Von Dracula zum Cybervampir

Ditte und Giovanni Bandini versuchen, die Vampire zu entstauben

Von Nadine IhleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nadine Ihle

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist anscheinend eine gute Jahreszeit für Vampire. Kaum sind die Nächte länger als die Tage, erscheinen die Vampire, nein, nicht aus ihren Grüften, sondern gleich stapelweise auf den Büchertischen der Buchhandlungen. Da findet sich dann allerlei zu dem Thema, hauptsächlich tauchen die Blutsauger in Romanform auf, mal in Serien gegossen, mal in dicken Schwarten ausgebreitet.

In - selbstverständlich - blutroter Schrift leuchtet inmitten der vielen Bücher "Das Vampirbuch" von Ditte und Giovanni Bandini hervor. Die Horrorfratze des Vampirs auf dem Titelbild macht schon vor dem ersten Aufblättern des Buches eines deutlich klar: Hier geht es nicht um die Ziselierung eines Mythos. Der Blick in das Inhaltsverzeichnis bestätigt den ersten Eindruck. Da wird eine Tour de Force unternommen, deren Stationen mit entsprechend reißerischen Schlagworten wie "lesbische Liebe", "Massenmörder", "Erotik" oder "Magie" versehen werden. Das Layout tut ein Übriges, um diesen Eindruck zu unterstützen. Kleine Fledermäuse über den Kapiteln mögen ja noch spielerisch auflockernd sein, die im Buch lose verteilten Bluttropfen sind dann aber doch zu viel des Guten.

Ditte und Giovanni Bandini schreiben seit einigen Jahren zusammen solche erzählenden Kompendien. 1998 legten sie noch als Nachschlagewerk ein "Kleines Lexikon des Aberglaubens" vor, (in dem der Buchstabe "V" mit dem Stichwort "Veilchen" beginnt, das also noch ohne "Vampire", sondern allein mit dem "Wiedergänger" auskommt). Das Wissen über ihr Thema nicht lexikalisch, sondern kapitelweise darzustellen, haben die beiden bereits in mehreren Vorgängerbüchern erprobt. In diesen widmeten sie sich Elfen und Feen, den Zwergen und Drachen. Nun führen sie also in bewährter Manier durch die Welt der Vampire.

Nach einem oberflächlichen Blick auf die Vampirgeschichten von Joseph Sheridan LeFanu und Bram Stoker beginnt eine ausführliche Schilderung der volkstümlichen, ethnologischen und mythologischen Versatzstücke, aus denen sich die uns heute vertraute Gestalt des Vampires formt. Im Laufe der Darstellung schrumpfen die literarischen Verweise zur Wiedergabe von Zitaten, Sagen, Anekdoten und Überlieferungen zusammen.

Bemerkenswert in dem umfassenden Themenreigen, den die Bandinis vorstellen, ist der bisher zumeist völlig vernachlässigte Aspekt der literarischen Aneignung des Vampires durch Hobbyschreiber. So stellen die beiden Autoren fest, dass im Bereich der Laienliteratur die Amateurgeschichten sich überwiegend mit dem Aspekt der Abhängigkeits- oder Beziehungsverhältnisse inklusive einzelner erotischer Elemente beschäftigen. Vampire als Horrorgestalten und als blutrünstige Mordgesellen seien in den Kurzgeschichten von Hobbyschreibern seltener zu finden. Leider ergeht es diesem interessanten Aspekt ebenso wie auch den üblicherweise in einem Vampirbuch zu erwartenden Themen (Fledermäuse, Werwölfe, Blutsauger, Abwehrmechanismen gegen Vampire, Gothic-Kultur und so weiter). In der Beschreibung der Aspekte wird zusammengetragen, Information an Information gereiht, aber nicht zusammengefasst, verdichtet, bewertet. Hier wäre an vielen Stellen ein genauerer Blick wünschenswert gewesen. Die beiden Autoren erklären in ihrer Einleitung, "nur dann, wenn man den alten, den 'verstaubten' Vampir, den Volksvampir" kenne, "und zwischen ihm und der nächsten Stufe, dem literarischen Vampir, zu unterscheiden" lerne, könne "man die neuen Vampire in ihrem wahren Kontext sehen."

Leider stellen die Autoren nur selten diese Verbindung zwischen Tradition und medialer Ausformung her, so bleibt es dem Lesenden selbst überlassen, den "wahren" Kontext herzustellen und abzuleiten.

Die Fülle und der Gehalt der Informationen mag - je nach Vorbildung - unterschiedlich aufschlussreich sein. Von einer Überblicksdarstellung kann man aber mehr erwarten, als lexikalische Informationen in Fließtext aneinander zu reihen. Da die Darstellung allerdings so viele verschiedene Themengebiete und Verweise aufnimmt, mögen verortende Erläuterungen und Zusammenfassungen vielleicht kaum möglich gewesen sein. Um Linien zu ziehen, Kontexte herzustellen und Traditionen zu verbinden, hätte es eines stringent gewählten Ansatzes bedurft. Da hier aber ethnologische, literarische, geschichtliche und esoterische Vampire munter durcheinander gewürfelt werden, ist die rein aufzählende Darstellungsweise ohne Fazit fast zwingend. Die Beschränkung auf eines der Felder hätte dem Buch sicherlich gut getan, zumindest aber die sprachliche und argumentative Differenzierung zwischen kulturhistorischen und esoterischen Vampirmythen. Wie gut und souverän so etwas funktionieren kann, hat beispielsweise Hans Richard Brittnacher im Vampir-Kapitel seines Überblickswerks "Ästhetik des Horrors" (1994) sehr detailreich und sehr gut lesbar bewiesen - und zwar von Bram Stokers Dracula bis zu Anne Rices Lestat. Für einen neugierigen Leser ohne große Vorkenntnisse mag die informative, zum Teil aufgrund der Themenbreite oberflächlich geratene Darstellung der beiden Bandinis interessant sein. Allen anderen sei geraten, in den langen Winternächten mal wieder zu literarischen Originalen wie Bram Stoker, J. S. LeFanu, J. W. Polidori oder Guy de Maupassant zu greifen.


Titelbild

Ditte Bandini / Giovanni Bandini: Das Vampirbuch.
dtv Verlag, München 2008.
220 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783423247023

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