Verhängnisvolle Grandezza

In ihrer Biografie der Grande Dame des italienischen Faschismus zeichnen die Autorinnen Marianne Brentzel und Uta Ruscher das Leben Margherita Sarfattis nach

Von Jens ZwernemannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Zwernemann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man kann ihnen nicht mehr entkommen - Biografien sind überall: Kaum eine Buchhandlung, die nicht mindestens ein großes, prominent platziertes Regal mit der Deutschen momentan scheinbar liebster Lektüre aufzuweisen hat; aufgereiht stehen sie da, die meist backsteindicken Lebensbeschreibungen von Politikern und Sportlern, von Wirtschaftsmagnaten, Schauspielern oder den Eintagsfliegen des Medienzirkus, deren einziges Verdienst darin bestand, in die Endrunde einer ,Casting-Show' gekommen zu sein.

Jene, deren Leben tatsächlich von Belang war, stehen traut neben jenen, deren Vita selbst vom fantasiebegabtesten Ghostwriter nicht mehr aufgepeppt werden konnte. Wie, so mag sich der konsternierte Leser da fragen, soll man die belanglos-ennuyante Spreu vom biografisch-interessanten Weizen trennen?

Ein (zugegeben: nur mögliches) Kriterium wäre, die Anzahl der Biografien zu betrachten, die sich mit einer bestimmten Person beschäftigen. Zwar gilt auch hier ,Klasse statt Masse', aber wenn mehr als ein Autor es vermochte, sich mit dem Leben einer Person zu befassen, so ist das ja zunächst erst einmal ein gutes Zeichen. Man nehme als Beispiel die Kritikerin, Mäzenatin, Schriftstellerin und Mitbegründerin des italienischen Faschismus Margherita Sarfatti. Nach Karin Wielands 2004 bei Hanser erschienenem Band "Die Geliebte des Duce" ist Marianne Bretzels und Uta Ruschers "Margherita Sarfratti. ,Ich habe mich geirrt. Was soll's'" bereits die zweite deutschsprachige Biografie zum Leben der langjährigen Geliebten Benito Mussolinis: Geboren 1880 in einem Palazzo im venezianischen Ghetto Vecchio als Tochter wohlhabender jüdischer Eltern, heiratet die 18-jährige Margherita Grassini im Jahr 1898 den vierzehn Jahre älteren Rechtsanwalt Cesare Sarfatti. Später schreibt sie: "Mit 13 verliebte ich mich in die Malerei, mit 15 in eine Idee (den Sozialismus), mit 16 in einen Mann. Mit 18 heiratete ich zu gleicher Zeit die Literatur, die Künste, diese Idee, diesen Mann."

Zusammen mit Letzterem zieht sie nach Mailand, wo sie im Salon der russischen Emigrantin Anna Kuliscioff die sozialistische Elite Italiens trifft. Sie gewinnt einen Kritikerpreis für ihre Reportage über die Biennale in Venedig, schreibt zu Fragen der Emanzipation der Frau und beginnt für die sozialistische Parteizeitschrift "Avanti!" zu arbeiten. Sie verfasst Artikel zu ,Rasse und Antisemitismus', hält dabei die ,weiße Rasse' für überlegen, die Juden für einen integralen Bestandteil derselben, und predigt die Notwendigkeit eines "Terzia Italia", eines ,dritten Italiens'. Dieses müsse von starken, intellektuell begabten Individuen hervorgebracht werden, Nietzsche'schen Übermenschen, die die Massen zu lenken vermöchten.

Für Sarfatti spielen dabei insbesondere die Künstler eine wichtige Vorreiterrolle, allen voran die avantgardistisch-lärmenden Futuristen um Filippo Tommaso Marinetti, in deren Werken die Kritikerin eine geglückte Synthese aus Antike und Moderne zu erkennen glaubt. Später protegiert sie Maler wie Achille Funi, Ubaldo Oppi, Anselmo Bucci und Gian Emilio Malerba, denen sie unter dem Gruppennamen "Novecento" zu internationaler Berühmtheit verhilft.

Doch ist es vor allem eine Begegnung, die ihr Leben nachhaltig beeinflussen sollte: Im Büro des "Avanti!" trifft sie 1912 auf Benito Mussolini, der bald zum Chefredakteur der Zeitung avanciert. Sie beginnt eine Affäre mit ihm und unterstützt ihn in der Folge bei seinem Aufstieg an die Spitze des Staates - finanziell und intellektuell. Sarfatti wird für Mussolini zum Entrebillet zu gesellschaftlichen Kreisen, die dem eher ungehobelt-linkischen Ex-Soldaten und Volksschullehrer bis dato verschlossen geblieben waren, und sie verhilft ihm mit viel Hingabe zu einem sicheren Auftreten auf dem glatten Parkett der ,guten' Gesellschaft.

Mehr noch: Sie finanziert seinen Marsch auf Rom und wird zur ebenso unermüdlichen wie willigen Propagandistin des Faschismus, verfasst gar eine Biografie des Diktators: "The Life of Benito Mussolini" (1925) - zunächst für den anglo-amerikanischen Buchmarkt gedacht, 1926 unter dem Titel "Dux" auch auf Italienisch veröffentlicht - wird ein internationaler Bestseller und macht seine Verfasserin weit über die Landesgrenzen Italiens hinaus berühmt. Mag es sich dabei auch, wie Brentzel und Ruscher konstatieren, um "die verlogene Darstellung eines gewaltbereiten, brutalen Frauenhelden aus der Romagna" handeln, den Sarfatti zum "wirklichen Führer" stilisiert, so löst das Buch etwa in den Vereinigten Staaten eine wahre Mussolini-Begeisterung aus, die die Biografin bei ihren dortigen Besuchen noch zu schüren weiß.

Doch ist die karrierebewusste Frau bei der Durchsetzung ihrer Ziele keineswegs zimperlich: Die Biografie eines potentiellen Konkurrenten lässt "die Sarfatti", wie man sie fortan ehrfurchtsvoll nennt, kurzerhand vom Markt nehmen, bevor sie den Autor aus der Redaktion der von ihr zusammen mit Mussolini gegründeten Zeitschrift "Gerarchia" entlässt. Die Propagierung des Faschismus wird Sarfattis Sache und man schenkt ihr, der kultivierten, wort- und weltgewandten Intellektuellen im In- und Ausland Gehör. So sehr ist sie von Mussolini und seinen politischen Zielen überzeugt, dass sie selbst das Gedenken an ihren Sohn Roberto, der 1918 kaum 18-jährig auf dem Col D'Echele fiel, als faschistisches Weihespiel inszeniert.

Doch schließlich wenden sich die Geister, die sie rief, gegen sie, und ihr Fall ist fast noch rasanter als ihr Aufstieg: Nach einer fast zehn Jahre andauernden Beziehung wendet sich Mussolini zunehmend von ihr ab und 1932 schließlich der jüngeren Clara Petacci zu - für Sarfatti nicht nur ein emotionaler Verlust: Nach und nach wird sie ihrer mittlerweile zahlreichen Ämter enthoben, ihre Artikel werden kaum noch gedruckt, zu ihrem einst legendären Salon finden sich nur noch wenige Gäste ein - die ehemals "ungekrönte Königin" (immerhin ist sie bereits seit 1923 Gesellschaftsdame der gekrönten Königin) ist zur persona non grata geworden.

Sie geht zunächst auf Reisen, nach Istanbul und Paris, und flieht, als sich die auf Betreiben Hitlers vollzogene Übernahme der antijüdischen Gesetze Deutschlands auch für Italien abzeichnet, nach Paris. Zusammen mit ihrem Sohn Amedeo emigriert sie 1940 nach Südamerika, lebt zunächst in Montevideo, später in Buenos Aires. Ihre Sorge gilt vor allem ihrer in Italien verbliebenen Tochter Fiammetta und deren Familie - aber auch ihrer eigenen Karriere: "Ich bin sehr besorgt, dass Europa untergeht", schreibt sie an den ihr freundschaftlich zugetanen Rektor der Columbia-Universität und Friedensnobelpreisträger Nicolas Murray Butler. Nun sei es "an Amerika, zu retten, was noch von der Zivilisation zu retten ist [...] Könnte ich vielleicht einen Essay über die neue Lage schreiben?" Von potenzieller Reue oder auch nur einem Bewusstsein um die eigenen moralischen Verstrickungen keine Spur. "Ich habe mich geirrt. Was soll's, ich habe gelebt!" zitieren Brentzel und Ruscher einen Ausspruch, der eine faszinierend-beängstigende Grandezza ausstrahlt. Als "die Sarfatti" 1947 schließlich nach Italien zurückkehrt, ist man enttäuscht darüber, dass sie nichts über Mussolini ausplaudern möchte. Aber auch, dass sie sich nicht öffentlich von ihm und seiner Politik distanziert; den Faschismus - verstanden als "aristokratische Demokratieform" - hält die einstige "Königin der Kultur" bis zum Schluss für die beste aller Staatsformen und ist überzeugt davon, dass Mussolini ihn lediglich durch seine zu starke Annäherung an Hitler pervertiert habe.

In ihrer Biografie gelingt es den Autorinnen nicht nur, das Leben Margherita Sarfattis nachzuzeichnen, sondern sie entwickeln dieses auch vor dem Hintergrund der "die Sarfatti" gleichermaßen prägenden wie durch sie geprägten Epoche. Dabei entsteht ein äußerst vielschichtiges und differenziertes Bild einer Frau, deren öffentlich-politisches Wirken ebenso in den Blick genommen wird wie ihre persönlichen Beziehungen. Anders als Karin Wieland, deren Textgrundlage primär aus den veröffentlichten Schriften und Memoiren Sarfattis bestand, spürten Brentzel und Ruscher auch persönliche Briefe auf und befragen Familienmitglieder nach dem Leben ihrer berühmt-berüchtigten Vorfahrin. So reisten die Autorinnen nach Italien, um in ,Soldo', dem Landhaus Sarfattis, deren Enkelin Sancia zu treffen, und sie besuchten Sancias Schwestern Ippolita und Margherita in Rom. Dass der Informationsgehalt dieser Gespräche letztlich vergleichsweise gering ist, liegt sicherlich in der Natur der Sache: "Die Enkeltöchter zeichnen ein vages, widersprüchliches Bild ihrer Großmutter. Eine von Geheimnissen umwitterte Frau. Fiammetta, Sarfattis Tochter, wird noch am meisten gewusst haben. Aber sie können wir nicht mehr fragen."

Im Verlauf ihres Buches zeichnen die Autorinnen ihre eigene Reise durch Italien nach und erzeugen somit gleichsam einen Meta-Text, der die eigentliche Biografie durchzieht. Dass man dies an einigen Stellen als störend empfinden kann, spricht jedoch nicht gegen ihr Buch; im Gegenteil zeigt es doch, wie sehr es Brentzel und Ruscher vermögen, den Leser beziehungsweise die Leserin für die Vita Sarfattis einzunehmen, so dass man lieber deren Progression verfolgen möchte als itinerarische Details über die Entstehung der Biografie zu lesen.

Schwierig bleibt die Frage der moralischen Schuld Sarfattis: Es bedarf kaum besonderer interpretatorischer Künste, um die (keinesfalls uneingeschränkte!) Sympathie der beiden Autorinnen der Protagonistin ihres Bandes gegenüber zu erkennen. In der Tat erweist sich Sarfatti als faszinierende Persönlichkeit, als Frau, die es bewerkstelligte, in einer von Männern dominierten Gesellschaft eine wichtige Rolle zu spielen, bevor sie von eben jenen Männern, die sie protegiert hatte, zu Fall gebracht wurde.

Ob dies allerdings bereits als ausreichende ,Strafe' für ihre keinesfalls geringe Schuld zu fungieren vermag, ist wohl eine Frage, die jede Leserin und jeder Leser selbst werden beantworten müssen. Auch den Autorinnen scheint es angesichts dieses Problems schwer zu fallen, eindeutig Position zu beziehen. So erwähnen sie etwa einen Artikel aus der "Washington Daily News", in dem Sarfatti unter der Überschrift "Fair enough" als "eine der niedrigsten und gemeinsten der ganzen begierigen Bande" bezeichnet wird, die "in einem fairen Prozess gegen eine Wand gestellt werden [sollte]". Dies kommentieren Brentzel und Ruscher wie folgt: "Margherita Sarfattis Verantwortung für die Entwicklung des Faschismus ist unbestritten. Ihre Ignoranz gegenüber den Leiden der Antifaschisten, ihre Gier nach materieller Sicherheit, ihre moralische Schuld bei der Orientierung der künstlerischen Elite auf das faschistische System und ihre konsequente Verharmlosung der faschistischen Gewalttaten sind Anklagepunkte genug. Und dennoch musste sie als Jüdin das Land verlassen und um ihr Leben fürchten." Aber, so mag man sich fragen, was entschuldigt das?

Problematischer hingegen, wenn die politischen Ansichten von Sarfattis Enkelin weitgehend kommentarlos zitiert werden: "Heute noch würde man vom Faschismus schwärmen, empört sich Sancia. Von pünktlichen Zügen, einem Italien, das im Ausland geschätzt und respektiert wurde. Für viele eine wunderbare Zeit, wären da nicht diese Rassengesetze gewesen." Dies ist eine Form der Oh-les-beaux-jours-Verklärung des Faschismus, die momentan in Italien (aber eben nicht nur dort) beängstigender Weise wieder hoch im Kurs steht: "Fiammettas Töchter sprechen sogar von Revisionismus. Berlusconi vergleiche den Faschismus mit einem Urlaubstrip. Eine Art Sommerfrische. [...] ,Was politisch in Italien geschieht, ist eine Tragödie', klagt Ippolita. ,Eine echte historische Aufarbeitung gibt es nicht.'"

Insgesamt ist "Margherita Sarfatti. ,Ich habe mich geirrt. Was soll's.'" eine Biografie, die sich wohltuend aus der Masse mediokrer Memoiren und Lebensbeschreibungen abhebt und deren Lektüre für alle historisch Interessierten sicherlich ebenso anregend wie gewinnbringend sein wird.


Titelbild

Marianne Brentzel / Uta Ruscher: Margherita Sarfatti. "Ich habe mich geirrt. Was soll's." Jüdin. Mäzenin. Faschistin.
Atrium Verlag, Zürich 2008.
384 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783855350421

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