Du bist nicht Deine Vita

Sebastian Christs zauberhafte Geschichte über das Leben: Praktika, Freundschaft und Liebe

Von Martin SpießRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Spieß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor wenigen Wochen titelte „DER SPIEGEL“ mit „Wir Krisenkinder“, einer Geschichte über die heute Zwanzig- bis Dreißigjährigen, für die – trotz hervorragender Ausbildung – Festanstellung ein Fremdwort ist. Die sich auf Stellen bewerben, deren Bezeichnung alleine schon verrät, dass man hier kaum mehr als ein Praktikant ist: Trainee, Junior Assistent, Volunteer. Es sind diejenigen, die während und nach der Uni erstmal drei bis sechs Praktika machen, weil sie keinen richtigen Job bekommen.

Jan Hesse ist 25 Jahre alt und befindet sich in dieser Situation. Der Protagonist von Sebastian Christs Debütroman „… und wünschen Ihnen für die Zukunft alles Gute! Ein Leben als Praktikant“ ist noch in der Uni, aber schon jetzt so auf die Praktikumswelt festgelegt, dass ihm langsam aber sicher der Verstand abhanden zu kommen droht. Fünf Jahre schon trägt er sein Leben in drei Taschen mit sich herum. Er ist so stets bereit, sofort die Stadt zu wechseln, nie aber kommt er irgendwo an oder ist gar zuhause. Das ändert sich, als er Anna kennenlernt. Die ewig auf Erfolg, auf Publizieren, auf Sich-einen-Namen-machen-Welt bekommt Risse, weil Jan sich viel lebendiger fühlt, wenn er mit Anna zusammen ist, als wenn er im Büro sitzt. Aber sein Praktikum ist eben nur zeitlich begrenzt und so endet auch die gemeinsame Zeit mit ihr. Jan zieht von einer Stadt in die nächste, um schließlich beim fiktiven „Kinomagazin“ zu landen, einem renommierten Filmblatt, bei dem allein ein Praktikum absolvieren zu dürfen einem Ritterschlag gleichkommt. Jan aber denkt immer mehr an Anna und verliert ebenso immer mehr das Interesse an den stupiden Recherche- und Zuarbeiten für selbstverliebte und illoyale Redakteure. In einem Moment kosmischer Klarheit ruft er seinen besten Freund aus Schultagen an, der sich natürlich sofort hinters Steuer setzt, um Jan aus seinem Dilemma zu befreien und sich gemeinsam mit ihm auf den Weg zu Anna zu machen.

Vorweg: Sebastian Christ lässt die Liebesgeschichte nicht happy enden. Er tut das zum Glück, denn ein Happy End wäre doch eine Spur zuviel: „Protagonist bricht aus unerträglicher Heimatlosigkeit aus und kriegt auch noch die große Liebe aufs Tablett? Nein, danke.“ Am Ende des Buches steht vielmehr die Erkenntnis, dass der Ausgang einer Sache nicht darüber entscheidet, ob man sich um sie bemüht oder nicht. Die Sache – ein Job, eine Freundschaft, eine Liebe – an sich lohnt einen Kampf oder nicht. In seinem Wahn, ein großes, vages Ziel zu erreichen, hat Jan irgendwann das aus den Augen verloren, was wichtig ist. In seinem Kampf um eine gutaussehende Vita hat er vergessen, dass es Sachen gibt, die man dafür nicht aufgibt. Jan ist am Ende zwar plan- und ziellos, aber immerhin ist er mit seinem besten Freund unterwegs. Und irgendwas wird sich ergeben – wie beim Autor des Buches, Sebastian Christ: Der ist nach etlichen Praktika Redakteur bei stern.de und hat nebenbei ein grandioses Stück Adoleszenz-Literatur über Praktika, Freundschaft und Liebe verfasst, nach deren Lektüre man sich auf Hochhäuser stellen und herunterbrüllen will: Du bist nicht Deine Vita. Du bist Dein Leben.

Titelbild

Sebastian Christ: ... und wünschen Ihnen für die Zukunft alles Gute! Ein Leben als Praktikant.
Goldmann Verlag, München 2009.
173 Seiten, 7,95 EUR.
ISBN-13: 9783442155651

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