Der ungeheure Körper

Catherine Shelton zeigt, dass der Körper mehr ist als er scheint - insbesondere im Horrorfilm

Von Jörg HackfurthRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Hackfurth

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Seit Linda Williams' Konzept des "body genres" wissen wir, wie der Horrorfilm auf den Körper des Zuschauers wirkt - durch Spiegelung der zu evozierenden Emotion (Angst) im Somatischen auf der Leinwand. Doch der Körper ist auch Träger kultureller Bedeutungen, wie die Körperdebatte in den Kulturwissenschaften seit den 1980er-Jahren vermehrt gezeigt hat. Diese 'Einschreibungen' des Kulturellen in das Körperliche kommen auch im Horrorfilm zu tragen: Wie fruchtbar eine Kreuzung von Horror Studies und Körperdebatte ist, zeigt Catherine Sheltons Kölner Dissertation im Fach Philosophie, die nun bei Transcript unter dem Obertitel "Unheimliche Inskriptionen" erschienen ist.

Der filmische Körper dient dem Horrorfilm - speziell dem "postklassischen" Horrorfilm, der entgegen dem klassischen Erzählen im Sinne des "well made play" die Form über den Inhalt stellt - in exzesshafter Weise als Schreibfläche für seine genrespezifische Erzählung von der Bedrohung einer Normalität durch ein monströses Anderes (nach Robin Woods Basisformel für den Horrorfilm).

Mit Rückgriff auf eine aus dem Gesamtwerk Foucaults herausdestillierte Theorie des Körpers beleuchtet Catherine Shelton - mit Exkursen in die jeweiligen Genealogien - en detail vier Typen des devianten Körpers und seiner Funktion für das Genre, nämlich den "monströsen Körper", den "kranken Körper", den "toten Körper" und den "offenen und zerstückelten Körper".

So legt sie minutiös die in der als postmodern identifizierten Dracula-Adaption "Bram Stoker's Dracula" (Francis Ford Coppola, USA 1992) präsenten Bildlichkeiten von Krankheit offen und zeigt, wie die kulturellen Konzepte dieser Krankheitsbilder dem Horrornarrativ zuspielen. So knüpft die Darstellung des anämisch wirkenden Vampirs und seiner Opfer an das im Zuge der Romantik verklärte Bild des Schwindsüchtigen (Tuberkulose) an, das als Zeichen übersteigerter, exzessiver und "krankhafter" Gefühlszustände, und auch als Diskurs über Begehren und Sexualität fungiere.

Hier schließt sich nahtlos eine zweite Krankheitsmetaphorik an, nämlich die der venerischen Krankheiten, speziell Syphilis und Aids, in deren kulturellen Konzeptionen durch ihre Herkunft (Prostitution, homosexuelles Milieu) Laster und Krankheit miteinander verklammert sind. Der Vampirismus, geschildert als ansteckende "Lustseuche", bedroht den Gesellschaftskörper nicht nur körperlich, sondern ebenso wie Syphilis und Aids moralisch. Die Ikonografie der Syphilis (Fäulnis, Verfall, Eiter) mündet so in die phantastisch-schauerliche Ästhetik von "Bram Stoker's Dracula" und anderer "postklassischer" Horrorfilme ein.

Nicht zuletzt ist die apokalyptische Bildlichkeit der Seuche, insbesondere der Pest, im Horrorfilm fest verwurzelt, wie die Autorin anhand von Filmbeispielen quer durch das Genre nachweist, von "Night of the Living Dead" (USA 1968, George A. Romero) bis "Trouble Every Day" (Frankreich/Deutschland/Japan 2001, Claire Denis). In "Bram Stoker's Dracula" wird - wie schon in Friedrich Wilhelm Murnaus "Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens" (1922) - der Vampir als personifizierte Plage vorgestellt, der als parasitärer Krankheitserreger den gesunden Organismus (London) heimsucht, und nicht zufällig auch in einer Szene als an die Pest gemahnendes polymorphes Rattenrudel in Erscheinung tritt.

Catherine Sheltons Zugang zu den Körperbildern im Horrorfilm verspricht eine Vielzahl von Diskurssträngen, aus denen die dem Genre zugrundeliegende ästhetische Wirkabsicht des Unheimlichen, Schockierenden und Ekelerregenden bezogen wird, ans Licht zu befördern und so die Horrorforschung durch eine Genealogie genreüblicher Motive des Körperlichen, die insbesondere im "postklassischen" Horrorfilm als spektakelhafter, filmischer Exzess in den Vordergrund treten, zu bereichern.

Insgesamt ist Catherine Shelton dies mit ihrer präzisen, stark dem Foucault'schen Werk verpflichteten Sprache und Gedankenführung und ihrer profunden Kenntnis der Theorien zum Horrorfilm gelungen. Zuweilen hätte man sich gewünscht, dass die Autorin die theoretischen Passagen knapper, weniger redundant und mit Verzicht auf manchen Exkurs behandelt hätte, so dass den Anwendungen auf konkrete Filmbeispiele, bei denen sich en passant der methodische Ansatz erschließt, mehr Raum eingeräumt würde. Dies ist freilich den Traditionen der Textsorte Dissertation geschuldet - als solche ist Catherine Sheltons Arbeit dennoch auch für jene zugänglich die weder mit Horrorforschung noch Körperdebatte vertraut sind. Denn für beide Disziplinen liefert sie in den ersten Kapiteln ausführliche, auch als Einführungen brauchbare Darstellungen des aktuellen Forschungsstands. Bevor der erste Horrorfilm aber konkret behandelt wird (The Elephant Man, USA 1980, David Lynch) muss man sich allerdings beinahe 200 Seiten gedulden.

Wer mit der Horrorforschung und den Körpertheorien vertraut ist, wird weite Teile des Theorieteils überspringen können und kann sich direkt in die hochergiebige Lektüre der Filmanalysen und Detailgenealogien spezifischer Körperbilder stürzen.


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Catherine Shelton: Unheimliche Inskriptionen. Eine Studie zu Körperbildern im postklassischen Horrorfilm.
Transcript Verlag, Bielefeld 2008.
380 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-13: 9783899428339

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