und deren Ende in Sekundenschnelle beleuchtet und auf einen Schlag klar und durchsichtig macht, das macht ihm so schnell niemand nach. Schon gar kein deutscher Autor.


Titelbild

Carl Hiaasen: Sumpfblüten. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Marie L. Bezzenberger.
Manhattan Verlag, München 2007.
378 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783442546275

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