Letzte Gedanken eines eitlen Bohemiens

Das fiktive Tagebuch des Oscar Wilde

Von Viola HardamRSS-Newsfeed neuer Artikel von Viola Hardam

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Meine künstlerische Karriere ist vollendet, und es wäre ein eitles Unterfangen, ihr etwas hinzufügen zu wollen. Von der Dichtung gelangte ich zur Prosa und von dort zur Dramatik. Danach gelangte ich ins Gefängnis. Das ist das Geheimnis meines außergewöhnlichen Lebens in zwei Sätzen: Tue stets das Unerwartete. Die anderen werden es einem nur in Ausnahmefällen vergeben, aber sie werden einen nie vergessen."

Paris im Jahre 1900. Oscar Wilde, mit den Jahren gealtert, sitzt in einem heruntergekommenen Zimmer im Hôtel d'Alsace und beginnt ein Tagebuch zu schreiben. Es sind die Worte eines alten, kranken Mannes, dem nicht viel geblieben ist. Wildes Erfolge sind längst vorbei, sein Ruf zerstört, er selber nach zwei Jahren Gefängnis in Reading ein gebrochener Mann. Der Künstler, der sich einst als Dandy feiern ließ und dessen Theaterstücke auf den Bühnen Londons Furore machten, blickt aus einer Stimmung von Melancholie und Rechtfertigungsdrang auf sein Leben zurück - das Leben eines verwöhnten Bourgois, den man aufgrund seiner Liebschaften zu minderjährigen Knaben ins Gefängnis sperrte und zum Außenseiter der Gesellschaft machte.

In Peter Ackroyds Roman "Das Tagebuch des Oskar Wilde" sind dem einstigen entfant terrible der englischen Literaturszene nur die Erinnerungen an damals geblieben. Voller Wehmut und doch auch mit Ironie lässt Ackroyd Wilde, seine Lebensgeschichte noch einmal bis zu seiner Gerichtsverhandlung aufrollen. Es offenbart sich das Lebensdrama eines irischen Künstlers, der sich in seiner Jugend dem Wein und den Straßenjungen hingab und dafür später büßen sollte. "Ich gebe mich - das gestehe ich ein - der Gesellschaft von Alkohol und Knaben hin; die Knaben sind kostspieliger als der Wein, aber sie sind auch reifer. Tatsächlich hat jedoch der Wein die bessere Wirkung, denn man hat mir gesagt, daß er mich daran hindere, langweilig zu werden. Manche trinken, um zu vergessen, ich trinke, um mich zu erinnern. Ich trinke, um zu begreifen, was ich sagen will, und um herauszufinden, was ich weiß." Er ist der alte "Spötter" geblieben, wie ihn sein Publikum kennt: leicht sarkastisch, humorvoll, angeberisch und eitel. Dass er ins Gefängnis gesteckt wird, kränkt ihn in seiner Eitelkeit zutiefst. Er rechnet ab mit der Gesellschaft, die ihn so verstoßen hat und macht sich lustig über sie. Gleich nach seinem Gefängnisaufenthalt verlässt er England und flüchtet nach Frankreich. Seinen dekadenten Lebensstil legt er allerdings auch im Exil nicht ab. Immer noch spielt er den reichen Lebemann, der sich seine Launen leisten kann. In seiner Unfähigkeit mit Geld umzugehen, verprasst er seine letzte Habe.

In seinen Aufzeichnungen kommt auch seine alte Liebe zur griechischen Mythologie und Literatur wieder zum Vorschein. Doch kann er sich mit niemandem darüber austauschen. Alle seine Freunde haben sich von ihm abgewandt und sein einziger Gesprächspartner, ein junger Mann, den er in einer Buchhandlung kennengelernt hat, interessiert sich nicht für Wildes philosophische Ergüsse. Das Ende ist langwierig und schmerzhaft. Oscar Wilde stirbt schließlich am Ende seiner Lebensbeichte am 30.11.1900 im Alter von 46 Jahren.

In einem der letzten Tagebucheinträge sagt er von sich: "Ich bin ein Problem der modernen Ethik geworden, wie Symonds es ausdrücken würde, obwohl es mir seinerzeit schien, ich sei die Lösung. Jeder spricht heutzutage über meine eigentümliche Veranlagung, da ich, wie üblich, den passenden dramatischen Augenblick wählte, um meine sexuelle Verirrung in der Welt zu offenbaren. [...] Unter all den außergewöhnlichen Dingen, die mir widerfahren sind, mag das Außergewöhnlichste sein, daß man mich nicht als Künstler, sondern als klinische Fallgeschichte in Erinnerung behalten wird, als psychologisches Studienobjekt, das man neben Onan und Herodias einreiht." Ein Studienobjekt ist er tatsächlich im weitesten Sinne geblieben, doch entgegen seiner Mutmaßungen eher als Größe in der Weltliteratur. Leider kann der Eindruck des psychologischen Studienobjekts trotzdem nicht ganz vermieden werden, da letztlich doch alles wieder auf Wildes Vorlieben für junge Männer zurückgeführt wird. Der Leser behält leider den "vorgefärbten" Eindruck des schwulen Schriftstellers, der am meisten mit sich und seinen Liebschaften beschäftigt war. So steht auch im Mittelpunkt dieser Tagebuchfiktion jene Leidenschaft, die Wilde am Ende seine gesamte Existenz kosten wird, seine Vorliebe für die "griechische Liebe" und vor allen Dingen seine selbstzerstörerische Beziehung zu Lord Alfred Douglas, genannt "Bosie", dem Sohn des Marquis Queensbury.

Mit viel Sensibilität ist es Peter Ackroyd gelungen, die Sprache und den Stil Wildes zu übernehmen und so den Leser glauben zu machen, Wilde selbst sprechen zu hören. Leider bleiben interessante Begebenheiten in Leben und Karriere Oscar Wildes im Hintergrund der Erzählung, da eher der gekränkte Liebhaber Wilde als eines der prominentesten "Opfer" des 19. Jahrhunderts im Mittelpunkt der Betrachtung steht. Trotzdem: Ein Muss für echte Wilde-Fans!

Titelbild

Peter Ackroyd: Das Tagebuch des Oscar Wilde.
Knaus Verlag, München 1999.
286 Seiten,
ISBN-10: 3813501035

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