Leblose Lehrerprosa im satirischen Sakko

"37 geschichten von Leben und Tod" von Franz Hohler

Von Saskia SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Saskia Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der Geschichte "Die schönste Erinnerung" wird die 100-jährige Jubilarin vom Stadtpräsidenten gefragt, an welches Ereignis sie dabei denken müsse. Die schönsten Erinnerungen, so die alte Frau, seien "eigentlich sexueller Natur". Die Pointe steht. Doch der Kabarettist Franz Hohler wird zu einem Schriftsteller, der meint, eine Geschichte sei etwas Längeres: er lässt die Alte weiter faseln und die Gratulanten die Flucht ergreifen. Und damit auch den Leser. Hohler lässt seine Geschichten im Ausschreiben und Erklären enden, statt in seinen kurzen Texten die größte Überraschung oder Lösung für den Schluss bereit zu halten. Doch das langsame Ausklingen können sich nur gute Geschichten erlauben, und die sind in Hohlers Erzählsammlung selten.

Die Kabarettistenader des Autors wird auch deutlich durch die an das Publikum, hier den Leser, gerichteten Einschübe wie "Sie ahnen es" oder "Kürzlich hat mir ein junger Mann die folgende Geschichte erzählt". Doch die in der Kleinkunst beliebten "Alltagsgeschichten" wirken hier, in gedruckter Form, belanglos, den oft gelungenen Wortspielen und stilistischen Wendungen fehlt ein solides erzählerisches Gefüge. Kabaretttexte werden auf der Bühne lebendig gemacht - und die Bühne wird auch Hohlers Texten gerechter werden. Sie wirken ohnehin mehr wie Sprech-, weniger wie Lesetexte. Literarische Ansprüche können Hohlers Geschichten zum großen Teil nicht halten: Die hinskizzierte Prosa mit ihren für die Satire geeigneten Typen wirkt hier leblos, Atmosphäre kommt nur quälend auf, dramatische Verknüpfungen - jemand stirbt und ruft die neue Verfassung aus - wirken bemüht.

Noch schlimmer wird es, wenn die Geschichten ernst und dadurch meist kitschig werden. Man hört hier den Bühnenmann aufseufzen ob der Schlechtigkeit der Welt - und hofft inständig, er möge doch bitte den Zeigefinger wieder herunternehmen. In diesen Momenten wirkt der Erzähler wie ein verhinderter Oberlehrer mit schülerhaft unbeholfener Prosa. Und man ahnt, daß die 37 Erzähler, die sich so ungemein gleichen, eigentlich nur Varianten eines Erzählers sind: Franz Hohler, der sich nicht in einem einzigen Text in eine andere Figur wirklich hineindenken kann.

Das im Untertitel dramatisch klingende "Leben und Tod" wird in blutleeren Geschichtchen behandelt, die wie Expositionen zu wirklichen Geschichten wirken. Nur wenige löbliche Ausnahmen (wie etwa "Versteckte Süchte") sind zu registrieren; und selten sind auch schöne Formulierungen, gelungene Bilder oder geglückte satirische Untertöne, um die Geschichten lebendig zu machen. Im Großen und Ganzen ist Hohlers Prosa tot.

Titelbild

Franz Hohler: Zur Mündung.
Luchterhand Literaturverlag, München 2000.
128 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3630870678

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