Kurz und gut

Zwei Veröffentlichungen beschäftigen sich mit der Biografie Libertas Schulze-Boysens

Von Babette KaiserkernRSS-Newsfeed neuer Artikel von Babette Kaiserkern

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sie schreit noch: "Aber lasst mir doch mein junges Leben!" Natürlich gelingt es nicht, die professionelle Unerbittlichkeit des Henkers in der Berliner Haftanstalt Plötzensee zu stoppen. Am 22. Dezember 1942 um halb neun Uhr abends stirbt Libertas Schulze-Boysen, 29 Jahre alt, unter dem Fallbeil. Sie gehörte zu den ersten elf Hingerichteten aus dem Widerstandskreis der so genannten "Roten Kapelle". Von den rund 200 im Spätsommer und Herbst 1942 in Berlin festgenommenen Personen wurden 65 vom Reichskriegsgericht zum Tod verurteilt.

Zwei Bücher beschäftigen sich jetzt erstmals mit Libertas Schulze-Boysen, die vor allem als Ehefrau von Harro Schulze-Boysen, einem entschiedenen Gegner der Nationalsozialisten von der ersten Stunde an, in die Geschichte eingegangen ist. Über ihr eigenes Leben war bislang jedoch nur wenig bekannt. Als Autorin der National-Zeitung publizierte sie von 1940 bis Ende 1941 Filmkritiken, die von der Filmwissenschaftlerin Wenke Wegner dokumentiert werden. In ihrem letzten Brief kurz vor ihrer Hinrichtung schrieb Libertas an die Mutter: "Erzähl allen, allen von mir. Unser Tod muss ein Fanal sein". Den Familienangehörigen wurde jedoch unter Androhung der Todesstrafe verboten, etwas über die Haft und die Todesumstände zu berichten. Nun erfüllt Silke Kettelhake diesen letzten Wunsch mit einer umfangreichen Biografie. Libertas Schulze-Boysen, eine Enkelin des Fürsten zu Eulenburg, Herr von Schloss Liebenberg im Löwenberger Land, verbrachte am Liebenberger Lankesee unbeschwerte Kindertage und ausgelassene Ferien mit ihren Berliner Freunden. Sie wurde in Paris geboren, ging in der Schweiz zur Schule und lebte einige Zeit in England. In der heimischen Schlosskapelle heiratete sie am 26. Juli 1936 Harro Schulze-Boysen.

Der vermeintliche Widerspruch zwischen der Widerstandsarbeit von Libertas Schulze-Boysen und ihrer Tätigkeit als Filmschriftleiterin bei der National-Zeitung bildet den Ansatzpunkt für Wenke Wegners Essay "Autorin unter Einfluss". Am 1. März 1933 trat Libertas in die NSDAP ein, am 12. Januar 1937 erklärte sie jedoch ihren Austritt. Dennoch arbeitete sie ab 1941 fest angestellt in der Kulturfilmzentrale im Reichspropaganda-Ministerium.

Wenke Wegners Fazit fällt sehr enttäuscht aus. In den rund sechzig wiedergegebenen Zeitungsartikeln von Libertas Schulze-Boysen vermisst sie oppositionelles Denken und "politische Konsequenz". Libertas habe nicht davor zurückgeschreckt, "ihr journalistisches Können zur ,richtigen', also linientreuen und hochgradig antisemitisch infizierten Vermittlung der Nazifilme einzusetzen." Schwere Vorwürfe an eine Frau, die es wagte, an ihrem Arbeitsplatz eine Dokumentation über den deutschen Terror an der Ostfront zusammenzustellen. Zur Kulturfilmzentrale gehörte eine Bildstelle, bei der viele Fotos eintrafen - meist von stolzen Tätern eingesandt -, die die Gräuel der Wehrmacht belegten. Auf der Grundlage von Libertas' Fotoarchiv wurde beispielsweise die Flugschrift "Offener Brief an einen Polizeihauptmann an der Ostfront" verfasst, welche die Massenerschießungen anprangerte. Dennoch resümiert die Autorin, dass Schulze-Boysen keinen bewusst kalkulierten Widerstand geleistet habe. Selbst wenn das richtig ist, stellt sich die Frage, ob Widerstand ohne Kalkül etwa keiner mehr ist.

Zeugnisse von Schulze-Boysens unabhängigem Denken finden sich durchaus, wenn auch zwischen den Zeilen. In einem Artikel mit dem Titel "Soldat Zelluloid" heißt es: "In einem autoritären Staat mit einer zentralisierten Industrie und wo in Kriegszeiten auch die Unterhaltung dienen muss, [...] verherrlichen auch die Filme Gedanken und Ideen, die dem deutschen Volk immer wieder ins Bewusstsein rufen sollen, dass sein Kampf einer gerechten Sache dient".

Mehr Distanz als in dieser sachlichen Darstellung einschließlich des entscheidenden Wörtchens "sollen" konnte es wohl kaum in einem Text der National-Zeitung geben. Auffällig ist, dass Libertas Schulze-Boysen ganz harte Propagandafilme wie "Jud Süß" nicht besprochen hat. Dennoch zitiert Wenke Wegner antisemitische Äußerungen und zieht dafür als Hauptbeleg die Besprechung zu dem Film "Die Rothschilds" heran. Diese Kritik wurde zwar mit dem vollen Namen der Autorin gezeichnet, aber nachweislich von Harro Schulze-Boysen verfasst, was von Wenke Wegner bedauerlicherweise nur in einer Fußnote erwähnt wird. Tatsächlich verströmt diese Filmbesprechung einen scharfen, propagandistischen Ton, der in den anderen, eher weich und blumig gehaltenen Texten fehlt. Spätestens dort, wo Libertas Begeisterung äußert, zeigen sich Differenzen zur offiziellen Linie. Sie verfasst eine schwärmerische "Liebeserklärung" an den Film als Kunstwerk, setzt sich für das filmische Experiment ein, schreibt eine Filmglosse in Gedichtform über die Schwierigkeiten beim Realisieren eines Films ("Der Turm zu Babel(sberg)"). In der Besprechung des "Fräulein von Barnhelm" beschreibt sie den "Geist des großen Königs, der in der wohl stärksten Szene des Films als Krönung der Bildmontage ,Frieden' zu den Klängen des Tedeum symbolhafte Darstellung findet". Hier wird deutlich, dass Libertas Schulze-Boysen auch und gerade in ihren Filmtexten versuchte, eigene Ideen auszudrücken, so weit es ihre Position zuließ.

Wenke Wegners Essay offenbart nicht nur die Beschränktheit selektiver, "wissenschaftlicher" Darstellung, sondern zugleich eine enge Vorstellung von "Widerstand", insbesondere dem der "Roten Kapelle".

Neuere Publikationen, beispielsweise von Stefan Roloff, haben gezeigt, dass es sich bei der "Roten Kapelle" weder um eine von Moskau gelenkte Spionagegruppe noch um eine kommunistisch geführte Widerstandsorganisation handelte, sondern um ein weit verzweigtes Netz von Freundeskreisen, das vor allem zwei Anliegen vereinte: der Abscheu vor dem nationalsozialistischen Regime und der Wunsch, den Krieg schnellstens zu beenden. Diese engagierten Menschen kamen aus allen Schichten der Bevölkerung. Sie hatten kein festes Programm und vertraten unterschiedliche Weltanschauungen. Arbeiter und Aristokraten, Kommunisten und Sozialdemokraten fanden sich genauso wie Katholiken, Künstler und Ärzte. Ungewöhnlich waren der mit etwa 40 Prozent hohe Frauenanteil und die ausgeprägten künstlerischen Begabungen und Interessen vieler Mitglieder. Es waren Individualisten und Idealisten, die schon sehr früh versuchten, die Bevölkerung mit Zettelklebeaktionen und Flugblättern zu warnen.

Als im Mai 1942 im Berliner Lustgarten die riesige Freilichtausstellung "Das Sowjetparadies" die Überlegenheit der deutschen Rasse im Vergleich zu den russischen Untermenschen zeigen sollte, entwarfen und verteilten sie überall Zettel, auf denen stand: "Ständige Ausstellung: das Naziparadies: Krieg - Hunger - Lüge - Gestapo - Wie lange noch?"

Wer darüber mehr erfahren und Libertas Schulze-Boysen verstehen möchte, möge Silke Kettelhakes Biografie lesen. Auf der Grundlage von akribischen Recherchen und Gesprächen, unter anderem mit den noch lebenden Brüdern von Libertas, Johannes Haas-Heye und Harro, Hartmut Schulze-Boysen, kommen viele Facetten ihres Lebens mit Höhen und Tiefen, Wünschen und Widersprüchen zum Vorschein. Zwar balanciert das Buch recht prekär zwischen nüchterner, sehr detaillierter journalistischer Faktenlese und fiktiven Passagen, die nicht immer frei von Kitsch sind. Dennoch gelingt der Autorin eine lebendige Darstellung der Zeit und ihrer Menschen. Von klein auf schrieb Libertas Gedichte, sie träumte davon, einmal selber Filme zu machen, sie liebte ihren Mann Harro und hatte zugleich romantische Liebschaften, zum Beispiel mit den Dichtern Günter Weisenborn und Alexander Spoerl, sie verzehrte sich in Arbeit und Lebenslust und verzweifelte angesichts der immer aussichtsloseren Kriegssituation.

Silke Kettelhake entzieht die Widerständlerin mit ihrem erzählerisch intensiven, aber nicht verklärenden Buch dem Vergessen - eine Frau, die mutig Widerstand leistete und letztlich für ihr Unangepasstsein tödlich bestraft wurde. "Courte et bonne", kurz und gut, solle ihr Leben sein, schrieb die Fünfzehnjährige in einem Gedicht, ohne zu wissen, auf welch grausame Weise diese Vision Wirklichkeit werden würde.


Titelbild

Silke Kettelhake: Erzähl allen, allen von mir! Das schöne kurze Leben der Libertas Schulze-Boysen 1913-1942.
Verlagsgruppe Droemer Knaur, München 2008.
432 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783426274378

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Rolf Aurich / Wolfgang Jacobsen (Hg.): Libertas Schulze-Boysen. Filmpublizistin.
edition text & kritik, München 2008.
170 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783883779256

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