Das Unikat "Unica"

Über die einzigartige Künstlerin Unica Zürn

Von Heike HaufRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heike Hauf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der Edition Nautilus ist eine Neuerscheinung über Unica Zürn, der unermüdlichen Schöpferin von Anagrammen und der Autorin von "Der Mann im Jasmin" zu verzeichnen. "Die Einzige" lautet der Titel der Monografie von Ruth Henry, die Bücher von Unica Zürn ins Französische übertragen hat. Zudem publizierte Henry theoretische Schriften über den Surrealismus und übersetzte André Bretons "Manifeste des Surrealismus" ins Deutsche. Sie gehörte zum "inner circle" der surrealistischen Kunstszene in Paris.

Der Untertitel dieser Novität verspricht einen ganz persönlichen Zugang zu der "Einzigen" - er lautet "Begegnung mit Unica Zürn". Gespannt schlägt man die Seiten auf, ob der Mythos dieses einzigartigen Künstlerdaseins darin unterstrichen wird - oder ob uns Unica Zürn darin als Mitmensch, als "eine von uns" begegnet.

Die beiden begegneten sich 1959 auf einer Vernissage in einer Pariser Galerie zum ersten Mal und kamen sich schnell näher, auch wegen der gemeinsamen Muttersprache: deutsch.

Das Künstlerpaar Unica Zürn und Hans Bellmer galt als schwierig, beide litten an einer depressiven Veranlagung. Ruth Henry spricht von einem "schmerzhaften Wendepunkt" in ihrem eigenen Leben, in dessen Folge sie häufig die beiden aufsuchte, gerade weil die düstere Stimmung lindernd auf sie selbst wirkte. Wie im Nachwort nachzulesen ist, wird diese Lebenskrise, durch die Trennung von ihrem Mann, dem Künstler und Karikaturisten Maurice Henry, ausgelöst.

Schon aus den ersten Seiten geht hervor, dass das Privatleben der Künstler geschützt bleibt und keine neuen Fakten darüber offengelegt werden. Das Buch ist eine Würdigung der Künstlerin Unica Zürn und eine Hommage an eine starke Frau, gefangen zwischen Genie und Wahnsinn.

Als Vertraute von Unica Zürn darf Henrys Wertung einen emotionalen Unterton haben. Sie beschreibt die Rezeptionsgeschichte von Zürns Werk, erläutert warum "Der Mann im Jasmin" für Deutschland erst viel später interessant wurde, als auch bei uns die surrealistische Strömung das geistige Leben erreichte. Es kam erst 1977 posthum zu einer Veröffentlichung, da sich vorher kein Verlag dafür interessierte. Die bekannten biografischen Daten werden erwähnt, Ereignisse beschrieben, die Einfluss auf das Künstlerdasein und die Krankheit von Zürn hatten: Unica Zürn wird 1916 in Berlin geboren, aus einer gescheiterten Ehe gehen zwei Kinder hervor, für die sie das Sorgerecht nicht erhält. Zürn schlägt sich mit Schreiben durch und trifft in Berlin den Künstler Hans Bellmer. Sie leben gemeinsam unter ärmlichen Bedingungen in Paris. Immer wieder muss sie sich in Kliniken aufhalten. Zürn leidet unter Schüben einer Schizophrenie. Als sich der viel ältere Bellmer 1970 nach einem Schlaganfall endgültig von ihr trennen will, stürzt sich die gerade aus der Klinik entlassene Zürn aus dem Fenster in den Freitod.

Unica Zürn hat einzigartige Anagramme und Zeichnungen geschaffen, außerdem versuchte sie ihr "Wandeln zwischen den Welten" - zwischen Krankheit und Künstlerdaein - im Schreiben zu verarbeiten und sichtbar zu machen, wie in ihren Büchern "Das Haus der Krankheiten" und "Der Mann im Jasmin".

Ruth Henry beschreibt Bellmer und Zürn als "couple maudit", als ein Paar, dass versuchte, den größten Zwiespalt gemeinsam zu leben. Bellmer verglich einmal ihre beiden Werke und meinte, dass Zürn die Sätze und Wörter zergliedere wie er die Frauenkörper, beziehungsweise die Glieder der Puppen, mit denen er arbeitete. Die Kreativität des Unbewussten wurde als schöpferische Kraft im Surrealismus entdeckt. André Breton setzte dazu mit seinem Roman "Nadja" einen Meilenstein. Irrsinn galt danach auch als poetisch. In diesem Umfeld konnte Unica Zürn ihre eigenen "Überschreitungen" in der Kunst spiegeln. Wesentlich ist für Ruth Henry auch, dass Unica Zürn immer wieder versuchte, unabhängig zu werden, sowohl als Künstlerin als auch als Frau. Sie hat es nie ganz geschafft. Immer wieder kehrte sie zu Bellmer und in die Psychiatrie zurück. Zürn selbst wertete dies so, dass sie sich nicht von ihren Erwartungen an ein Gegenüber lösen konnte: "Die Freiheit von der Hoffnung ist die vollkommene Freiheit" heißt es im "Mann im Jasmin". Der Freitod ist dann der letzte Befreiungsakt.

Ruth Henry findet für das tragische Schicksal von Unica Zürn eine mythologische Erklärung, die ihren Ursprung in der mythischen Verarmung der Gesellschaft hat, die das weibliche Element als eigenständige Kraft unterdrücken muss.

Einzigartig bleibt das Werk von Unica Zürn der Wandlerin zwischen den Welten, zwischen Kunst und Wahnsinn, der Künstlerin und Kranken, die das "automatische" Schreiben wie niemand sonst praktizieren konnte.

Es ist verdienstvoll, dass Ruth Henry und der Verlag an Unica Zürn erinnern. Im Oktober 2007 ist auch Ruth Henry verstorben - man darf froh sein für diese letzten subjektiven und erhellenden Aufzeichnungen. Patrick Waldberg, auch ein Zürn-Übersetzer, hat das Vorwort geschrieben, das als Initiation in das Werk Zürns gelesen werden muss. Kleine Fehler in der Chronologie hätten zwar vermieden werden können, aber mit dem Nachwort von Stefanie Baumann ist dieses kleine Buch inhaltlich eine feine, runde Sache geworden.

Und Unica Zürn bleibt ein Mythos, auch wenn wir sie ein bisschen aus der Nähe betrachten durften. Wer das Werk noch nicht kennt, wird nach der Lektüre alles lesen wollen von der "Einzigen".


Titelbild

Ruth Henry: Die Einzige. Begegung mit Unica Zürn.
Übersetzt aus dem Englischen von Andrea Ott.
Edition Nautilus, Hamburg 2007.
96 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783894015589

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