Kranichs ungebremster Absturz

Markus Orths Roman „Hirngespinste“ gleitet ins Komödienhafte ab

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In jüngerer Vergangenheit haben sich Autoren mit massenkompatiblen Romanen, die behutsam zwischen Anspruch und Unterhaltung changieren, einen festen Platz im Literaturbetrieb gesichert. Jakob Arjouni, der Schweizer Martin Suter und Markus Orths, der nun seinen fünften Roman vorgelegt hat, haben sich als Meister dieses hybriden Genres entpuppt.

Markus Orths bedient sich der aus seinem erfolgreichen Roman „Lehrerzimmer“ (2003) bekannten Hauptfigur Martin Kranich, die inzwischen ein erfolgreiches Buch veröffentlicht hat, aber von einer schweren Kreativitätskrise heimgesucht wird. Das Leben des ehemaligen Lehrers Kranich droht endgültig im Chaos zu versinken, nachdem sein Verleger sein neues Werk „Schreib, Maschine“ abgelehnt hat. Er zieht in das Haus seiner Erbtante Erna, geht hin und wieder auf Lesungstour, wo er als Honorar statt des erhofften Bargelds Weinpakete erhält, und landet schließlich in einer Alkoholentziehungskur.

Dem 40jährigen Markus Orths gelingt es, den Leser – trotz aller Macken und Marotten – für den liebenswerten Spinner Kranich einzunehmen. Ihm gelingen auch humorvolle Sticheleien gegen die intellektuellen Eitelkeiten im Literaturbetrieb. So erhält Kranichs Verleger ein Bündel weißer Blätter mit dem Titel „Der Tanz der weißen Buchstaben“ – versehen mit dem Hinweis des Autors, dass der Text auch gekürzt werden dürfe. Man mag auch noch folgen, wenn der Autor konstatiert, dass „Angst, Jammer, Schein und Lüge“ nicht nur Säulen des Schulalltags, sondern auch des Literaturbetriebs sind.

Danach gleitet Markus Orths die Handlung allerdings aus den Händen. Die Satire wird zum Klamauk, der Humor zur puren Effekthascherei. So hofft der gestresste und finanziell „abgebrannte“ Schriftsteller auf einen „literarischen Quickie“ und den Kranichsteiner Literaturpreis – das ist Humor in Brechstangenmanier.

Kranich lernt in der Sauna den experimentierenden Neurologen Pfeifer kennen, der ihm vorgaukelt, dass er unter Zuhilfenahme eines neuen Gerätes seine Schreibkrise bewältigen könne. Kranich lässt sich den monströsen Apparat über den Kopf stülpen, glaubt an Pfeifers These von der „Tiefenstrukturstimulation“, nach der sich der Schreibprozess im Unterbewusstsein automatisch vollziehen soll.

In Tante Ernas Haus taucht plötzlich Kranichs schwangere Schwester Tamara auf. Vorbei ist es mit der Ruhe zum Schreiben, gescheitert die Idee vom großen historischen Roman – der nicht zufällig an Orths „Catalina“ erinnert –, stattdessen fordert Kranichs Schwester Unterstützung ein. Zum Ende des Romans überschlagen sich die Ereignisse buchstäblich. Die betagte Tante stürzt die Treppe hinunter, bleibt wie durch ein Wunder unverletzt und überträgt später ihr Erbe an den WWF. Nicht etwa der hoffnungsvolle Jung-Autor Martin Kranich liefert ein fertiges Manuskript ab, sondern seine Tante Erna, eine ehemalige Hebamme. Ihre „Kulturgeschichte des Stillens“ findet einen begeisterten Lektor.

Markus Orths, der zuletzt in seinem Roman „Das Zimmermädchen“ (2008) subtilen Humor und psychologischen Tiefgang gekonnt vereinte, hat nun allzu sehr auf die komödiantische Karte gesetzt. Nur selten verrät ein Buchtitel so viel über die Qualität des Werkes – eben „Hirngespinste“.

Titelbild

Markus Orths: Hirngespinste. Roman.
Schöffling Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
160 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783895614705

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