Philosophie der Wiederverheirateten

Elisabeth Bronfen über Stanley Cavell

Von Daniel KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Stanley Cavell, dessen erste Berufung die Musik war, hat die Stimme zum Thema gemacht, lange bevor sie en vogue war. Als Philosoph, der übers Genrekino schreibt, ist er bis heute eine Ausnahme geblieben. Tatsächlich gibt es nur einen, der sich mit ähnlicher Leidenschaft – und gänzlich anderen Ambitionen – über das Kino ausgelassen hat: Gilles Deleuze. Auch Cavells essayistischer, sprachliche Komplikationen nicht scheuender Duktus muss im angelsächsischen Philosophenmilieu bis heute befremden.

Cavells Eigenart liegt im Übrigen darin, dass er Skepsis – ähnlich antiken Autoren, aber im Gegensatz zum Mainstream neuzeitlicher Philosophie – als Lebensproblem verhandelt. Die skeptische Weltsicht kann theoretisch nicht widerlegt, aber im Leben überwunden werden – durch das Gespräch als „verbindlichen Selbstausdruck“ und aufmerksame Hinwendung zum Gegenüber: Wahrhaftigkeit statt Wahrheit. Jürgen Habermas und die philosophische Hermeneutik Hans-Georg Gadamers verhandeln in anderen Worten ähnliche Anliegen: Intersubjektive Verständigung statt objektiver Erkenntnis. Dass Elisabeth Bronfens Einführung zu Stanley Cavell solche Affinitäten nicht thematisiert, ist im gegebenen Rahmen gewiss nicht von Nachteil.

Wie hängen besagte Merkmale zusammen? Cavell entfaltet eine Philosophie nicht der Erkenntnis, vielmehr des Gesprächs. Dieses setzt redlichen, wohlartikulierten Selbstausdruck seitens des Sprechenden voraus. Und Aufmerksamkeit, auch für Nuancen, seitens dessen, der hört. William Shakespeares Dramen und das klassische Hollywoodkino, zuvörderst Screwball-Komödien der 1930er- und 1940er-Jahre, dienen Cavell – idiosynkratischerweise, wie er selber gesteht – als ein Mittel, Stimme und Ohr für das Gespräch zu justieren: Liebes- und Eheleute haben einander verloren. Sie lernen hören und reden – und finden zum zweiten Mal zueinander. Den Zweifel am andern und an der Welt, Skepsis mithin, überwinden und nicht unterdrücken. Das ist der Kern der Komödie der Wiederverheiratung, comedy of remarriage – und der Philosophie Stanley Cavells.

Dies alles nimmt sich beinahe trivial aus. Es scheint ein Missverhältnis zwischen einfacher Aussage und komplizierter Ausdrucksweise seitens Cavells zu bestehen. Dunkelheit des Ausdrucks statt Gedankentiefe – dies mag der erste Eindruck der Lektüre sein, und Cavells begrenzte Popularität im amerikanischen Hochschulmilieu mag sich just daraus erklären. Stilistische Indifferenz ist gleichwohl nicht zu unterstellen: Der perfect pitch ist ein Schlüsselwort Cavells. Es meint den richtigen Tonfall, im Sprechen wie im Hören und ist nicht leicht zu treffen. Auch waren Philosophen jahrhundertelang mit anderem als Fragen wahrhaftiger Intonation befasst. Sie müssen mühsam von alten Obsessionen mit „Wahrem“ und „Gutem“ abgezogen werden. Ludwig Wittgenstein, spiritus rector „therapeutischen“ Philosophierens, zählt zu Cavells geistigen Leitbildern. So einfach, wie es scheint, ist Cavells Anliegen demnach nicht zu bewerkstelligen. Dies mag seinen mäandernden, essayistisch vagierenden Gestus, das Tastende und manchmal Kryptische, erklären. Auch Bronfen ist das Hermetische nicht ganz und gar fremd – trotz ihres im Ganzen erfolgreichen Bemühens, den Erfordernissen eines Einführungsbandes gerecht zu werden.

Eines fällt unangenehm auf: „Stanley Cavell zur Einführung“ weist zahlreiche sprachliche Unstimmigkeiten auf. Dies betrifft Grammatik wie Idiomatik. Einige Fehler mögen als Anglizismen durchgehen – „alles, was uns wundern, vermuten oder zweifeln lässt“, „wovon ich mir die Autorität zu sprechen erwünsche“, „in der Welt der Akademie ankommen“ – und gleichsam zum anglophonen Timbre des Buches, zur Aura des Authentischen, beitragen. Dies gilt besonders für Bronfens Übersetzungen aus Schriften Cavells. Andere Fehler sind derart banal, dass die verwegensten dialektischen Winkelzüge nicht zur Rechtfertigung taugen: „Berufung auf die Philosophie“, „für Cavells Vater, ein schulisch ungebildeter jüdischer Einwanderer“. Es scheint sich um Flüchtigkeiten zu handeln – umso mehr, als Bronfen nicht zu jenen Autoren gehört, die absichtsvolle Verdunkelung betreiben: Das Buch ist über weite Strecken in unverkrampft umgangssprachlichem Tonfall erzählt – wie es Einführungen gebührt. Die Autorin gibt sich Mühe und gönnt dem Leser mit biografischen Exkursen Atempausen. Dies ist kein Verrat an der philosophischen Sache, denn, folgt man Cavell, spricht jeder Philosoph mit charakteristischer, biografisch ihm zugewachsener Stimme. Für die sprachlichen Mängel mag man den Verlag in Haftung nehmen. Es scheint, dass Junius ein Textlektorat nicht für nötig erachtet – als ob das Taschenbuchformat samt moderaten Preises dergleichen überflüssig macht.

Dennoch: Da Stanley Cavell noch kaum übersetzt worden ist und wenig Sekundärliteratur vorliegt, führt auf absehbare Zeit kein Weg an diesem Band vorbei, zumindest für den Novizen. Die fachliche Kompetenz der Autorin steht außer Frage. Cavell selbst hat sie beim Schreiben beraten und bürgt für die Wahrhaftigkeit, vielleicht auch die Wahrheit der Darstellung. Mit Bronfen ist Cavell um einiges zugänglicher geworden. Das ist nicht eben wenig.

Titelbild

Elisabeth Bronfen: Stanley Cavell. Zur Einführung.
Junius Verlag, Hamburg 2009.
271 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-13: 9783885066088

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