Das freche "Straßenkind" des akademischen Diskurses

Walter Reese-Schäfer führt in das Denken Richard Rortys ein

Von Markus WiefarnRSS-Newsfeed neuer Artikel von Markus Wiefarn

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Richard Rorty im vergangenen Jahr im Alter von 75 Jahren verstarb, beklagte nicht nur die philosophische Zunft den Verlust eines ihrer originellsten Mitglieder, sondern auch die politische Öffentlichkeit das Verstummen eines überaus engagierten Diskutanten. Mit Rortys Tod entschwand eine Persönlichkeit, die "Kollegen - und nicht nur sie - über die Jahrzehnte mit neuen Perspektiven, neuen Einsichten, neuen Formulierungen überfallen und in Atem gehalten hat" (so Jürgen Habermas in seinem Nachruf) und auf diese Weise immer wieder für eine erfrischende Belebung der eingefahrenen akademischen und außerakademischen Debatten sorgen konnte.

Walter Reese-Schäfers Einführung erlaubt dem philosophisch und politisch interessierten Leser, einen Einblick in das umfangreiche und vielschichtige Werk zu gewinnen, das Rorty hinterlassen hat. Dabei stellt Reese-Schäfer im Wesentlichen jene zwei Hauptwerke Rortys in den Mittelpunkt seiner Erläuterungen, die bei ihrem Erscheinen Ende der 1970er- beziehungsweise Ende der 1980er-Jahre großes Aufsehen erregten: "Der Spiegel der Natur" und "Kontingenz, Ironie und Solidarität". Aufzeigen will Reese-Schäfer mit der Gegenüberstellung dieser beiden Werke vor allem eine entscheidende Wende in Rortys eigener philosophischer Entwicklung, nämlich dessen wegweisende Entscheidung, "sich von den Schulproblemen ab- und den Weltproblemen zuzuwenden".

Standen in den 1960er- und 1970er-Jahren in Rortys Arbeiten noch die klassischen Probleme der (angelsächsischen) Philosophie im Vordergrund - etwa die Fragen nach dem Geist/Körper-Verhältnis oder die Auseinandersetzung über Realismus und Materialismus - so verschob sich ab den 1980er-Jahren sein Interesse deutlich in Richtung Sozialphilosophie, politische Philosophie und Literatur. Im Zuge dieser Verschiebung wechselten auch die Hauptkontrahenten: Waren es zunächst noch die Wortführer der analytischen Philosophie (etwa Bertrand Russell), auf die Rortys Kritik abzielte, so waren es später in erster Linie die Vordenker der durch Marxismus und Kritische Theorie geprägten akademischen Linken (etwa Jürgen Habermas), mit denen Rorty vorzugsweise die Klingen kreuzte.

In beiden Auseinandersetzungen bemühte sich Rorty beharrlich darum, die Philosophie von ihrer bereits von Hans Blumenberg diagnostizierten theologisch-metaphysischen Erblast zu befreien. Die säkularisierte Sehnsucht nach Fundamentalstrukturen, nach letzten Realitäten hinter der Erscheinungswelt, die sowohl in Fragen der Erkenntnis als auch in Fragen der Ethik unumstößliche Gewissheiten zu erreichen hoffte, sollte ihm zufolge zugunsten des nüchternen Eingeständnisses, dass für das menschliche Denken archimedische Punkte außerhalb historisch und kulturell wandelbarer Muster nicht existieren, überwunden werden. Rortys Ziel war somit ein grundlegender Paradigmenwechsel von der absoluten Begründung zur kontingenten Beschreibung, in dessen Folge die metaphysische Suche nach ewigen Wahrheiten zugunsten der pragmatischen Suche nach den gegenwärtig bestmöglichen Problemlösungen aufgegeben werden sollte.

Reese-Schäfer gelingt es, in seiner Einführung die theoretischen und historischen Hintergründe dieser voraussetzungsreichen Debatten zu beleuchten, ohne dabei unnötig in die endlosen Weiten der Philosophiegeschichte abzuschweifen. Sorgsam legt er die jeweiligen Hauptstreitpunkte offen und lässt auf diese Weise die verschiedenen philosophischen und politischen Lager erkennbar werden. Dabei verzichtet er weitgehend darauf, Rortys entschlossene Positionierungen auch in Hinblick auf dessen Biografie zu erläutern - eine Möglichkeit, von der Rorty selbst in seinem wichtigen autobiografischen Text "Wilde Orchideen und Trotzki" (den Reese-Schäfer leider auch in seiner Auswahlbibliografie nicht anführt) ausgiebig Gebrauch machte. Gerne hätte man auch noch etwas mehr über jene linke intellektuelle Elite New Yorks in den 1930er-Jahren erfahren, in die Rorty als Sohn trotzkistischer Eltern hineinwuchs und die auch für die deutschen Exilanten jener Zeit eine bedeutende Rolle gespielt haben mag.

Als äußerst aufschlussreich erweist sich das letzte Kapitel der Einführung mit dem Titel "Richard Rorty und die Philosophie in Amerika heute". In sehr prägnanter Weise wird darin die Stellung Rortys in den Traditionen und den aktuellen Debatten der amerikanischen Fachwelt umrissen und so dem deutschen Leser ein erhellender Überblick über eine akademische und universitäre Kultur vermittelt, deren Besonderheiten sich dem europäischen Beobachter nicht immer ohne Weiteres erschließen. "Die Rolle eines frechen streetkid des akademischen Diskurses", die Reese-Schäfer dem oftmals provokant und unkonventionell formulierenden Rorty zuerkennt, wird vor diesem Hintergrund erst richtig verständlich und macht gleichzeitig die große Lücke erahnbar, die der Tod dieses eigenwilligen Denkers hinterlässt.


Titelbild

Walter Reese-Schäfer: Richard Rorty. Zur Einführung.
Junius Verlag, Hamburg 2006.
171 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3885066238

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