Ein Kapitel deutscher Literaturgeschichte

Simone Barck und Siegfried Lokatis haben "Zensurspiele" in der DDR untersucht

Von Manuela LückRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manuela Lück

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Diktaturen legitimieren ihren Machtanspruch mit einer Ideologie des Wortes und setzten ihn auch mit der Kraft der Sprache durch, aber sie fürchten nichts so sehr wie die poetische Kraft des Wortes, denn sie allein vermag es, diese Legitimation außer Kraft zu setzen. Das gesprochene und geschriebene Wort wird so zum Feld der politischen Auseinandersetzungen um Bedeutungen und Interpretationen. Die Wort-Kontrolle, die Zensur im "Leseland" DDR, die es offiziell gar nicht gab, bestand aus einem durch und durch bürokratisierten Überwachungssystem, das über den Zoll, die Buchhandlungen, Druckereien und die Hauptverwaltung der Verlage und des Buchhandels reichte und das für die Einholung von Gutachten und die Erteilung von Druckgenehmigungen zuständig war. Erst wenn ein Manuskript diese Hürden genommen hatte, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es auch gedruckt wurde.

Ideologien und damit kulturpolitische Grundlagen in Diktaturen sind keineswegs starr organisiert, sondern wandelbar, willkürlich und schwer zu durchschauen. Auch in ihrem Wechselspiel von Protagonisten und gesellschaftlichen Leitlinien sind sie sehr komplex. Ein Text, der gestern noch verboten war, konnte Monate oder Jahre später ohne Beanstandungen gedruckt werden, oder ein Autor, der eben noch als konform galt, konnte wenig später in die Mühlen der Zensur geraten.

In "Zensurspiele" zeichnen Simone Barck und Siegfried Lokatis mit ihrer Auswahl an Texten die Veränderungen der kulturpolitischen Rahmenbedingungen und Leitlinien der DDR seit den 1950er-Jahren, über die Kontroversen nach 1965, die Anforderungen des Bitterfelder Weges, die Aufweichung der Zensur nach dem Machtantritt von Erich Honecker 1971 oder die erneute Verschärfung wenige Jahre später 1976, mit der Biermann-Ausbürgerung, bis zum Ende der DDR 1989 nach. Die Texte erschienen als zweiwöchige Kolumne in der Berliner Zeitung und geben einen sehr absurden, kuriosen und paradoxen Einblick in die Literaturgeschichte der DDR.

Die DDR hatte es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Bürger zu "sozialistischen Persönlichkeiten" zu erziehen und so gerieten auch Kinderbücher in den Blick der Zensoren. Bücher, die nicht die geforderte Einstellung zur sozialistischen Welt hatten und dekadente Anschauungen vertraten, wurden nicht veröffentlicht. So wurde etwa in einem Ratgeber für Kinder-Zaubertricks Passagen über Geheimschriften zensiert. Ebenso erging es einem Rinderzuchtbuch, das den "Geist der Bonner Restauration" atme, einem Angel-Ratgeber, in dem westdeutsche Fische gestrichen wurden oder einem Kochbuch, das an der Versorgungslage im Real-Sozialismus scheiterte, weil es Bedürfnisse wecke, die "nicht der tatsächlichen Versorgungslage" entsprächen. Schwierig war ebenso die Publikation von Reiseführern und Karten, die bewusst verfälscht wurden, oder einige Kalender, die entweder religiöse Losungen oder Abbildungen zeigten, die "falsch" interpretiert werden konnten beziehungsweise Sehnsüchte wecken würden.

Die Streichungen und Verbote der Zensoren, die einen heute schmunzeln lassen, weisen aber auf die allumfassende Macht der sozialistischen Ideologie und deren Durchdringung des Alltags in der DDR. Durch die ständige Wandlung der politischen Leitlinien mussten auch immer wieder "Korrekturen" und Veränderungen an den Standardwerken (zum Beispiel am "Grundriss der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung" oder der "Sowjet-Enzyklopädie") oder an Klassikern wie Bertolt Brecht vorgenommen werden und wurden bis zum Ende der DDR nie beziehungsweise nur sehr unvollständig fertig.

Erst Mitte der 1980er-Jahre wird die Zensur etwas zahmer und es wird möglich, auch heute nicht immer nachvollziehbar warum, Texte von Autoren der klassischen Moderne zu veröffentlichen. So werden James Joyce, Franz Kafka und Sigmund Freud in den letzten Jahren vor dem Ende der DDR publiziert und ebenso Texte von Autoren, die bis dato als unpublizierbar galten, da sie sich kritisch zur DDR-Wirklichkeit äußerten. Sehr interessant für Literaturwissenschaftler sind jene Texte über die Auseinandersetzung mit der klassischen Moderne und die Vorgehensweise der Zensur und der Zensoren, beziehungsweise ihrer Wandlungs- und Änderungsbewegungen. Erst nun wird verständlich, was zum Teil auch den Lektoren und Verlagsmitarbeitern und natürlich den Autoren und ihrem Beharren zu verdanken ist, warum wann welche Bücher erschienen und warum nicht. So finden sich kleine Texte zu Werner Bräunig, Irmtraut Morgner, Sarah Kirsch und ihren Schwierigkeiten mit der Zensur. Dieses Buch ist, neben den bekannten Werken der beiden Autoren Simone Barck und Siegfried Lokatis zur Zensur- und Literaturgeschichte der DDR, eine Fundgrube für Kuriosa, Bemerkenswertes und eine Anregung und Bereicherung für die weitere Beschäftigung mit diesem Kapitel deutscher Literaturgeschichte.


Titelbild

Simone Barck / Siegfried Lokatis: Zensurspiele. Heimliche Literaturgeschichten aus der DDR.
Mitteldeutscher Verlag, Halle 2008.
288 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783898125390

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