Brauchen wir so etwas?

Heike Schmoll schließt sich mit "Lob der Elite" aus dem Elitediskurs aus

Von Franz SiepeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Franz Siepe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Buch ist miserabel. Anfangs mag man dem Unfug vielleicht noch mit Humor begegnen und sich von den zahllosen Sprach- und Gedankenkauzereien amüsieren lassen, weil man sich allerwegen an die Kathederblüten des alten Gothaer Gymnasialprofessors Johann Georg August Galletti erinnert fühlt, für den das Schwein seinen Namen zu Recht trägt, weil es wirklich ein sehr unsauberes Tier ist. - "Das kann ich noch nicht fassen, das ist mir noch nicht dunkel genug", sprach einst Galletti. "Das wirkt geradezu schizoid, wenn nicht unglaubwürdig", spricht heute Schmoll.

Doch lange hält man es nicht aus. Da gibt es Hirnverdreher wie diese klassische Metabasis: "Eliten sind vieldeutig und schwer faßbar. Es erstaunt also nicht, daß auch die Herkunft des Wortes umstritten ist." Unerträglich werden auf die Dauer die hochnäsig daherstolzierenden Paralogien, die mit fahrlässiger Unbekümmertheit die Grenze zwischen Sinn und Unsinn, Logik und Laune durchlöchern: "Sobald in einem politischen System Eliten eine entscheidende Rolle spielten, war es zum Scheitern verurteilt. Diesen Eindruck scheint der Blick in die Geschichte zu bestätigen".

Mit der Arroganz ahnungsloser Dilettanten erklärt die Autorin, bei der FAZ verantwortlich für Theologie und Bildungspolitik und Trägerin des Deutschen Sprachpreises 2005, ausgerechnet diejenige Wissenschaftsdisziplin, in deren Aufgabenbereich die professionelle Erfassung des Phänomens der Elite(n) zu fallen hat, unbesehen für prinzipiell unzuständig und unfähig: "Es gehört zum Charakter der Soziologie als Wissenschaft, daß von ihr keine auch nur einigermaßen einheitliche, plausible Definition von 'Elite' zu erwarten ist." Im Gegenzug verweigert sie selbst trotzig jede "auch nur einigermaßen einheitliche, plausible" Gegenstandsbestimmung - mit einer Begründung, die sich ihrerseits wieder jedem Verstehen sperrt: "Ein emphatisches 'Lob der Elite' kann keine soziologische Theorie entwickeln oder die empirische Eliteforschung näher beleuchten, zumal sie sich meist nur politischen und wirtschaftlichen Führungspersönlichkeiten widmet, deren Positionen klar auszumachen sind." Wer das fassen kann, der fasse es. Jedenfalls stehen wir nun da und haben nicht den mindesten Begriff von dem, was "wir" laut Buchuntertitel "brauchen".

Schmoll dekonstruiert die altabendländisch tradierten Argumentationsstandards mit einer Gründlichkeit, die sogar vorm sakrosanktesten Wissenschaftsprinzip - dem der Widerspruchsfreiheit - nicht haltzumachen entschlossen ist. Beispielsweise erzählt sie das eine Mal von einer "allgemeinen Unbefangenheit im Umgang mit Eliten" in den fünfziger Jahren. Das andere Mal sagt sie: "Historiker, Soziologen, Politikwissenschaftler und Philosophen wandten sich dem Elitenproblem in den fünfziger Jahren in aller Zurückhaltung zu [...]".

Ebenso kreuztoll geht es zu, wenn es sich um die Eliten der griechisch-römischen Antike handelt. Einmal lesen wir dieses: "Im Unterschied zu Griechenland, wo das homerische Ideal der individuellen Leistung als Quelle des Ruhmes und der Überlegenheit anspornte - Sophokles hat dieses Werteideal in seinem 'Ajax' beschrieben -, fand sich in Rom keine vergleichbare Vorstellung, so daß ein einzelner seine Leistung nie für sich in Anspruch nehmen konnte. Leistung blieb immer streng ihrem Zweck, dem Wohl des Staates, untergeordnet." Ein andermal lesen wir jenes: "Jeder Athener dachte zunächst an das Wohl seiner Stadt und nicht an sich, wenn er um die Wette lief oder sang. Ihren Ruf, nicht seinen eigenen, wollte er mehren. Das läßt sich etwa in den Epinikien des Pindar (522 bis 422 vor Christus) nachlesen".

Wer wird da nicht malträtierten Geistes nach frischer Luft rufen? - "Individuelle Leistung" im alten Griechenland mal ja, mal nein. Dann soll sich aus der Rhetorik eines preisenden Dichters auf die Motivlage "jedes" Sportlers schließen lassen! Und dann macht sie sich nicht einmal die Mühe, uns die "Epinikien" als "Siegeslieder" zu erklären, während sie uns wissen lässt, dass Pindar "vor Christus" lebte. Torheit, gepaart mit Bequemlichkeit und Überheblichkeit.

Genug? Nein, nicht genug: Wer die Logik des folgenden (von Schmoll ohne Quellenangabe gebrachten) Passus auch nur ahnungsweise versteht, melde sich. "Heinrich Mann, der gewiß nicht im Verdacht des liberalen Fortschrittsdenkens steht, hat schon 1927 die Bildung von Eliten, die sich durch herausragende Leistungen qualifizieren, als demokratisches Prinzip beschrieben: Seinen Adel brauche jeder Staat, aber nicht den ein für allemal verankerten in Geburt und Besitz, sondern die immer wieder erneuerte Aristokratie derer, die sich auszeichnen für die Nation."

Natürlich ist das nicht zu begreifen; und zwar deshalb nicht, weil Schmoll von einem anderen abgeschrieben und - wie unbegabte Streber - ohne Sinn und Verstand "umformuliert" hat. Der Beklaute ist hier Malte Herwig ("Eliten in einer egalitären Welt", wjs-Verlag, Berlin 2005), vom dem - ohne weiteres verständlich - zu lesen ist: "Für Heinrich Mann, den man nicht gerade als Neoliberalen bezeichnen kann, war die Herausbildung von Leistungseliten gar ein elementar demokratisches Prinzip. Er schrieb 1927: 'Die richtig verstandene Demokratie muß das Mittel zur Züchtung der Besten sein... Seinen Adel braucht jeder Staat. Dieser aber will nicht den ein für allemal verankerten in Geburt und Besitz, er will die immer wieder erneuerte Aristokratie derer, die sich auszeichnen für die Nation.'"

Überhaupt bedient sich Schmoll bei Herwig (in welchem Maße bei anderen auch, bleibt zu überprüfen) derart schamlos, dass es jemandem, der Abgebrühtheit für eine Tugend hält, schon Respekt abnötigen könnte. Gut möglich, dass die allermeisten der absurden Schiefheiten Folge dieses unverständigen "Umformulierens" sind. Welchen unschuldigen Text mag Schmoll nur zu dem folgenden Nonsens deformiert haben? "Da es in Rom keine Staatsreligion gab, sondern jeder seinem eigenen Götterglauben anhing, wurde die enge Verbindung von Heidentum und hoher Bildung geradezu zu einem Kennzeichen der Spätantike." Der Rezensent kapituliert, kann nicht mehr; mag auch nicht mehr referieren, was Schmoll sich über das protestantische Bildungsverständnis denkt, zumal das ja mit dem Thema Elite so gut wir gar nichts zu tun hat, wie sie selbst sagt. Oder meint sie doch etwas anderes? Bitte sehr: "Paulus sieht die urchristliche Gemeinde zwar durchaus als Avantgarde, nicht aber als Elite. Dieses Verständnis liegt dem reformatorischen Bildungsbegriff zugrunde, um den es im folgenden gehen soll. Denn hier vollzog sich zum ersten Mal in der Geschichte eine weitgehende Demokratisierung von Bildung und damit eine der wesentlichen Voraussetzungen für Elitebildung."

Und wenn sie dann gegen Bologna-Prozess und Exzellenzinitiative zu Felde zieht und dabei manches Gute und Richtige von dem bringt, was sie schon in der FAZ darüber geschrieben hat, verliert selbst das in der unrezipierbaren Textumgebung an Substanz und Überzeugungskraft. Man lässt sich auch nicht gern die alten Sprachen von jemandem anempfehlen, der schon mit der deutschen Syntax über Kreuz steht: "Da der sogenannte student workload, also die erwartete Arbeitsleistung, die künftig die Leistungsbewertung weithin ersetzt (schriftliche Seminararbeiten und Klausuren entfallen immer häufiger zugunsten mündlicher Prüfungen oder sogenannter Leistungspunkte), kehrt Marx' Arbeitswertlehre, die von den Wirtschaftswissenschaften empört beiseite gelegt wurde, ausgerechnet an den höheren Bildungseinrichtungen wieder." Ein Relativpronomen zuviel; ins von Schmoll gepriesene Latein wäre ihr eigener Satz schlechterdings nicht transformierbar. Dass sie hier die faktische Geltung der Marx'schen Arbeitswertlehre vom Wohlwollen der herrschenden Wissenschaftselite abhängig wähnt und außerdem im weiteren auch noch "Tauschwert / Wert" und "Preis" bei Marx verwechselt, sei ermattet angehängt.

Man muss es so hart sagen: Mit diesem Buch ist Heike Schmoll nicht diskurs- und satisfaktionsfähig. Was trieb sie nur dazu, dem Verkauf ihrer blamablen Gedankenlosigkeiten als "Lob der Elite" zuzustimmen und damit für eine soziale Formation Partei zu nehmen, die eher der Kontrolle denn des Zuspruchs bedarf?

Derweil wächst die Zahl der Mühseligen und Beladenen, deren sich anzunehmen einer christlich profilierten Publizistin (Schmoll hat laut Klappentext 2002 die Ehrendoktorwürde der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen entgegengenommen) vielleicht besser zu Gesicht gestanden hätte. Wer sich über die Lage der Opfer der von der Herrschaftselite forcierten Exklusionsprozesse informieren will, lese die - zeitgleich mit Schmolls Elitenlob erschienene - Studie des Kasseler Soziologen Heinz Bude über "Die Ausgeschlossenen". Dort geht es um "Kinder, die in Verhältnissen aufwachsen, wo es für keinen Zoobesuch, keinen Musikunterricht und nicht für Fußballschuhe reicht, junge Leute ohne Hauptschulabschluß, die sich mit Gelegenheitsjobs zufrieden geben müssen, Frauen und Männer im mittleren Alter, die 'freigesetzt' worden sind und keine Aussicht auf eine Wiederbeschäftigung haben, Scheinselbständige und Projektmitarbeiter ohne soziale Rechte und politische Stimme, Minijobber und Hartz-IV-Aufstocker, denen es kaum zum Leben reicht, Kunden der Bundesagentur für Arbeit, die in einer Maßnahmenkarriere verloren gegangen sind, und verschämte alte Leute, die sich in ihre Zweizimmerwohnung zurückgezogen haben. Gemeinsam ist ihnen, daß sie für sich keine Perspektive mehr sehen, daß sie den Mut verloren haben und zu der Überzeugung gelangt sind, daß es auf sie nicht mehr ankommt."


Titelbild

Heinz Bude: Die Ausgeschlossenen. Das Ende vom Traum einer gerechten Gesellschaft.
Carl Hanser Verlag, München 2008.
141 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783446230118

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Titelbild

Heike Schmoll: Lob der Elite. Warum wir sie brauchen.
Verlag C.H.Beck, München 2008.
173 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783406570285

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