Dr. Mabuse, Winnetou & Co.

Helmut Schmiedt betrachtet in seinem Buch dreizehn Klassiker der deutschen Unterhaltungsliteratur

Von Frauke SchlieckauRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frauke Schlieckau

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit Autoren wie Christian August Vulpius, Eugenie Marlitt, Hedwig Courths-Mahler, Heinrich Spoerl und Heinz G. Konsalik hat Helmut Schmiedt Beiträge von Schriftstellern zusammengestellt, deren Literatur ihrer Zeit ein Massenpublikum gefunden hat. Diese Autoren und Texte sind zweifelsohne ein Teil der deutschen Literaturgeschichte, der aber die Anerkennung des Feuilletons und der Literaturwissenschaftler bisher zum Großteil verwehrt blieb.

Ein Buch über Unterhaltungsliteratur stellt immer auch die Frage danach, was überhaupt unter Unterhaltungsliteratur zu verstehen ist. Zwar setzt Helmut Schmiedt sich auch mit zwei wesentlichen Problematiken der Gattungsfrage auseinander - der Definition des Genres und der Wertung - dennoch steht aber vor allem die Frage nach der Unterhaltungsliteratur als ästhetisches Phänomen im Mittelpunkt des Buches. In dem 2007 erschienenen Band bemüht sich Schmiedt, eine Wertungsdiskussion zu vermeiden und sucht stattdessen nach verbindenden Merkmalen.
Der Herausgeber geht dabei auf die historische Entstehung des Genres ein, die sich im späten 18. Jahrhundert herausbildete. Seine Verweise reichen dabei von Horaz (prodesse et delectare - Dichtung soll nicht nur nützen, sondern auch unterhalten) bis zu Hermann Broch, der den literarischen Kitsch sogar als das Böse im Wertesystem der Kunst bezeichnet hat.
Schmiedt zeichnet die wissenschaftliche Auseinandersetzung nach, die sich aus Gedankengebäuden und aphoristischen Bemerkungen zusammensetzt, weist aber unter Nennung einzelner Definitionen und Ordnungshilfen wie beispielsweise dem Wilpertschen Dreischichtmodell, darauf hin, dass der Begriff unscharf bleibt, und unklar ist, wo genau die Grenzen zwischen E- und U- Literatur verlaufen.
Helmut Schmiedt spricht dabei vor allem den Paradigmenwechsel bei der Wertschätzung von Literatur an. "Den listigen Versuch, Trivialliteraturforschung und Wertungsproblematik ertragreich zu verbinden, hat schon vor einigen Jahrzehnten Helmut Kreuzer mit der Anregung unternommen, man möge die Vorstellung vom Trivialen als einem ästhetisch einheitlichen, mit geradliniger Typisierung erfassbaren Komplex aufgeben, den Begriff aber in einen Historischen verwandeln." Das Unterhaltende werde oft, so Schmiedt, als das nur Unterhaltende gesehen und müsse unter dieser Prämisse natürlich bereits von vornherein ästhetisch und intellektuell suspekt wirken. Dabei - so Schmiedt - haben wir es, "wenn wir von unterhaltender und anderer Literatur reden, nicht mit genuin verschiedenen Welten zu tun, sondern allenfalls mit verschiedenen Kontinenten innerhalb einer Welt."

Bei den von Schmiedt angeführten Werken verwundert allerdings etwas die Angabe des Autors, dass die Texte willkürlich ausgewählt seien. Sein Ziel ist scheinbar nur ein möglichst breites Spektrum mittels interessanter Texte abzudecken, ohne dass er aber darauf eingeht, wann genau ein Werk der Unterhaltungsliteratur für ihn von Interesse ist. Den einzelnen Beiträgen gibt er - statt in den Text literarische Zitate einzuarbeiten - größere Werkpassagen vorab mit, die dem Leser einen Eindruck von der Beschaffenheit des Werkes vermitteln sollen. Ob dies ein sinnvolles Verfahren ist, bleibt dahingestellt.
Untersucht werden von Schmiedt einerseits spezifisch literarisch-ästhetische Merkmale, andererseits übergreifende Zusammenhänge. Er beleuchtet die Erzählinhalte, ihre Konturierung im engeren historischen und literaturhistorischen Rahmen, das was die Texte untereinander verbindet. Der Autor behandelt auf anschauliche Weise Texte, die sonst im wissenschaftlichen Diskurs wenig Beachtung finden: Christian Fürchtegott Gellerts "Leben der schwedischen Gräfin von G***", Karl Mays "Winnetou", Johannes Mario Simmels Wälzer "Es muss nicht immer Kaviar sein" oder Ingrid Nolls Kriminalroman "Die Häupter meiner Lieben" sind nur einige der Werke, auf deren Untersuchung die Beiträge basieren.
Die Abhandlungen öffnen dem Leser den Blick für Querverbindungen und Deutungsmöglichkeiten, die sonst im Zusammenhang mit Unterhaltungsliteratur nicht wahrgenommen werden, eben weil der Leser geneigt ist, diese Art von Literatur ausschließlich nebenbei zu konsumieren. Die Beispiele verdeutlichen jedoch, dass sich auch in dieser Art von Literatur interessante Charaktere und Figurenkonstellationen sowie zahlreiche historische und gesellschaftliche Bezüge ausmachen lassen.

Das Buch zeigt aber vor allem eins: Auch wenn sich über die literarische und vor allem stilistische Qualität von Werken der Unterhaltungsliteratur ohne Zweifel streiten lässt, sie sind - und somit muss ihnen die gleiche Funktion zugesprochen werden wie der Hochliteratur auch - ein Medium zur Verarbeitung von Welt.


Titelbild

Helmut Schmiedt: Dr. Mabuse, Winnetou & Co. Dreizehn Klassiker der deutschen Unterhaltungsliteratur.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2007.
274 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783895286216

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