Neverland des Konsumkapitalismus
Benjamin R. Barbers kulturkritischer Blick auf die Infantilisierung in der Überflussgesellschaft
Von Sabine Berthold
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseBenjamin R. Barbers kulturkritischer Blick auf den Spätkapitalismus und "Konsumismus" will aufdecken, "wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Demokratie untergräbt". Die Streitschrift des US-amerikanischen Politologen und Bestsellerautors variiert eine zentrale Grundthese: die Infantilisierung des Konsumenten in der kapitalistischen Überflussgesellschaft.
Durch Marketing-Strategien, Werbung und die allgegenwärtige Präsenz der Medien würden permanent künstliche Bedürfnisse nach unnützen Produkten geweckt. Die Unternehmen, so Barber, deklarierten ihre geschickte Manipulation als Ausdruck der individuellen Freiheit des Konsumenten. Wie Peter Pan in dem gleichnamigen kinderliterarischen Klassiker von James M. Barrie würden die Verbraucher sich weigern, erwachsen zu werden und entzögen sich damit zugleich ihrer Verantwortung in der Zivilgesellschaft.
Neu ist Barbers kulturkritische Darstellung der Auswirkungen des "Hyperkonsumismus" nicht - sie wurde bereits von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer weitsichtig vorweggenommen. Neu ist jedoch nach Barbers Ansicht die Dimension dieses von ihm diagnostizierten Hyperkonsumismus, die in Zeiten der Globalisierung ungeahnte Ausmaße erreicht. Das "infantilistische Ethos" durchzieht virusartig alle Gesellschaftsbereiche und verdrängt das für den frühen Kapitalismus prägende protestantische "Ethos der Askese" und des unternehmerischen Altruismus.
Barber sucht die Alternativen zum Hyperkonsumismus in der Geschichte, wenn er das protestantische Arbeits-Ethos beschwört, Ausdruck dafür, dass sich Produktion und Konsum noch im Gleichgewicht befunden hätten. Der mit der Überflussgesellschaft einhergehende "Infantilismus" bezieht sich dabei auf beide Akteure des Marktes, Unternehmen wie Konsumenten - Unternehmen förderten durch ihre Vermarktungsstrategien den Rückzug ins Kindische, während die Konsumenten der permanenten Wunscherfüllung nachjagten.
Auch dies macht in Barbers Sichtweise die neue Qualität des Zeitalters des Konsumismus aus, dass nämlich die Verbraucher in freier Entscheidung dem Konsumismus frönten, ohne ihr Konsumverhalten als problematisch oder gar schädigend einzustufen. So grenzt Barber seine Position an dieser Stelle auch deutlich von Adornos Position ab - nicht das "Totalitäre" sei die Gefahr des Konsumismus, sondern das "Totalisierende" und "Vereinheitlichende" eines globalen Marketings, einer weltweiten Präsenz der Marken.
Auf Seiten des Konsumenten meint die Herrschaft des Infantilismus daher eine Endlosschleife der Konsum-Kicks, die einer Logik der permanenten Überbietung folgt. Postmoderne Shopping-Malls ersetzen dabei die traditionellen Stadt-Strukturen: Shopping wird so zur universellen Beschäftigung, während früher der städtische Marktplatz zugleich der Platz war, an dem sich andere Einrichtungen (Kirche, Gericht, Schule etc.) befanden. Durch diesen Universalismus des Shopping - der Slogan "I shop, therefore I am" kann dies verdeutlichen - verkümmert jedoch nach Barber das gesellschaftliche Engagement in der Zivilgesellschaft, wird der Staatsbürger zum infantilen Konsumenten degradiert. Paradoxerweise empfindet der Verbraucher dieses Zusammenschrumpfen seines Handlungsbereiches als Genuss und Ausdruck seiner individuellen Freiheit. Barbers Argumentation erinnert auch in diesem Punkt an die Positionen der Frankfurter Schule, so etwa an Herbert Marcuses Begriff des "eindimensionalen Menschen", dem Barber auch einiges abgewinnen kann.
Aber der Politologe betrachtet auch die andere Seite des Marktes, das Unternehmertum, das durch die künstliche Schaffung von Konsumwünschen zu dieser Infantilisierung beitrage. Teilweise ist sein kulturkritischer Blick auf die Rolle der Unternehmen jedoch widersprüchlich. Denn einerseits beschreibt er unternehmerische Marketingstrategien als eine Form der Manipulation, andererseits will er jedoch nicht so weit gehen, den Konsumenten nur als willenlose Marionette in der Hand von Marketingstrategen zu sehen. Denn sein Ziel ist es ja, gerade die Eigenverantwortung des Konsumenten einzufordern. Angesichts der aktuellen weltpolitischen Situation und der globalen Finanzkrise stellt sich jedoch die Frage, ob nicht die Verantwortung von Unternehmen viel stärker betont und eingefordert werden müsste. Gerade weil dieser Markt-Akteur eine zentrale Stelle einnimmt und über ein hohes Ausmaß an Macht verfügt.
Im letzten Kapitel seiner Streitschrift komplettiert Benjamin R. Barber seine Zeitdiagnosen mit einem umfassenden therapeutischen Programm. Vorbilder für einen verantwortungsvollen Kapitalismus findet er dabei nicht nur in der Geschichte, sondern auch in Unternehmern wie Bill Gates. Diese, so Barber, dienten durch ihre gemeinnützigen Aktivitäten zugleich dem Gemeinwesen. Barber bewertet es jedoch auch als ein Paradoxon, dass ein Gewinner des Kapitalismus wie Bill Gates gerade durch seinen Profit in der Lage ist, gemäß dem geforderten "demokratischen Ethos" zu handeln.
Ein Unternehmertum, das sich seiner gesellschaftlichen wie auch globalen Verantwortung bewusst wird, ist Barbers Vorstellung von einer Selbstheilung des Kapitalismus. Diese Therapie soll jedoch nicht das Fundament des Kapitalismus in Frage stellen; vielmehr soll im Rahmen des Systems eine Korrektur der Folgen geschehen. Der Autor wählt dafür die Metapher der "Autoimmunfunktion" und geht von einer Selbstreform des Kapitalismus aus.
Auch der Konsument soll seine Autoimmunfunktionen stärken, indem er sein Konsumverhalten ethisch reflektiert und seine (wenn auch eingeschränkte) Macht als Verbraucher nutzt. So gilt ihm der Konsum-Boykott als wirksame Möglichkeit, die unternehmerische Produktpolitik zu verändern - das Beispiel des Boykotts gentechnologisch veränderter Lebensmitteln könnte ein Vorbild für ein ethisch reflektiertes Verbraucherverhalten sein.
Barber glaubt nicht an die radikale Konsumverweigerung oder anders gesagt: man kann nicht nicht-konsumieren. Aber er plädiert für einen verantwortungsbewussten Konsum, der nicht allein den Gesetzen der Überflussgesellschaft Folge leistet. Ob dieses Therapieprogramm der Selbstreform, so verlockend es klingen mag, ausreicht, erscheint jedoch fraglich. Auch Barber hat da seine Zweifel, dennoch will er die Utopie eines verantwortungsbewussten Kapitalismus entwerfen, der nicht allein einem Privatismus und Individualismus frönt, sondern das Gemeinwohl und die Öffentlichkeit stärkt.
Barbers wichtigster Punkt ist daher nicht die Diagnose einer infantilistischen, regressiven Gesellschaft. Vielmehr ist es das Verdienst seiner Studie, die globale Dimension des Konsumismus deutlich zu machen. Nicht nur ein Welthandel ist gefordert, so seine Argumentation, sondern gleichermaßen ein globales Ethos. Nicht Peter Pan - das Kind, welches das Erwachsenwerden verweigert und der Erwachsene, der ewig Kind sein will -, ist seiner Meinung nach in der Lage, die Probleme dieser globalen Gemeinschaft zu lösen. Barber sympathisiert vielmehr mit der erwachsen auftretenden Wendy in "Peter Pan", die sich nicht vom infantilistischen Ethos des Spätkapitalismus faszinieren lässt.
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