Illustrierte Romane
Primus-Heinz Kucher hat Vorschläge zu einem transdisziplinären Epochenprofil der Literatur und Kultur im Österreich der 1920er-Jahre gesammelt
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseArthur Schnitzler wird gemeinhin als Autor der vorletzten Jahrhundertwende wahrgenommen. Daher klagt Luigi Reitani, dass die noch in den 1920er-Jahren verfassten Werke des Wiener Autors von der Literaturgeschichtsschreibung "nicht oder nicht in gebührendem Ausmaß" aufgenommen würden, und möchte das korrigiert wissen. Zudem gelte Schnitzler zu unrecht als "Dichter einer 'versunkenen' Welt". Erinnerten die "Figuren und Situationen" in dessen späten Texten auch an die Jahrhundertwende, so seien sie doch "in dem sozialen und politischen Umfeld der Ersten Republik anzusiedeln". Denn in ihnen mache sich eine "Sensibilität" für Fragen, Probleme und Themen bemerkbar, "die für die 20er Jahre als geradezu paradigmatisch gelten" könnten.
Diesem Österreich der 1920er-Jahre, genauer gesagt, dessen Literatur und Kultur, gilt ein von Primus-Heinz Kucher herausgegebener Sammelband, der auf eine Ende 2004 in Klagenfurt durchgeführte Arbeitstagung zurückgeht. Sein Ziel ist es, "die Literatur und Kultur der österreichischen Zwischenkriegszeit 1918-1933/38 mit einem Fokus auf die 20er Jahre neuerlich zur Diskussion zu stellen", wie der Herausgeber im weder flüssig zu lesenden noch von kleineren Fehlern ganz freien Vorwort darlegt. So wird etwa der Autor dieser Rezension unter dem Namen Rolf Höchel zitiert.
Neben Reitanis Text gilt Arthur Schnitzler ein zweiter Beitrag. Eva Kuttenberg interessiert sich für den Autor als "Cineast[en] im Wien der elektrischen Schatten" und möchte seine Erfahrungen mit dem Film "hinterfragen". Während sich der passionierte Kinogänger mit dem Tonfilm nicht anfreunden konnte, haben ihm Stummfilme als "visuelle Dialogpartner für seine Erzähltechnik und Poetologie des Blicks" gedient. Anlässlich der Premiere des Films "Der Junge Medardus" sprach er 1923 in einem von der Autorin ausführlich zitierten Artikel für die "Neue Freie Presse" sogar von einem "illustrierten Roman".
In einem weiteren Beitrag erörtert Walter Fähnders die Frage, ob die Neue Sachlichkeit "reaktionär" gewesen sei, wie Brecht meinte, oder ob sie einem Diktum von Adolf Behne gemäß nicht "doch so etwas wie offiziöse Linkskunst" war. Hierzu nimmt er weniger die Inhalte neusachlicher Literatur in den Blick als vielmehr ihre Ästhetik. Dabei erweisen sich Fähnders Ausführungen - wie stets - als erhellend.
Ebenfalls lesenswert ist Julia Bertschiks Beitrag. Sie wendet sich der Mode als "Zeitsignatur der Oberfläche" zu und vergleicht Helen Hessel-Grunds "Modebetrachtungen" etwa in der "Frankfurter Zeitung" mit Vicki Baums Mode-Artikel im Ullstein-Journal "Uhu", mehr aber noch mit ihrem Theaterstück "Pariser Platz 13". Wie Bertschik zeigt, versuchte Hessel-Grund, "dem kontingenten Oberflächen-Phänomen Mode geistigen Tiefgang zu verleihen, indem sie dem kulturphysiognomischen 'Wesen' der Kleidermode nachspürte."
Ihre in (Frauen-) Zeitschriften platzierten Mode-Artikel, die nicht nur von Frauen gelesen wurden, die sich auf der Höhe der Zeit kleiden wollten, sondern auch von Intellektuellen wie etwa Theodor W. Adorno, der sie - wie er in einem von Bertschik zitierten Brief an Walter Benjamin bekannte - "stets mit großem Interesse verfolg[t]e", orientierten sich nicht so sehr an den "populärkulturellen Neuerungen" der Weimarer Republik, sondern referierten vor allem auf die "damenhafte Eleganz ästhetizistischer Vorkriegsästhetik".
Bertschik zufolge blieb Hessel-Grunds "Mode-Nobilititation" somit "einem eher traditionellen Frauenbild und Kulturbegriff verhaftet". Vicki Baums "Schönheitssalon-Komödie" sei hingegen nicht nur eine "furiose Verbindung" von Baums eigenen Mode-Artikeln in der Zeitschrift "Uhu" mit "dramatischer Fiktion", sondern auch ein ebenso "demonstrativer wie untergründig kritischer Umgang mit dem Thema Mode". Anders als Hessel-Grunds "Mode-Apologetik" reagiere Baum auf die "neuen Strukturen einer visuell-urbanen Populärkultur" und perpetuiere das "'typische Frauenthema" Mode nicht nur, sondern dekonstruiere es zugleich.
Weitere Aufsätze gelten Robert Musils Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" (Maximilian Aue), der "literarische[n] Antimoderne nach 1918" (Karl Müller) oder auch Josef Weinhebers "Lyrikkonzept gegen den Trend" (Albert Berger). Die beiden letzten Beiträge widmen sich schulischen und didaktischen Fragen. Markus Kreuzwieser und Werner Wintersteiner haben sie verfasst.
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