Intermediale Affinitäten

Andrea Hübener untersucht die Rezeption E.T.A. Hoffmanns in Frankreich

Von Hans-Joachim HahnRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hans-Joachim Hahn

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ab November 1829 erscheinen erstmals die Werke E.T.A. Hoffmanns zusammenhängend auf Französisch unter dem für ihre weitere Rezeption bereits richtungsweisenden Titel Contes fantastiques in der Übersetzung von Adolphe-François Loève-Veimars im Verlag Renduel, gefolgt von einer weiteren Werkausgabe im darauffolgenden Jahr. Bereits einige Monate zuvor bringt die erste Ausgabe der Revue de Paris am 12. März 1829 eine gekürzte französische Übersetzung von Walter Scotts schon 1827 anonym veröffentlichter Streitschrift "On the Supernatural in Fictitious Composition; and particularly on the Works of Ernst Theodore William Hoffman", an dessen Ende Hoffmann als Beispiel für eine spezifische deutsche Literaturgattung, das Fantastische, diskutiert wird. Scott setzt darin Werk und Person Hoffmanns ineins, wobei er ihn gleichzeitig pathologisiert und eine Hierarchie der literarischen Genres aufstellt. Die Rezeption im Umfeld des "Romantisme" bezieht sich zwar ebenfalls auf diese Vermischung von Biografie und Werk bei Hoffmann, wendet jedoch die Scott'sche Polemik in ihr Gegenteil: mit dem Durchbruch der französischen Romantik im Jahre 1830 avanciert Hoffmanns Werk, wie Andrea Hübener zeigt, regelrecht zum Pflichtprogramm.

In ihrer wohl informierten Studie, die als Beiheft 22 der Germanisch-Romanischen Monatsschrift erschienen ist, setzt sie in erster Linie an den in Hoffmanns Werken sowohl reflektierten als auch veranschaulichten poetologischen und ästhetischen Positionen an. Sie untersucht, wie letztere, und darunter insbesondere die Vorstellung eines imaginierten und imaginären Kunstwerks, zum Ausgangspunkt werden für die künstlerische Entwicklung einer Reihe bedeutender französischer Künstler des 19. Jahrhunderts. Das Besondere ihrer Studie liegt in der konsequent trans- bzw. intermedialen Herangehensweise, die Literatur mit Musik und Malerei verbindet. Das Buch gliedert sich dementsprechend in vier größere Kapitel, von denen das erste einigen zentralen Texten Hoffmanns gewidmet ist wie den "Kreisleriana", dem "Artushof" oder der "Prinzessin Brambilla".

Im zweiten Kapitel versammelt sie Théophile Gautier (1811-1872), den Übersetzer von Goethes "Faust" Gérard de Nerval (1808-1855) sowie Honoré de Balzac (1799-1850) als Autoren, die Hoffmann literarisch verarbeiten und weiter entwickeln. Im dritten Kapitel setzt sie die Malerei Eugène Delacroix' (1799-1863) zu Hoffmanns Werk in Beziehung und im vierten Kapitel bezieht sie Hector Berlioz' (1803-1869) Dualismus im Werkzusammenhang eines Schriftstellers und Komponisten auf Hoffmann. Mit Ausnahme des ersten Kapitels zu Hoffmann selbst, lassen sich die folgenden drei Kapitel dann tatsächlich mehr oder weniger in beliebiger Reihenfolge lesen.

In dichten Beschreibungen, fast mikroskopischen Text- und Bildlektüren zeigt Hübener eine Fülle von Bezügen auf, die sich zwischen den gattungsgeschichtlichen Neuerungen Hoffmanns und den Werken der von ihr untersuchten französischen Romantiker aufspannen. Ihr Interpretationsverfahren besteht vor allem aus sehr detailgenauen Beschreibungen, die sie den jeweils von ihr untersuchten Werkkomplexen widmet. Dabei gerät mitunter jedoch die Fragestellung nach dem Einfluss Hoffmanns aus dem Blick. So weist sie zum Beispiel selbst darauf hin, dass für Delacroix die Bedeutung von Byron sehr viel größer gewesen sei als die von Hoffmann. Für die ausführlichen und wegen ihrer Genauigkeit zweifellos lesenswerten Bildbeschreibungen zu Delacroix' bahnbrechenden Gemälden "Die Dantebarke" (1822), "Das Massaker von Chios" (1824) oder "Der Tod des Sardanapal" (1827/28), die in den jeweiligen Jahren im Pariser Salon für Furore sorgten, kommt Hoffmann als direkter Einfluss schon aus Gründen der Datierung kaum infrage. Tatsächlich scheint es der Autorin insgesamt weniger um nachgewiesene direkte Aufnahmen Hoffmann'scher Einflüsse zu gehen als um Ähnlichkeiten beziehungsweise Verwandtschaftsverhältnisse der poetologischen Entwürfe. Deutlich wird, dass Hoffmann hinsichtlich des Fantastischen neben anderen Autoren wie vor allem Shakespeare, Goethe und Dante einen zentralen Einfluss darstellt. Insofern zeigt sich ein komplexes Gefüge von Anregungen, Aufnahmen und Veränderungen, auf die sich französische Romantiker bezogen haben. Aber auch darin gelingt es der Autorin, ihren eigenen Vorannahmen entsprechend, das diesen Künstlern häufig attestierte Widersprüchliche und Unsystematische ihrer Kunst als programmatisch erkennbar werden zu lassen; als "ein den Widerspruch kultivierendes künstlerisches Credo", das allen Dogmen entgegengestellt wird, wie Hübener schreibt. Eher bleibt zu fragen, ob damit nicht bereits offene Türen eingerannt werden.

Dabei hat das Wagnis, über die Grenzen von Fachdisziplinen hinweg mehrere Gattungen einer Gesamtperspektive zu unterziehen, in der Fokussierung auf E.T.A. Hoffmanns intermediale Ästhetik und ihrer Bedeutung für einige der interessantesten französischen Romantiker ohne Zweifel einen lohnenden Gegenstand. Es kann insofern als geglückt gelten, als die jeweiligen Einzelgegenstände in Musik, Malerei und Literatur durch die nachgewiesene Bedeutung gattungsüberschreitender Ästhetik sowie des Fantastischen überzeugend miteinander verknüpft wurden. Auch besticht die Studie durch die beeindruckende Kompetenz der Autorin, die sich nicht nur auf die Komparatistik sondern zumindest auch auf die Kunstgeschichte bezieht. Vielleicht wäre dennoch wünschenswert gewesen, einige Lektüren zu Gunsten synthetisierender Thesen etwas zu straffen.


Titelbild

Andrea Hübener: Kreisler in Frankreich. E.T.A. Hoffmann und die französischen Romantiker.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2004.
395 Seiten, 58,00 EUR.
ISBN-10: 3825316068

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