Zwischen Pop-Art und Verpackungskunst

Ron Winklers Anthologie "Neubuch. Neue Junge Lyrik" versammelt poetisierte Alltagsmomente

Von Andreas HuttRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Hutt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine gute Anthologie zu lesen, ist wie Geburtstagsgeschenke auspacken: man wird im positiven Sinne überrascht. In dieser Hinsicht ist das "Neubuch. Neue junge Lyrik" aus dem Yedermann Verlag eine gute Anthologie. Es enthält Gedichte von 25 Lyrikerinnen und Lyrikern, die zwischen 1972 und 1985 geboren sind. Die Bandbreite der Autoren reicht von etablierten Dichterinnen und Dichtern, wie etwa Daniela Danz oder Ulrike Almut Sandig, bis hin zu bisher eher weniger in Erscheinung getretenen, wie Roman Israel oder Michael Stauffer.

Wenn man aus den im Neubuch vertretenen Texten trotz aller Heterogenität ein gemeinsames Projekt herauslesen will, dann scheint es darin zu liegen, den Alltag "poetisieren" zu wollen, als hätten sich die Autoren entsprechende programmatische Ideen der Romantik zu Herzen genommen. Die Gedichte handeln von Treffen in Cafés, Spaziergängen in der Natur, Straßenszenerien, Reiseimpressionen oder Liebesbeziehungen, die mit poetischen Mitteln verfremdet werden.

Dichter wie Thien Tran, Herbert Hindringer oder Katharina Schultens etwa arbeiten dabei mit surrealistischen Elementen: "meine Mutter kam samt ihrem funkloch / wir mussten sie im garten aufstellen" (Herbert Hindringer: kontrapunktisch).

Bei anderen Schriftstellern (Nora Bossong, Daniela Danz) werden die Alltagsbegebenheiten hermetisch gefügt: "...es ist / so spät in dieser flachen Gegend - und alles / protestantisch, sagst du zu mir" (Nora Bossong: Weyhe).

Oder aber sie werden interpretiert: "STEHEN. dort stand dieser baum, der / so blickbehangen, stetig an blattwuchs verlor / war es der wind, der ihn so bewegte / oder gab nicht er dem wind ein gesicht / im beben der zweige, im blick?" (Andrea Heuser: vor dem verschwinden).

Andere Autoren, wie Marius Hulpe, bedienen sich Mitteln der Sprachästhetik, um ihren Blick auf den Alltag in Worte zu fassen: "....auf dem ehemals / verseuchten spielplatz fliegen ein paar kiesel / als salven einer rache vor die torschusswand." (Marius Hulpe: moabiter balkon).

Mit ihren Mitteln der Verfremdung arbeitet diese Lyrikergeneration nach einem künstlerischen Konzept, das man als Synthese zwischen Pop-Art und der Verpackungskunst auffassen könnte. Alltagsmomente werden aus räumlichen und zeitlichen Abläufen herausgegriffen, präsentiert und in ihrer Präsentation poetisch konturiert. Das schärft den Blick des Lesers auf die Welt, lässt ihn Bekanntes anders wahrnehmen. Die Texte stehen für sich, wollen nicht für eine bestimmte (politisch-gesellschaftliche) Position einnehmen und sind vielfältig interpretierbar. Nie war Bertolt Brecht so tot wie heute.

Jeder Autor wird mit bis zu sieben Texten vorgestellt. Auch wenn sich die 25 Einzelporträts zu einem Gesamtbild fügen, bleibt doch Raum für Experimente (Carl Christian Elzes an Thomas Kling erinnerndes Gedicht "wallis", slamartige Prosaskizzen von Nora-Eugenie Gomringer oder Michael Stauffers Zyklus "Der Gehilfe geht").

Im Vergleich zur kürzlich im Berlin Verlag erschienenen Anthologie "Lyrik von Jetzt zwei" ergeben sich einige interessante Vergleichspunkte. 17 der 25 Autoren aus dem Neubuch sind auch in "Lyrik von Jetzt zwei" vertreten, einige wenige Texte in beiden Anthologien enthalten.

Allerdings werden die Autoren in "Lyrik von Jetzt zwei" jeweils mit nur vier Gedichten präsentiert, die häufig zuvor schon in Gedichtbänden oder Zeitschriften veröffentlicht worden sind. Man stößt leider zu oft auf Bekanntes. Das "Neubuch" hält im Wesentlichen, was der Untertitel "Neue junge Lyrik" verspricht: Man trifft auf Überraschungen im positiven Sinn, auch wenn man regelmäßig Lyrik liest.

Darüber hinaus hat das "Neubuch" mehr Charme. Man spürt beim Lesen, dass hier noch einiges in Bewegung ist, so dass man fast versucht ist, das Wort "unverbraucht" in den Mund zu nehmen, während man sich in "Lyrik von Jetzt zwei" des Öfteren fragt, wo denn das junge Element in den Texten sei, das Unfertige, die Dinge im Fluss.

Deshalb bleibt zu hoffen, dass das "Neubuch. Neue junge Lyrik" nicht zu sehr im Schatten des großen Bruders "Lyrik von Jetzt zwei" stehen wird. Verdient hätte es diese Anthologie.


Titelbild

Ron Winkler (Hg.): Neubuch. Neue junge Lyrik.
Mit einem Nachwort von Ulrike Draesner.
Yedermann Verlag, München 2008.
240 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783935269377

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