Obama Rising Star

Christoph von Marschalls Biografie des amerikanischen Präsidentschaftskandidaten

Von Tobias TemmingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tobias Temming

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schon Ende letzten Jahres, nicht weniger als sechs Monate vor der Nominierung des demokratischen Präsidentschaftskandidaten für die US-Wahl 2008, publizierte Christoph von Marschall die erste deutschsprachige Biografie über Barack Obama. Nun nach Hillary Clintons Kapitulation im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur und nur wenige Wochen nach Obamas endgültiger Nominierung auf dem Parteitag der Demokraten, ist Marschalls Buch neuer Aufmerksamkeit sicher.

Dass über Obamas Person ein eklatanter Informationsbedarf besteht, machen erschreckend unkreative und uninformierte Artikel, selbst in renomierten Tages- und Wochenzeitungen regelmäßig deutlich, deren Autoren dem Neuling auf der internationalen Bühne nicht selten ratlos gegenüber stehen. Das sich wiederholende Geschwätz vom neuen Kennedy und Obamas vermeintlicher Rolle als transatlantischer Erlöser nimmt mit den gestiegenen Chancen des Kandidaten auf eine Präsidentschaft täglich zu. Auch wenn sich solche Titel immer gut verkaufen - sie treffen noch lange nicht des Pudels Kern. Selbst seriöse Versuche, Obama begrifflich zu fassen, sind oftmals zum Scheitern verurteilt. Als Beispiel dienen kann Stefan Kornelius' Artikel "Die Verzauberung der Massen". Ungelenk sucht der SZ Auslands Ressortleiter nach einleuchtenden Gründen für die Beigeisterung der Menge während Obamas Auftritts vor der Siegessäule. Vergeblich. Ein Autor, der den Versuch unternimmt, den Obama-Effekt in drei kurzen Spalten fünf mal mit den Begriffen "Zauberer", "Illusionisten" oder als massenaufwühlenden "Magier" zu dechiffrieren, hat offensichtlich Bedarf an Marschalls Buch. Hätte Kornelius lieber in der Biografie recherchiert, statt den Eintrag "Zauberer" im Synonymwörterbuch bis zur Neige zu bemühen, so wäre sein Artikel weniger zirkusartig und wohl auch informativer ausgefallen. Kaum ein Erklärungsversuch könnte eher fehlgehen als jene hilfesuchende Anleihe an literarisch-metaphysische Reminiszenzen, um den Kult-Status Obamas zu begreifen.

Marschall, der Obama monatelang auf den Vorwahlkämpfen begleitet hat, findet passendere Worte. Er erzählt die Geschichte eines bodenständigen, integeren und zutiefst menschlichen Bewerbers, den es in der langen Liste von mehr oder weniger intellektuell begabten US-Präsidentschaftskandidaten viel zu lange nicht mehr gegeben hat und die viele Menschen an ein Amerika erinnert, dass nur noch in den Köpfen der ersten und vielleicht noch der zweiten Nachkriegsgeneration zu existieren scheint.

Es ist vor allem die Erzählung einer unwahrscheinlichen Erfolgsgeschichte. Aufgewachsen zwischen der weißen Welt seiner Großeltern und einer kaum konturierten Identität als Schwarzer, handeln die ersten Kapitel von den prägendsten Stationen in Obamas Kindheit und Jugend. Angefangen mit den Erfahrungen des sechsjährigen Barack, der in Indonesien aufwächst und auf Wasserbüffeln reitet, erfährt der Leser später von einer ziel- und planlosen Jugendzeit, die seinem kometenhaften Aufstieg voranging. Obama verbringt zunächst schwierige Jahre ohne Vaterfigur in einem von Rassenvorurteilen und strenger Religiösität geprägtem sozialen Umfeld. In dieser Zeit steht seine Karriere unter keinem guten Stern. Als Pott-rauchender "Junkie" droht er sich jede Zukunft zu verbauen. Doch Obama ergreift seine zweite Chance, die nach amerikanischem Mythos jedem zusteht. Erfolgreich beendet er sein Erst- und Zweitstudium der Politikwissenschaft und der Jurisprudenz an der Harvard Law School und legt damit das Fundament einer vielversprechenden Karriere. Gut möglich also, dass das Motto seiner Präsidentschaftskampagne "Yes we can!" noch auf diese Zeit zurück zu führen ist.

Dass auch Obamas Drogenvergangenheit keinen Stoff mehr für Skandale bietet, ist zugleich ein Indiz für Obamas Qualität als Repräsentant einer neuen und von vielen lange erwarteten Politikergeneration. Auch ist von Marschall nicht der erste, der über dieses Thema schreibt. Obama selbst hat seinen autobiografischen Buch "Dream from my father" von 1995 seinen Drogenkonsum schon vor vielen Jahren thematisiert. Seine süffisanten Anspielungen, "But I DID inhale!", dienten im Vorwahlkampf nur noch einer liebenswerten Selbstironie und als Seitenhiebe auf den (zumindest inoffiziellen) Mitherausforderer Bill Clinton, der es bekanntlich drogentechnisch nicht so weit getrieben haben will.

Nichts Neues also, sollte man denken - und in der Tat ist ein Großteil der biografischen Informationen aus den eigenen Büchern Obamas zusammengeschrieben. Trotzdem ist diese erste deutschsprachige Biografie eine gelungene Kompilation vorhandener Fakten. Dies gilt besonders für die Kapitel, die sich auf die wichtigen Stationen seines politischen Aufstiegs konzentrieren. Der grundlegende Wert der Biografie liegt aber in der immer wieder kehrenden Betonung der grundlegenden Brüche in Obamas Leben. Aufgewachsen auf zwei Kontinenten führte Obama ein scheinbar widersprüchliches Leben zwischen den Welten, das sich in seinem späteren Berufsleben fortsetzt. Durch seine beruflichen Erfahrungen sowohl in der New Yorker Finanzwelt als auch als Sozialarbeiter in den Slums von Chicago, entwickelt Obama sein wichtigstes Talent als politischer Brückenbauer. Eine vielversprechende Laufbahn als Jurist schlägt Obama in den Wind, um Politiker zu werden. Seine ausgeprägte Fähigkeit, Gräben zu überwinden, ergänzt von rhetorischem Geschick und Charisma, statten ihn mit den notwendigen Gaben aus, die seinen rasanten Aufstieg vom Parlamentsabgeordneten über den Senator bis hin zum Präsidentschaftskandidaten 2008 ermöglichte.

Niemand braucht sich darüber zu wundern, dass der Aufstieg vom kiffenden Migranten zum chancenreichen Präsidentschaftskandidaten des mächtigsten Landes der Welt Begeisterung erzeugt. Spätestens nach der Lektüre von Marschalls Biografie wird klar: Obama ist weder ein "Zauberer", noch ein Kennedy - und erst recht kein Messias. Seine Biografie ist das Ergebnis harter und konsequenter Arbeit eines Mannes, der seit vielen Jahren dafür einsteht, woran er glaubt. Sie zeigt, dass Erfolg auf Basis von Charakter und Prinzipien noch möglich ist, auch ohne einen öldollarschweren Politclan als politischer Basis oder medienwirksamer Kriegsgefangenenaufenthalte in Vietnam.

Die exeptionelle Begeisterung, die Obama hervorruft, ist weder Resultat eines wie auch immer gearteten Massenwahns, noch geht es hier um die Projektion eines "geläuterten Amerikas" wie Kornelius schreibt. Die Begeisterung der Menge ist auch nicht das Resultat naiver Magier-Rezeption, sondern Ausdruck einer Hoffnung auf das 'Old Amerika', das Gute Amerika, von dem unsere Eltern uns erzählten. Zugegeben, davon hat die Welt seit der Berliner Luftbrücke nicht mehr viel gesehen, und auch Obama wird im Falle seiner Wahl noch so manche Überraschung bereit halten. Trotzdem lebt der Mythos fort. Baracks Biografie ist es, die ihn symbolisiert. Obama selbst steht für die Renaissance des amerikanischen Traums, den zu bejubeln kein Verbrechen ist.

Mit der schmalen Biografie hat von Marschall eine ausgewogene Skizze einer herausragenden politischen Persönlichkeit produziert. Allein - wer sich detaillierte politischen Ansichten oder zumindest neue Geschichten aus dem Nähkästchen Obamas Vergangenheit erhoffte, wird enttäuscht. Auch stören gelegentlich Häufungen trockener Wahlkampfstatistiken, doch lässt sich die Schreibe eines routinierten Journalisten nicht verleugnen. Zum Ausgleich stehen den Längen des Buches umso interessantere Einsichten in die US-amerikanische Medien- und Wahlkampflandschaft entgegen. Mitunter emphatisch, aber nicht unkritisch werden die meisten Informationen im Stil einer lebendigen Reportage flüssig erzählt und mit Interviewzitaten garniert. Marschall stimmt weder in den Chor der "Change"-Renegaten mit ein, noch gibt er sich mit der Rolle des willigen Herolds eines politischen Erlösers zufrieden. Keineswegs kritiklos nennt der Autor Obamas Machtinstinkt und die rhetorischen Schwindeleien des demokratischen Wahlkampfes beim Namen, ohne sich unter dem vorgeschobenen Ethos eines emotionslosen Journalismus vor dem Potential einer in vielerlei Hinsicht vielversprechenden möglichen Präsidentschaft Barack Obamas zu verstecken.


Titelbild

Christoph von Marschall: Barack Obama. Der schwarze Kennedy.
Orell Füssli Verlag, Zürich 2008.
222 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783280061084

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