Erholungspausen
In seinem neuen Roman „Leichenblässe“ lässt Simon Beckett seinen Anthropologen wieder leiden
Von Walter Delabar
Pathologen und Anthropologen machen im Krimi so einiges mit. Nicht nur, dass sie sich in olfaktorisch stark belastetem Gebiet bewegen und dass sie sich in ihrer täglichen Arbeit mit den verschiedensten Verfallstadien menschlicher Körper beschäftigen müssen, nein, die vielen wahnsinnigen und durchgeknallten Bösewichter nehmen sich die professionellen Leichenfledderer immer häufiger selbst vor, wohl um ihnen zu zeigen, wer eigentlich wirklich das Sagen hat: der Killer oder der Ermittler. Simon Becketts Held David Hunter weiß davon zu erzählen, hat ihm doch die Täterin seines letzten Falls böse mit dem Messer mitgespielt, so dass ihm die Lust an seiner etwas makabren, aber so sinnvollen Tätigkeit vergangen ist.
Nachdem er sich von der schweren Verwundung erholt hat, nimmt er sich eine Auszeit – und das in Tennessee, am forensischen Institut in Knoxville, das unter anderem ein Leichenverwesungsversuchsgelände betreibt, das unter dem Namen „Bodyfarm“ einigermaßen bekannt ist. Jedem so, wie es ihm gefällt, kann man da nur sagen. Allerdings ist David Hunter ja auch nicht nur zur Erholung hier, sondern um in den nächstbesten Fall verwickelt zu werden.
Nun ist Beckett mit dem dritten Roman um Hunter nach „Die Chemie des Todes“ und „Kalte Asche“ ein wenig auf die mühevollen Ebenen der Serienschreiberei geraten, auf denen dann die ursprünglich scharf gezeichneten Konzepte schon einmal ein bisschen schwammig werden und ihre Wirkung verlieren können.
Beckett scheint dem aber entgangen zu sein. Denn auch wenn man die Dauergefährdung der Forensiker bestenfalls als dramaturgischen Schlüssel sehen möchte, wird man sie keinesfalls dem Plausibilitätsdiktat überantworten wollen.
Dennoch ist die Anlage seines neuen Krimis – anscheinend an der amerikanischen Tradition der stringenten Plots geschult – hinreichend tragfähig. Außerdem gönnt sich Beckett einen kleinen Nebenkriegsschauplatz, nämlich eine kleine szenische Diskussion darüber, wem der Vorrang gebührt, dem arroganten und selbstherrlichen Profiler, der mal eben am Schauplatz des Verbrechens vorbeischaut und große Theorien entwirft, oder dem genauen und genau hinschauende Forensiker, der sich keine voreiligen Schlüsse erlaubt, sondern dem die Widersprüche ins Auge springen. Keine Frage, zu wessen Gunsten der Streit ausgeht. Zumal sich Beckett nicht scheut, seine Position in der Inszenierung nachhaltig durchzusetzen.
In Knoxville bei seinem alten Freund und Lehrer Tom Lieberman hospitierend, der das Bodyfarm-Institut leitet, gerät Hunter in die Ermittlungen um einen mysteriösen Mordfall, der anscheinend einem Serientäter zuzuordnen ist. Ein Mann wird tot aufgefunden, nackt, offensichtlich gefoltert, eingeschlossen in eine Holzhütte, in der ein Elektroheizer auf vollen Touren läuft.
Das hat naheliegende Auswirkungen auf die Leiche, die in Blut schwimmt und aus der die Maden nur so herausquellen. Das ist ein bisschen heftig, wird aber von Beckett nicht als Schocker, sondern als Rätsel inszeniert, denn die Leiche ist deutlich stärker verwest, als sie anhand von Indizien, die auf den Todeszeitpunkt schließen lassen, sein dürfte. Auch die Zahl der Maden und einiges mehr lässt Fragen offen, die eben nicht der unbedarfte Leser, sondern der Gastforensiker stellt.
Denn der muss zu allem Überfluss auch noch feststellen, dass sein Gastgeber Tom offensichtlich an Herzproblemen leidet, die ihn in der Arbeit immer stärker behindern. Deshalb springt Hunter ein, was weder dem amerikanischen Ermittler, noch dem amerikanischen Pathologen, der eh mit Lieberman im Streit liegt, gefällt.
Das tritt ein bisschen in den Hintergrund, als klar wird, dass es die Ermittler in der Tat mit einem Serientäter zu tun haben. Wenigstens tauchen immer mehr Leichen auf, und es beginnen zudem Leute aus der Umgebung von Hunter zu verschwinden.
Die Bedrohung rückt also näher, und so nimmt die Handlung ihren Lauf. Hunter muss Tom schließlich halbwegs ersetzen. Liebermann erleidet einen Herzinfarkt, und da das Institut überlastet ist, darf am Ende dann doch der englische Gast mitmachen.
Hunter reibt sich naheliegend an den Widersprüchen, die die Fälle bieten. Eine Reihe von Einsichten in das verworrene psychologische Binnenleben des Killers machen aber klar, dass der es genau darauf abgesehen hat: Er will die Kontrolle haben, er steuert die gesamte Handlung. Das gelingt auch bis fast zum Schluss. Erst dann gerät Becketts Krimi in die Plausibilitätsklemme. Er muss die positiven Figuren, die er bis dahin aufgebaut hat, aus den Fängen des Serienkillers befreien, und dazu fällt ihm dann auch nichts anderes ein als ein langes Gespräch zwischen Hunter und dem Killer, bei dem dieser dann merkwürdig leicht zu irritieren ist. Wenn man allerdings Beckett bis hierhin gefolgt ist, lässt sich das auch noch verschmerzen, ohne dass es der Lektüre allzu sehr schaden würde.
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