Biologische Konzepte auf dem Prüfstand

Der Sammelband "Philosophie der Biologie" von Ulrich Krohs und Georg Toepfer diskutiert fachwissenschaftliche Selbstverständlichkeiten

Von Josef BordatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Josef Bordat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Bezugnahme der abstrakten Arbeit am Begriff auf die konkrete Wirklichkeit ist in einer Zeit, in der die ganz großen Systeme von einzelnen Denkern nicht mehr entwickelt werden können, zunehmend das Betätigungsfeld derer, die mit der akademischen Disziplin "Philosophie" ihren Lebensunterhalt bestreiten. Auch die Betrachtung der Wissenschaft gehört in der Gegenwart verstärkt zum Erkenntnisgegenstand philosophischer Reflexion, wobei die allgemeine Wissenschaftsphilosophie (als Wissenschaftstheorie) von der speziellen Wissenschaftsphilosophie (als Philosophie der Einzelwissenschaften) zu unterscheiden ist. Unter den Einzelwissenschaften sind dabei die Naturwissenschaften von besonderem Interesse und darunter vor allem die Biologie, die sich mit ihrem Paradigma der Evolution zur "Leitwissenschaft" aufsteigen sieht.

Damit ist eine "Philosophie der Biologie" aus zwei Gründen von ganz besonderer Brisanz: Zum einen sorgt die in biologischen Forschungsprojekten implizit stets mitverhandelte Mensch-Natur-Beziehung für eine Öffnung der Perspektive in Richtung der philosophischen Anthropologie, zum anderen wird diese noch verstärkt durch Versuche, biologische Wissensbestände zur Grundlage von Fragestellungen zu machen, in denen die Philosophen traditionell ihre Kernkompetenzen sehen ("evolutionäre Erkenntnistheorie", "evolutionäre Ethik", "evolutionäre Ästhetik" et cetera). Der von Ulrich Krohs und Georg Toepfer, beide Biowissenschaftler und Philosophen, herausgegebene Sammelband knüpft an diese Grenzüberschreitungen an und behandelt in vier Themenbereichen (1. Biologie und Physikalismus, 2. Organismus, 3. Biologische Theorien, 4. Pragmatik) philosophische Probleme teleologischer (Funktionalität, biologisches Design, organische Systeme) und ontologischer Dimension (Begriff des Lebens, Artbegriff, Mensch und Maschine) sowie das Schlüsselkonzept jeder Wissenschaft - "Theorie". Das Ganze firmiert im Untertitel als "Eine Einführung".

Das ist sehr bescheiden, gehen doch einige der Aufsätze durchaus in die Tiefe und präsentieren dennoch knapp und verständlich den aktuellen Stand der Diskussion. Von besonderem Interesse ist dabei - nicht nur im Darwin-Jahr 2009 - der Bereich "Biologische Theorien", der sich mit Grundlagen und dem Geltungsanspruch der Evolutionstheorie nach Darwin, aber auch mit "alternativen Evolutionstheorien" auseinandersetzt und dazu eine hilfreiche Systematik anbietet, die zeigt, dass zwischen den "Extremen" (naturalistische Evolution, "Sechs-Tage-Kreationismus") noch eine Menge Platz ist für mehr oder wenige geglückte Synthesen. Wichtig ist es zudem, sich die "Begründungsstrukturen" anzusehen, die diese Theorien bieten, um dann an zentralen Begriffen die Schwierigkeiten eines Werturteils pro oder kontra bestimmter Thesen zu Schöpfung und Evolution fest zu machen.

Ein solcher Begriff ist "Art". Eine genaue Analyse des Artbegriffs ist unerlässlich, da er in der Auseinandersetzung zwischen (Neo-)Darwinisten und Vertretern des "Intelligent Design" immer wieder in den Mittelpunkt gestellt wird, wenn es um die Frage geht, ob und wie Makroevolution (das Hervorgehen einer Art aus einer anderen) möglich ist. Dass Arten selbst Veränderungen unterliegen (Mikroevolution), ist in diesem Diskurs hingegen unstreitig. Nur: Was wäre dann - ontologisch betrachtet - noch eine "Art", wenn sie aus evolvierenden Entitäten besteht, die im Entwicklungsprozess ihre Gestalt verändern (etwa, wie beim Pferd, an Größe zunehmen)? Was ist wirklich das reale Objekt "Art"? Eine (abstrakte) Sorte, ein Typ (so die klassische Sicht vor Darwin) oder eine (konkrete) Spezies, ein Individuum (so die heutige Sicht).

Beide Varianten bergen Probleme. Geht man von der Spezies aus, so fragt es sich weiter, wie denn die konkrete Entität als "Art" aufzufassen ist: "synchron" oder "diachron", als eine Sammlung von Merkmalen, die über die Zeit erhalten bleiben (Abstammungs- bzw. Fortpflanzungsgemeinschaft, Population) oder als das konkrete Individuum in einem raumzeitlichen Fenster? Dieses ist als historische Spezies aber nur begrenzt veränderlich (eben in seiner Zeit und seinem Raum, wobei jedoch die einzelnen "Raumzeitstücke" statisch zu denken sind, da sie ja schon die Zeit enthalten, in der allein sie sich verändern könnten). Damit widerspricht die Auffassung der "Art als diachrone Entität" dem Paradigma der Evolution, scheidet also aus. Bei jener Auffassung der "Art als synchrone Entität" stellt sich aber das Problem der Kontinuierung im Falle von Organismen, die sich nicht geschlechtlich fortpflanzen, da hierbei ja gerade die Weitergabe der Gene die "Art" als solche konstituieren und so die Einzelindividuen über die Zeit in einem abgegrenzten System, eben der "Art", zusammenhalten soll. Ein schwieriges Problem, das zeigt, "wie stark gerade die Artdebatte von metaphysischen Annahmen abhängt". Es bietet damit ein "Betätigungsfeld [...] für Philosoph(inn)en mit Interesse an analytischer Ontologie".

Die Aufgabe der Wissenschaftsphilosophie besteht darin, Begriffe zu problematisieren, mit denen die Fachwissenschaftler in ihrem Forscheralltag selbstverständlich umgehen; der Begriff "Art" ist dafür nur ein besonders bedeutendes Beispiel. Diese Aufgabe wird mit den 23 Essays erfüllt. Deshalb sei der Band "Philosophie der Biologie" gerade jenen Fachwissenschaftlern empfohlen.


Titelbild

Ulrich Krohs / Georg Toepfer (Hg.): Philosophie der Biologie. Eine Einführung.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
456 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-10: 3518293451

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