Thriller vom Berg Athos

Oder wie Gerhard Roth der politischen Gegenwart entflieht

Von Brigitte RubanRSS-Newsfeed neuer Artikel von Brigitte Ruban

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es mag vielleicht verwundern, dass Gerhard Roth sich in seinem neuesten Roman nicht mit der derzeitigen politischen Lage in Österreich befasst, dies ist aber allzu verständlich, wenn man bedenkt, welche politische Treibjagd er 1995 bei Erscheinen seines Romans "Der See" miterleben musste. Auf einen politischen "Hoffnungsmann", einen Parteiführer, sollte ein Attentat verübt werden; das Attentat misslingt jedoch. FPÖ-Politiker hatten die fiktive Romanhandlung direkt auf ihren (damaligen) Parteichef Jörg Haider bezogen, hatten eine "Parlamentarische Anfrage betreffend der Attentatsphantasien des Schriftstellers Gerhard Roth" gestellt und unter anderem gefordert, jegliche Förderungen des Autors einstellen zu lassen bzw. zurückzufordern.

Der Schauplatz des Romans "Der Berg" ist in Griechenland und der Türkei angesiedelt. Der Journalist Gartner soll eine Reisereportage über die Mönchsrepublik Athos schreiben. Gartners Auftrag ist zwar eine "Strafversetzung", da er einen Artikel über einen Politiker, der von illegalen Waffengeschäften gewusst haben soll, ohne juristische Sicherheiten veröffentlicht hat, nimmt aber diese Reise zum Anlass, nach dem serbischen Dichter Goran R. zu fahnden, der im bosnisch-serbischen Krieg Zeuge eines Massakers an bosnischen Moslems geworden ist und sich auf Athos versteckt halten soll.

Gartners Jagd führt von Saloniki auf den Berg Athos und zuletzt nach Istanbul und bringt ihn in einige gefährliche Situationen - zwei Verbindungsmänner sterben, die Polizei ist ihm stets auf den Fersen. Der Roman lässt sich durchaus als Agententhriller lesen, wenngleich Roth dieses Genre äußerst (im positiven Sinne) strapaziert, indem er Gartners Suche nach der Wahrheit zu einer Suche nach sich selbst und dessen Journalismusverständnis verdichtet. Ob Ganter den gesuchten Dichter aufspüren kann, soll man selbst nachlesen; hinzuweisen sei auf die wunderbare "Reise"-Schilderung Roths, die sehr an seine Amerika-Romane der siebziger Jahre ("Der große Horizont" und "Ein neuer Morgen") erinnert.

Roth macht sich auf die Suche nach seiner Aufgabe als Schriftsteller, nach seiner Funktion, den Dingen auf den Grund zu gehen, Verdrängtes ins Bewusstsein zurück zu holen; somit befasst sich der österreichische Autor angesichts der jüngsten Geschichte im ehemaligen Jugoslawien auch wieder mit den "Archiven des Schweigens", mit den Verdrängungsmechanismen, der falschen Vergangenheitsbewältigung und der Geschichtsfälschung einer Generation - verkörpert in Goran R.

So gesehen ist "Der Berg" keine literarische Flucht vor der Wirklichkeit, eher eine Stellungnahme, sich nicht einnehmen zulassen und stattdessen über die Lage der österreichischen Nation zumindest literarisch zu schweigen.

Der Schluss freilich stiftet Verwirrung: Gartner sitzt nach seiner Reise in einem Wiener Kino und sieht sich einen Agentenfilm an, dessen Anfang an den Romananfang erinnert und die Frage aufwirft, ob der Protagonist nicht doch die ganze Zeit über im Kino verbracht und sich nur "weggeträumt" hat, also nicht der heimatlichen Enge entflohen ist.

Man erkennt den literarischen Schachzug des Autors, man begreift dass sich Gerhard Roth und sein Protagonist eben doch nur für einige Stunden von der österreichischen Realität entfernt haben.

Titelbild

Gerhard Roth: Der Berg.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
306 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3100666127

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